Die Vereinbarkeit von Beruf und Gesundheitsvorsorge kann für Arbeitnehmer und Arbeitgeber manchmal eine Herausforderung darstellen. Als Arbeitgeber stellt sich oft die Frage, ob Sie Arztbesuche während der Arbeitszeit hinnehmen müssen und welche Regelungen, Grenzen und Voraussetzungen hier gelten. In diesem Blog-Beitrag möchten wir Ihnen als erfahrene Anwaltskanzlei einen umfassenden Überblick über die Thematik geben, relevante Gesetze und Regelungen erläutern, und häufig gestellte Fragen adressieren.

Inhalt:

Gesetzliche Grundlagen

Um die Frage zu beantworten, ob ein Arbeitgeber Arztbesuche während der Arbeitszeit akzeptieren muss, ist es wichtig, sich zunächst die gesetzliche Grundlage anzuschauen. In Deutschland ist das Arbeitsrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) sowie in zahlreichen Spezialgesetzen geregelt. In Bezug auf medizinische Behandlungen während der Arbeitszeit spielen vor allem folgende Gesetze und Regelungen eine Rolle:

Es ist wichtig zu beachten, dass § 616 BGB in der Praxis häufig durch Arbeitsverträge, Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträge eingeschränkt oder ausgeschlossen wird und somit den Einzelfall betrachtet werden muss.

Pflichten des Arbeitnehmers

Grundsätzlich hat der Arbeitnehmer laut § 3 Satz 1 ArbZG eine Arbeitspflicht, die während der vereinbarten Arbeitszeit einzuhalten ist. Arztbesuche innerhalb der Arbeitszeit können jedoch zulässig sein, wenn der Arbeitnehmer bestimmte Pflichten erfüllt:

  • Dokumentationspflicht: Der Arbeitnehmer muss den Arztbesuch durch geeignete Unterlagen, wie etwa eine Bescheinigung des Arztes, nachweisen.
  • Ankündigungspflicht: Der Arbeitnehmer sollte den Arbeitgeber so früh wie möglich über den bevorstehenden Arztbesuch informieren und dabei auch den voraussichtlichen Zeitpunkt und die Dauer des Termins angeben.
  • Arztbesuch außerhalb der Arbeitszeit unzumutbar: Der Arbeitnehmer muss darlegen, dass der Arztbesuch während der Arbeitszeit unaufschiebbar war und ein Termin außerhalb der Arbeitszeit nicht zumutbar oder möglich gewesen wäre.

Pflichten des Arbeitgebers

Als Arbeitgeber haben Sie bestimmte Fürsorgepflichten gegenüber Ihren Arbeitnehmern. Diese ergeben sich aus § 241 Abs. 2 BGB und § 618 BGB. Dazu gehört unter anderem, auf die Gesundheit der Arbeitnehmer Rücksicht zu nehmen und ihnen erforderliche ärztliche Behandlungen zu ermöglichen. Unter bestimmten Voraussetzungen sind Arbeitgeber daher verpflichtet, Arztbesuche während der Arbeitszeit zu gestatten:

  • Der Arbeitnehmer kann nachweisen, dass der Arztbesuch unaufschiebbar ist und kein geeigneter Termin außerhalb der Arbeitszeit verfügbar war.
  • Der Arbeitnehmer hat den Arztbesuch im Voraus angekündigt und über die voraussichtliche Dauer informiert.
  • Der Arztbesuch führt nicht zu einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung des Betriebsablaufs oder der betrieblichen Interessen.

Erlaubte Absenzen während der Arbeitszeit

Grundsätzlich sind Arztbesuche während der Arbeitszeit erlaubt, wenn sie unaufschiebbar sind. Hierbei sind jedoch einige Fallgruppen zu unterscheiden:

  • Notfälle: In akuten Notfällen, bei plötzlich auftretenden Erkrankungen oder bei Unfällen ist der Arbeitnehmer unmittelbar von seiner Arbeitspflicht entbunden und darf während der Arbeitszeit einen Arzt aufsuchen.
  • Regelmäßige Behandlungen: Bei regelmäßigen Behandlungen, wie etwa Dialyse oder Chemotherapie, gilt die Arbeitsbefreiung in der Regel als unaufschiebbar und muss vom Arbeitgeber akzeptiert werden.
  • Vorsorgeuntersuchungen: Bei Vorsorgeuntersuchungen sollte der Arbeitnehmer nach Möglichkeit versuchen, Termine außerhalb der Arbeitszeit wahrzunehmen. Kann dies jedoch nicht realisiert werden, kann die Arbeitsbefreiung unter bestimmten Voraussetzungen auch während der Arbeitszeit gewährt werden.

Einfluss von Tarifverträgen und Arbeitsverträgen

Sowohl Tarifverträge als auch individuelle Arbeitsverträge können Regelungen enthalten, die von den gesetzlichen Bestimmungen abweichen. In einigen Fällen kann dies zu einer günstigeren Regelung für den Arbeitnehmer oder den Arbeitgeber führen. Es ist daher von großer Bedeutung, die entsprechenden Verträge und Vereinbarungen zu prüfen, um im Einzelfall Klarheit über die Rechte und Pflichten beider Parteien zu erlangen.

