Das Erbrecht ist ein komplexes und oft missverstandenes Rechtsgebiet, das den Übergang von Vermögenswerten und Verbindlichkeiten nach dem Tod einer Person regelt. Dieser Blogbeitrag bietet eine detaillierte Analyse der Ansprüche, Rechte und Pflichten, die Erben im deutschen Erbrecht haben. Wir werden uns auf die verschiedenen Anspruchsgrundlagen konzentrieren, die Erben geltend machen können, die gesetzlichen Pflichten, denen sie unterliegen, sowie auf wichtige Gesetze und aktuelle Gerichtsurteile, die für das Verständnis des Erbrechts von entscheidender Bedeutung sind.

Inhaltsverzeichnis

Anspruchsgrundlagen im Erbrecht

Im deutschen Erbrecht gibt es verschiedene Anspruchsgrundlagen, die den Erben zustehen. Diese können je nach den Umständen des Einzelfalls variieren und sind im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt. Die wichtigsten Anspruchsgrundlagen sind:

  • Gesetzliche Erbfolge
  • Testamentarische Erbfolge
  • Pflichtteilsanspruch
  • Nacherbschaft
  • Auflagen und Vermächtnisse

Wir werden nun die einzelnen Anspruchsgrundlagen im Detail betrachten und erklären, wie sie im Erbrecht angewendet werden.

Die gesetzlichen Erben

Die gesetzliche Erbfolge tritt ein, wenn der Erblasser (die verstorbene Person) kein Testament oder Erbvertrag hinterlassen hat oder wenn diese unwirksam sind. In diesem Fall bestimmt das Gesetz, wer die Erben sind und welche Anteile ihnen zustehen. Die gesetzlichen Erben werden nach einem bestimmten Ordnungssystem eingeteilt:

  1. Erben erster Ordnung sind die Abkömmlinge des Erblassers, also Kinder, Enkel und Urenkel.
  2. Erben zweiter Ordnung sind die Eltern des Erblassers und deren Abkömmlinge, also Geschwister, Nichten und Neffen.
  3. Erben dritter Ordnung sind die Großeltern des Erblassers und deren Abkömmlinge, also Tanten, Onkel und Cousins.
  4. Erben vierter Ordnung sind die Urgroßeltern des Erblassers und deren Abkömmlinge. In seltenen Fällen können auch entferntere Verwandte erben.

Erben einer niedrigeren Ordnung schließen Erben einer höheren Ordnung aus. Das bedeutet, dass zum Beispiel die Kinder eines Erblassers dessen Geschwister von der gesetzlichen Erbfolge ausschließen.

Die gesetzlichen Erben erwerben die Erbschaft unmittelbar mit dem Tod des Erblassers. Sie sind damit sowohl Rechtsnachfolger des Erblassers als auch Haftende für dessen Schulden. Im Folgenden gehen wir näher auf die testamentarischen Erben ein, die durch eine letztwillige Verfügung des Erblassers bestimmt werden.

Die testamentarischen Erben

Die testamentarische Erbfolge tritt ein, wenn der Erblasser ein Testament oder einen Erbvertrag hinterlassen hat, in dem er seine Erben benennt und deren Erbquoten festlegt. Der Erblasser kann dabei einzelne Personen, aber auch Vereine oder Stiftungen als Erben einsetzen.

Ein Testament kann entweder handschriftlich oder öffentlich (durch einen Notar) verfasst werden. Wichtig ist, dass es den formalen Anforderungen des Gesetzes entspricht, um wirksam zu sein. Dazu gehört zum Beispiel, dass das handschriftliche Testament vom Erblasser eigenhändig geschrieben und unterschrieben sein muss.

Die testamentarischen Erben treten an die Stelle der gesetzlichen Erben und erwerben die Erbschaft ebenfalls unmittelbar mit dem Tod des Erblassers. Sie sind damit sowohl Rechtsnachfolger des Erblassers als auch Haftende für dessen Schulden.

Der Erblasser kann in seinem Testament auch einen Testamentsvollstrecker einsetzen, der die Abwicklung der Erbschaft übernimmt und die Erben bei der Erfüllung ihrer Pflichten unterstützt.

Der Pflichtteil

Der Pflichtteil ist ein gesetzlicher Mindesterbteil, der bestimmten nahen Angehörigen des Erblassers zusteht, wenn sie durch ein Testament oder einen Erbvertrag von der Erbfolge ausgeschlossen wurden. Pflichtteilsberechtigte sind:

  • die Abkömmlinge des Erblassers (Kinder, Enkel, Urenkel),
  • der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner des Erblassers und
  • die Eltern des Erblassers, wenn es keine Abkömmlinge gibt.

