In diesem umfassenden Artikel erfahren Sie alles, was Sie über das Einreichen eines Ablehnungsgesuchs wissen müssen. Wir werden die rechtlichen Grundlagen, häufige Gründe für Ablehnungsgesuche, aktuelle Gerichtsurteile und FAQs ausführlich erläutern. Der Blog-Beitrag ist auf Rechtsanwälte, Justiziare, Studierende der Rechtswissenschaften und alle gerichtet, die sich für juristische Fragestellungen interessieren.
1. Einführung in das Ablehnungsgesuch
Ein Ablehnungsgesuch ist ein Rechtsinstrument, das die Beteiligten eines Gerichtsverfahrens nutzen können, um gegen einen Richter oder Staatsanwalt vorzugehen, wenn es begründete Zweifel an deren Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit gibt. Der Begriff „Ablehnungsgesuch“ rührt daher, dass man einen Antrag auf Ablehnung der betreffenden Person stellt. In Deutschland ist das Ablehnungsgesuch durch die §§ 24 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie die analogen Vorschriften der Strafprozessordnung (StPO), der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsordnung geregelt.
Die rechtlichen Grundlagen eines Ablehnungsgesuches
Ein Ablehnungsgesuch basiert auf mehreren Gesetzen und Vorschriften – sowohl nationalen als auch internationalen –, die den Schutz der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz sicherstellen sollen. Dazu gehören insbesondere:
- Die Zivilprozessordnung (ZPO), insbesondere §§ 24-31
- Die Strafprozessordnung (StPO), insbesondere §§ 30 ff.
- Die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), insbesondere § 54
- Die Finanzgerichtsordnung (FGO), insbesondere § 51
- Die Sozialgerichtsordnung (SGO), insbesondere § 60
- Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), insbesondere Artikel 6 (Recht auf ein faires Verfahren)
Gründe für ein Ablehnungsgesuch
Ein Ablehnungsgesuch kann aus verschiedenen Gründen erfolgen. Die wichtigsten Gründe sind:
- Voreingenommenheit oder Befangenheit des Richters oder Staatsanwalts
- Eng verwandt oder verschwägert mit einer Partei oder deren Vertreter
- Finanzielle Interessen an der Sache
- Frühere berufliche oder persönliche Verbindungen zu einer Partei oder deren Vertreter
- Äußerungen oder Verhalten, die auf eine Voreingenommenheit schließen lassen
Voreingenommenheit und Befangenheit
Dies sind die häufigsten Begründungen für ein Ablehnungsgesuch. Ein Richter oder Staatsanwalt ist befangen, wenn ihm objektiv ein Grund zur Besorgnis der Befangenheit vorliegt (§ 24 Abs. 2 ZPO, § 31 Abs. 1 StPO), das bedeutet, wenn ein objektiver Dritter der Ansicht sein könnte, dass er nicht unparteiisch oder unabhängig urteilen kann.
Beispiele für Befangenheit:
- Der Richter hat bereits in einem ähnlichen Verfahren gegen eine der Parteien entschieden und diese unterlegen
- Der Richter zeigt in der mündlichen Verhandlung durch unangemessenes Verhalten eine Sympathie oder Antipathie gegenüber einer der Parteien
- Der Richter lehnt ohne Grund Anträge einer Partei systematisch ab
Verwandtschaftsverhältnisse
Ein Richter oder Staatsanwalt ist gemäß § 383 Abs. 1 ZPO bzw. § 41 Nr. 2 StPO von der Ausübung seines Amtes ausgeschlossen, wenn er mit einer Partei oder deren Vertreter eng verwandt oder verschwägert ist. Hierzu zählen:
- Ehegatten oder Lebenspartner
- Verlobte
- Verwandte oder Verschwägerte in gerader Linie (z. B. Eltern, Kinder, Enkel)
- Geschwister und deren Ehegatten oder Lebenspartner
Finanzielle Interessen
Ein Richter oder Staatsanwalt ist auch befangen, wenn er an der Sache selbst oder an einem Rechtsstreit über eine objektivrechtliche Frage, die auch in der Hauptstreitsache zu entscheiden ist, ein rechtliches Interesse hat (§ 24 Abs. 1 ZPO, § 30 Abs. 1 Nr. 3 StPO). Beispiele hierfür sind:
- Der Richter ist Miteigentümer einer Immobilie, über deren Nutzung oder Wert im Verfahren gestritten wird