Betriebliche Interessen berücksichtigen

Ein weiterer Aspekt bei der Frage, ob ein Arbeitgeber einen Arztbesuch während der Arbeitszeit akzeptieren muss, sind die betrieblichen Interessen. Der Arbeitgeber kann die Freistellung von der Arbeit verweigern, wenn der Arztbesuch zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Betriebsablaufs führen würde oder die betrieblichen Interessen unverhältnismäßig beeinträchtigt wären.

Fortzahlung des Arbeitsentgelts bei Arztbesuch während der Arbeitszeit

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Frage, ob ein Arbeitnehmer bei einem Arbeitsausfall wegen eines Arztbesuchs einen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts hat. Dies ist im § 616 BGB geregelt. Der Paragraf besagt, dass der Arbeitnehmer in solchen Fällen sein Entgelt weiterhin erhält, sofern die Verhinderung nur eine „verhältnismäßig kurze“ Zeit dauert – eine genaue Definition dieser zeitlichen Grenze gibt es jedoch nicht.

Wichtig ist hierbei erneut der Hinweis, dass § 616 BGB durch Arbeitsverträge, Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträge eingeschränkt oder ausgeschlossen werden kann. In solchen Fällen wäre der Arbeitnehmer während eines Arztbesuchs nicht zur Fortzahlung des Entgelts verpflichtet. Daher ist es unerlässlich, die individuellen Verträge und Vereinbarungen auf solche Regelungen zu überprüfen.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Müssen Arztbesuche immer während der Arbeitszeit erlaubt sein?

Ein eindeutiges „Ja“ oder „Nein“ kann hier nicht gegeben werden, da es auf die konkreten Umstände des jeweiligen Falls ankommt. Generell ist zu sagen, dass der Arbeitgeber Arztbesuche während der Arbeitszeit akzeptieren muss, wenn diese unaufschiebbar sind und der Arbeitnehmer seinen Verpflichtungen (Dokumentation, Ankündigung) nachkommt. Allerdings kann der Arbeitgeber die Freistellung verweigern, wenn betriebliche Interessen unverhältnismäßig beeinträchtigt werden.

Wie lange darf ein Arztbesuch während der Arbeitszeit dauern?

Die Dauer eines Arztbesuchs während der Arbeitszeit sollte sich auf das unbedingt Notwendige beschränken. Neben der eigentlichen Untersuchung oder Behandlung sind hierbei auch angemessene Zeiten für den Hin- und Rückweg sowie eventuelle Wartezeiten im Arztpraxis zu berücksichtigen. Ein genaues Zeitlimit lässt sich jedoch nicht festlegen, da dies von den Umständen des jeweiligen Falls abhängig ist.

Wie verhält es sich mit Arztbesuchen, die außerhalb der regulären Sprechzeiten stattfinden?

In solchen Fällen sollte der Arbeitnehmer nach Möglichkeit versuchen, den Termin auf einen Zeitraum zu legen, der außerhalb der Arbeitszeit liegt – zum Beispiel am frühen Morgen, am späten Nachmittag oder während der Mittagspause. Ist dies nicht möglich, sollte der Arbeitnehmer ausführlich darlegen, warum ein Termin außerhalb der Arbeitszeit nicht zumutbar oder möglich gewesen wäre, damit der Arbeitgeber über den Antrag entscheiden kann.

Müssen Arbeitgeber in jedem Fall die Fortzahlung des Arbeitsentgelts während eines Arztbesuchs gewährleisten?

Grundsätzlich sieht § 616 BGB die Fortzahlung des Arbeitsentgelts bei einer verhältnismäßig kurzen Verhinderung des Arbeitnehmers vor. Allerdings kann diese Regelung durch Arbeitsverträge, Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträge eingeschränkt oder ausgeschlossen werden. Daher sollten Sie als Arbeitgeber die entsprechenden Verträge auf solche Regelungen prüfen, um Klarheit über Ihre Pflichten zu erhalten.

Wie verhält es sich mit der Fortzahlung des Arbeitsentgelts bei Teilzeitarbeit oder bei Arbeitnehmern, die nur an bestimmten Tagen arbeiten?

Auch bei Teilzeitarbeit oder bei Arbeitnehmern, die nur an bestimmten Tagen arbeiten, greift grundsätzlich die Regelung gemäß § 616 BGB zur Fortzahlung des Entgelts. Die Berechnung des fortzuzahlenden Entgelts erfolgt dabei auf der Basis der vereinbarten Arbeitszeit und Entlohnung. Auch hier gilt jedoch, dass die Regelung durch Verträge eingeschränkt oder ausgeschlossen sein kann.

Fazit

Als Arbeitgeber haben Sie grundsätzlich eine Fürsorgepflicht gegenüber Ihren Arbeitnehmern und müssen somit unter bestimmten Voraussetzungen Arztbesuche während der Arbeitszeit akzeptieren. Dabei sind sowohl die gesetzlichen Regelungen als auch die jeweiligen vertraglichen Vereinbarungen – Arbeitsverträge, Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge – zu beachten. Es ist unerlässlich, die individuellen Umstände des Einzelfalls zu prüfen und sich bei Unsicherheiten rechtlichen Rat einzuholen, um sowohl die Interessen des Arbeitnehmers als auch die betrieblichen Interessen angemessen zu berücksichtigen.

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