Der Pflichtteil besteht in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils. Das bedeutet, dass der Pflichtteilsberechtigte einen Geldanspruch gegenüber den Erben hat, der sich nach dem Wert der Erbschaft zum Zeitpunkt des Erbfalls bemisst. Der Pflichtteilsanspruch verjährt in drei Jahren, beginnend mit dem Schluss des Jahres, in dem der Pflichtteilsberechtigte von dem Erbfall und der Enterbung erfahren hat.

Die Nacherbschaft

Die Nacherbschaft ist eine besondere Form der Erbfolge, bei der der Erblasser einen oder mehrere Erben zunächst nur vorläufig einsetzt (Vorerben) und nach deren Tod einen oder mehrere Nacherben bestimmt. Der Vorerbe erwirbt die Erbschaft zunächst nur unter Vorbehalt, da er sie später an die Nacherben weitergeben muss.

Der Vorerbe ist in seiner Verfügung über die Erbschaft eingeschränkt. Er darf zum Beispiel Grundstücke und Immobilien nur mit Zustimmung des Nacherben veräußern und muss die Substanz der Erbschaft erhalten. Nach dem Tod des Vorerben tritt die Nacherbschaft ein, und die Nacherben erwerben die Erbschaft unmittelbar.

Die Nacherbschaft ist insbesondere dann sinnvoll, wenn der Erblasser sicherstellen möchte, dass sein Vermögen nach dem Tod des Vorerben an bestimmte Personen oder Organisationen weitergegeben wird.

Auflagen und Vermächtnisse

Auflagen und Vermächtnisse sind letztwillige Verfügungen des Erblassers, durch die er einzelne Vermögensgegenstände oder bestimmte Leistungen an Personen oder Organisationen zuweist, ohne diese als Erben einzusetzen. Hierbei handelt es sich um sogenannte besondere Zuwendungen, die unabhängig von der Erbfolge gelten.

Ein Vermächtnis besteht in der Zuwendung eines bestimmten Vermögensgegenstands, wie zum Beispiel eines Hauses, eines Autos oder einer Geldsumme. Der oder die Bedachten (Vermächtnisnehmer) haben einen schuldrechtlichen Anspruch gegenüber den Erben auf Übereignung des vermachten Gegenstands.

Eine Auflage ist eine Verpflichtung, die der Erblasser den Erben oder Vermächtnisnehmern auferlegt. Sie kann zum Beispiel darin bestehen, dass der Erbe ein Grab pflegen oder eine jährliche Spende an eine gemeinnützige Organisation leisten muss. Die Erfüllung einer Auflage kann auch Voraussetzung für den Erwerb eines Vermächtnisses sein.

Haftung der Erben

Die Erben haften grundsätzlich für die Schulden des Erblassers. Dies umfasst sowohl Erblasserschulden, die zum Zeitpunkt des Todes bereits bestanden haben, als auch Erbfallschulden, die durch den Tod entstanden sind, wie zum Beispiel Beerdigungskosten.

Die Haftung der Erben ist jedoch auf den Wert der Erbschaft begrenzt. Das bedeutet, dass die Erben nicht mit ihrem eigenen Vermögen für die Schulden des Erblassers haften müssen. Sie können die Haftung auf die Erbschaft beschränken, indem sie die sogenannte Dürftigkeitseinrede erheben oder die Erbschaft ausschlagen.

Die Erben sind verpflichtet, die Schulden des Erblassers zu begleichen und die Erbschaftsteuer zu entrichten. Sie müssen dafür sorgen, dass die Erbschaft ordnungsgemäß verwaltet und abgewickelt wird und die Vermächtnisse und Auflagen erfüllt werden.

Die Ausschlagung der Erbschaft

Die Erben haben die Möglichkeit, die Erbschaft auszuschlagen, wenn sie zum Beispiel nicht für die Schulden des Erblassers haften möchten oder wenn sie aus anderen Gründen nicht erben wollen. Die Ausschlagung muss innerhalb von sechs Wochen nach Kenntnis des Erbfalls und der Erbenstellung beim zuständigen Nachlassgericht erklärt werden.

Die Frist verlängert sich auf sechs Monate, wenn der Erblasser seinen letzten Wohnsitz im Ausland hatte oder wenn der Erbe im Ausland lebt. Die Ausschlagung kann auch rückwirkend erfolgen, wenn der Erbe zum Zeitpunkt der Ausschlagung noch minderjährig ist und die Ausschlagung später von seinen gesetzlichen Vertretern genehmigt wird.

Nach der Ausschlagung tritt die gesetzliche Erbfolge ein, als ob der ausschlagende Erbe nicht existiert hätte. Das bedeutet, dass die Erbschaft an die nächstberechtigten Erben weitergegeben wird.

Der Erbschein

Der Erbschein ist ein amtliches Dokument, das die Erbenstellung und die Erbquoten der Erben bestätigt. Er wird vom zuständigen Nachlassgericht auf Antrag der Erben ausgestellt und ist vor allem dann erforderlich, wenn die Erben Grundstücke und Immobilien übertragen oder Bankkonten des Erblassers auflösen möchten.