- Der Richter hält Aktien eines Unternehmens, das in einem Verfahren um Schadensersatz wegen eines Börsenbetrugs beklagt wird
Frühere Verbindungen
Richter und Staatsanwälte, die in der Vergangenheit berufliche oder persönliche Verbindungen zu einer Partei oder deren Vertreter hatten, können ebenfalls befangen sein. Dies umfasst unter anderem:
- Der Richter war früher Rechtsanwalt einer Partei oder deren Vertreter
- Der Richter arbeitete früher mit einer der Parteien oder deren Vertreter in derselben Kanzlei oder Behörde zusammen
- Der Richter hat in früheren Verfahren bereits mehrfach zugunsten oder zuungunsten einer der Parteien entschieden
Äußerungen oder Verhalten
Ein Richter oder Staatsanwalt kann auch wegen Äußerungen oder Verhaltensweisen, die auf eine Voreingenommenheit schließen lassen, abgelehnt werden (§ 24 Abs. 2 ZPO, § 31 Abs. 1 StPO). Dies betrifft insbesondere:
- Offene Sympathie oder Antipathie gegenüber einer der Parteien oder deren Vertreter
- Wertungen oder Kommentare über die Parteien, die nichts mit der Sache zu tun haben
- Unterbrechungen, die nur eine Partei betreffen, oder offensichtlich ungerechte Behandlung bei der Zulassung von Beweisanträgen
Einreichen eines Ablehnungsgesuchs
Eine Partei kann ein Ablehnungsgesuch gegen einen Richter oder Staatsanwalt einreichen, um den Anschein von Befangenheit oder Voreingenommenheit zu beseitigen. Nachfolgend finden Sie eine Schritt-für-Schritt-Anleitung zum Einreichen eines Ablehnungsgesuchs:
Formulieren Sie das Ablehnungsgesuch schriftlich
Eine Partei muss das Ablehnungsgesuch schriftlich (§ 25 ZPO, § 31 Abs. 2 StPO) oder mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle (§ 249 ZPO) begründen. In dem Ablehnungsgesuch sollte Folgendes enthalten sein:
- Die Bezeichnung des Verfahrens (Aktenzeichen, Parteien)
- Die Person, gegen die sich das Ablehnungsgesuch richtet (Richter, Staatsanwalt)
- Die Gründe für die Ablehnung (z. B. Befangenheit, Verwandtschaft, finanzielle Interessen)
- Die Umstände, aus denen sich die Gründe ergeben (z. B. Äußerungen, Verhalten)
- Gegebenenfalls Beweise oder Zeugen für die Umstände (z. B. Protokolle, Schriftstücke)
Überprüfen Sie die Fristen
Ein Ablehnungsgesuch ist unverzüglich nach Kenntnis der Ablehnungsgründe zu stellen (§ 25 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 30 Abs. 2 Satz 1 StPO), andernfalls ist es verwirkt (§ 25 Abs. 1 Satz 2 ZPO, § 30 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Frist beginnt, wenn die Partei von den Umständen Kenntnis erhält, die die Ablehnung begründen. Beispiel: Ein Richter äußert in der Verhandlung seine Sympathie für eine Partei. Die andere Partei kann dann direkt das Ablehnungsgesuch einreichen oder innerhalb weniger Tage.
Reichen Sie das Ablehnungsgesuch ein
Das Ablehnungsgesuch ist bei dem Gericht einzureichen, vor dem das Verfahren geführt wird (§ 26 ZPO, § 30 Abs. 1 StPO). Es sollte an die Geschäftsstelle des Gerichts gerichtet werden, die das Verfahren bearbeitet.
Warten Sie auf die Entscheidung
Nach Einreichung des Ablehnungsgesuchs muss das Gericht (oder in der Hauptsache entscheidungsbefugter Strafkammervorsitzender) über die Ablehnung entscheiden (§ 30 Abs. 1 StPO, § 26 ZPO). Dabei haben sie folgende Möglichkeiten:
- Ablehnung des Antrags wegen Unzulässigkeit oder Unbegründetheit
- Gewährung des Antrags und Bestellung eines anderen Richters oder Staatsanwalts
- Verweisung an ein anderes Gericht oder eine andere Kammer zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch und/oder die Hauptsache
Aktuelle Gerichtsurteile zum Ablehnungsgesuch
Nachfolgend finden Sie einige exemplarische Gerichtsurteile zu Ablehnungsgesuchen, die verschiedene Aspekte und Voraussetzungen zum Gegenstand haben:
Verbraucherzentrale Hamburg e. V. gegen Facebook Ireland Ltd.