Der Erbschein ist in der Regel kostenpflichtig und seine Gebühren richten sich nach dem Wert der Erbschaft. Er kann auch befristet oder unter Vorbehalt ausgestellt werden, wenn die Erbenstellung oder die Erbquoten noch nicht abschließend geklärt sind.

Aktuelle Gerichtsurteile

Im Folgenden stellen wir einige aktuelle Gerichtsurteile vor, die für das Verständnis des Erbrechts von Bedeutung sind:

  1. Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 12.10.2016, Az. IV ZR 292/14: Der BGH hat entschieden, dass der Nachweis der Erbenstellung auch durch ein notarielles Testament erfolgen kann, wenn dieses die Erbeinsetzung eindeutig und zweifelsfrei bestätigt. In diesem Fall ist ein Erbschein nicht zwingend erforderlich.
  2. BGH, Urteil vom 14.06.2017, Az. IV ZR 233/16: Der BGH hat klargestellt, dass bei der Berechnung des Pflichtteils ein vom Erblasser zu Lebzeiten verschenktes Grundstück nicht mit dem Verkehrswert, sondern mit dem Wert zum Zeitpunkt der Schenkung anzusetzen ist. Dabei ist auf die übliche Kaufpreisermittlung für Grundstücke abzustellen.
  3. BGH, Urteil vom 27.09.2017, Az. IV ZR 28/16: Der BGH hat entschieden, dass eine im Ausland geschlossene gleichgeschlechtliche Ehe in Deutschland anerkannt werden muss und dem eingetragenen Lebenspartner ein Pflichtteilsrecht zusteht, wenn die Ehe nach dem Recht des Heimatlandes wirksam ist.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

In diesem Abschnitt beantworten wir einige häufig gestellte Fragen zum Erbrecht:

  1. Wie kann ich meine Erben bestimmen? Sie können Ihre Erben durch ein Testament oder einen Erbvertrag bestimmen. Das Testament kann handschriftlich oder öffentlich (durch einen Notar) verfasst werden. Der Erbvertrag ist eine notariell beurkundete Vereinbarung zwischen Ihnen und Ihren Erben, die auch vertragliche Verpflichtungen der Erben beinhalten kann.
  2. Was passiert, wenn ich kein Testament hinterlasse? Wenn Sie kein Testament hinterlassen oder wenn Ihr Testament unwirksam ist, tritt die gesetzliche Erbfolge ein. Das bedeutet, dass Ihre nächsten Verwandten nach einem bestimmten Ordnungssystem erben (siehe oben unter „Die gesetzlichen Erben“).
  3. Wie kann ich mein Erbe ausschlagen? Um Ihr Erbe auszuschlagen, müssen Sie innerhalb von sechs Wochen nach Kenntnis des Erbfalls und Ihrer Erbenstellung eine Erklärung beim zuständigen Nachlassgericht abgeben. Wenn der Erblasser im Ausland lebte oder Sie im Ausland leben, verlängert sich die Frist auf sechs Monate.
  4. Wie hoch ist die Erbschaftsteuer? Die Erbschaftsteuer richtet sich nach dem Wert der Erbschaft und dem Verwandtschaftsverhältnis zwischen Erblasser und Erben. Es gibt drei Steuerklassen und verschiedene Freibeträge, die je nach Verwandtschaftsgrad variieren. Die genauen Steuersätze und Freibeträge können Sie dem Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz (ErbStG) entnehmen.
  5. Kann ich ein Vermächtnis oder eine Auflage anfechten? Sie können ein Vermächtnis oder eine Auflage anfechten, wenn Sie ein berechtigtes Interesse daran haben und die Anfechtungsvoraussetzungen erfüllt sind. Dazu gehört zum Beispiel, dass die Verfügung des Erblassers auf einem Irrtum, einer Täuschung oder einer Drohung beruht. Die Anfechtung muss innerhalb eines Jahres nach Kenntnis des Anfechtungsgrundes beim zuständigen Nachlassgericht erklärt werden.

Fazit

Das Erbrecht ist ein komplexes Rechtsgebiet, das sowohl die Rechte als auch die Pflichten der Erben umfasst. Es ist wichtig, sich mit den verschiedenen Anspruchsgrundlagen im Erbrecht vertraut zu machen und zu wissen, welche gesetzlichen Regelungen und aktuelle Gerichtsurteile für Ihren Fall relevant sein könnten. Wenn Sie Fragen zum Erbrecht haben oder Unterstützung bei der Geltendmachung Ihrer Ansprüche benötigen, empfiehlt es sich, einen erfahrenen Rechtsanwalt für Erbrecht zu konsultieren.

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Philipp Franz | Rechtsanwalt | Associate

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