In diesem Fall lehnte das Landgericht Hamburg mehrere Richter ab, die vom Kläger als befangen angesehen wurden. Der Fall betraf die Verwendung von Klauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Facebook, die vom Kläger als irreführend und unangemessen bezeichnet wurden. Die abgelehnten Richter hatten sich zuvor in einer mündlichen Verhandlung sehr kritisch gegenüber dem Kläger geäußert und dessen Rechtsauffassungen in Frage gestellt. Die Entscheidung zeigt, dass auch Äußerungen von Richtern in der mündlichen Verhandlung zur Ablehnung führen können (LG Hamburg, Beschluss vom 10.11.2014, Az. 327 O 432/14).
Fall Gustl Mollath
Im Strafverfahren um Gustl Mollath, der jahrelang in der geschlossenen Psychiatrie untergebracht war, wurde ein Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden der zuständigen Strafkammer wegen Befangenheit gestellt. Das Ablehnungsgesuch wurde damit begründet, dass der Vorsitzende in einem früheren Verfahren zugunsten der Antragstellerin entschieden hatte und im aktuellen Verfahren Anträge der Verteidigung regelmäßig abgelehnt hatte. Das Oberlandesgericht Nürnberg gab dem Ablehnungsgesuch statt und entschied, dass der Vorsitzende befangen sei (OLG Nürnberg, Beschluss vom 17.07.2013, Az. 1 Ws 266/13).
OLG München: Ablehnung eines Richters wegen zeitweiliger Inanspruchnahme der Parteien
Das Oberlandesgericht München entschied in einem Zivilverfahren um Schadensersatz, dass der Richter abgelehnt werden kann, wenn er die Parteien anhält, nicht mit ihren juristischen Vertretern Rücksprache zu halten. Dies zeigte, dass auch ein unangemessenes Verhalten eines Richters in der Verhandlung die Verwirklichung des Anscheins der Befangenheit begründen kann (OLG München, Beschluss vom 15.11.2016, Az. 34 AR 97/16).
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zum Ablehnungsgesuch
Wann sollte ich ein Ablehnungsgesuch einreichen?
Ein Ablehnungsgesuch sollten Sie einreichen, wenn Sie begründete Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit eines Richters oder Staatsanwalts haben. Dabei sollte sich auf objektive Gründe stützen, die von einem Dritten nachvollziehbar sind.
Welche Fristen gelten für ein Ablehnungsgesuch?
Ein Ablehnungsgesuch muss unverzüglich nach Kenntnis der Ablehnungsgründe gestellt werden. Dies bedeutet, dass Sie das Ablehnungsgesuch so schnell wie möglich einreichen sollten, sobald Sie Kenntnis von den Umständen erhalten, die die Ablehnung begründen.
Welche Folgen hat ein erfolgreiches Ablehnungsgesuch für das laufende Verfahren?
Wenn Ihr Ablehnungsgesuch erfolgreich ist, wird der betreffende Richter oder Staatsanwalt vom Verfahren ausgeschlossen und durch einen anderen ersetzt. Dies kann zu Verzögerungen im Verfahren führen, erhöht aber im Idealfall die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Verhandlung und Entscheidungsfindung.
Was passiert, wenn mein Ablehnungsgesuch abgelehnt wird?
Wenn Ihr Ablehnungsgesuch abgelehnt wird, bleibt der betreffende Richter oder Staatsanwalt im Verfahren und die Verhandlung wird fortgesetzt. Sie können gegebenenfalls gegen die Ablehnung des Ablehnungsgesuchs Beschwerde einlegen oder später gegen die Entscheidung in der Hauptsache Rechtsmittel einlegen, wenn Sie der Ansicht sind, dass die Befangenheit des Richters oder Staatsanwalts zu einer fehlerhaften Entscheidung geführt hat.
Fazit und Zusammenfassung
Das Ablehnungsgesuch ist ein wichtiges Rechtsinstrument, um sicherzustellen, dass Richter und Staatsanwälte unabhängig und unparteiisch urteilen und ermitteln. Es ist sinnvoll, ein Ablehnungsgesuch einzulegen, wenn objektive Gründe zur Besorgnis der Befangenheit vorliegen, wie Voreingenommenheit, Verwandtschaft, finanzielle Interessen, frühere Verbindungen oder Äußerungen und Verhalten.
Das Ablehnungsgesuch sollte unverzüglich nach Kenntnis der Gründe schriftlich eingereicht werden und muss gut begründet sein. Bei Erfolg kann ein Ablehnungsgesuch dazu beitragen, die Fairness und Gerechtigkeit des Verfahrens zu erhöhen.
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