Der Beibringungsgrundsatz spielt im deutschen Prozessrecht eine zentrale Rolle. In diesem Artikel widmen wir uns dem Grundsatz und seinen verschiedenen Ausprägungen im Zivilprozess, Strafprozess, und Verwaltungsprozess. Wir berücksichtigen dabei die rechtlichen Implikationen dieses Prinzips und zeigen auf, welche Bedeutung es für die Praxis hat. Mit der Darstellung aktueller Gerichtsurteile und einer Diskussion häufig auftretender Fragen möchten wir Ihnen ein anschauliches Bild dieses fundamentalen Elements im deutschen Rechtswesen vermitteln.
Was ist der Beibringungsgrundsatz?
Der Beibringungsgrundsatz besagt, dass die Verantwortung für das Vorbringen von Tatsachen und Beweismitteln, auf denen die Entscheidung eines Gerichts beruht, grundsätzlich bei den Parteien liegt. Das bedeutet, dass es im Prozess Sache der Parteien ist, die für ihren Fall relevanten Tatsachen und Beweismittel „beizubringen“. Anders formuliert: das Gericht ist nicht verpflichtet, von sich aus nach Tatsachen und Beweisen zu suchen, diese Verantwortung liegt ausschließlich bei den Parteien.
Der Beibringungsgrundsatz findet seine gesetzliche Grundlage in verschiedenen gesetzlichen Regelungen, je nachdem, ob es sich um den Zivil-, Straf- oder Verwaltungsprozess handelt:
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- Zivilprozess: § 138 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) – „Die tatsächlichen Behauptungen einer Partei sind vom Gericht nur insoweit zu berücksichtigen, als die andere Partei sie für wahr hält oder deren Unrichtigkeit nach § 292 Absatz 1, § 293 nicht zu besorgen ist.“;
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- Strafprozess: Keine ausdrückliche gesetzliche Regelung, jedoch folgt er aus dem Prinzip des Anklage- bzw. Verteidigungsrechts, das in § 244 Abs. 2 StPO und § 261 StPO zum Ausdruck kommt;
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- Verwaltungsprozess: § 86 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und § 99 VwGO.
Der Beibringungsgrundsatz ist nicht nur für das Gerichtsverfahren selbst relevant, sondern auch für die Möglichkeit, in die nächste Instanz zu gehen und etwaige Fehler im erstinstanzlichen Verfahren aufzuzeigen. In diesen Fällen erfüllt der Beibringungsgrundsatz eine Sicherungsfunktion zugunsten der Rechtsstellung der Parteien und der Effektivität der Rechtspflege.
Ausnahmen vom Beibringungsgrundsatz
Der Beibringungsgrundsatz ist nicht in jedem Fall anwendbar. Es gibt Ausnahmen, bei denen das Gericht auch ohne Vorbringen der Parteien Tatsachen und Beweismittel berücksichtigen kann oder sogar selbst nach solchen suchen muss:
- Amtsermittlungsgrundsatz im Sozialgerichtsverfahren: gemäß § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind Sozialgerichte verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln.
- Beweisverwertungsverbote: In einigen Fällen dürfen Beweismittel, obwohl sie von den Parteien beigebracht wurden, vom Gericht nicht verwertet werden. Zum Beispiel wenn ein Geständnis unter Folter abgelegt wurde, oder wenn gesetzeswidrig abgehörte Telefonate als Beweismittel dienen sollen.
- Offenkundige Tatsachen: Sogenannte offenkundige Tatsachen sind allgemein zugängliche und leicht zu erkennende Informationen, die das Gericht ohne Beweisantritt der Parteien zur Kenntnis nehmen darf.
Der Beibringungsgrundsatz im Zivilprozess
Im Zivilprozess ergeben sich die Ausprägungen des Beibringungsgrundsatzes in erster Linie aus § 138 Abs. 1 ZPO. Diese Vorschrift bestimmt, dass die tatsächlichen Behauptungen der Parteien vom Gericht nur dann zu berücksichtigen sind, wenn die Gegenseite sie für wahr hält oder ihre Unrichtigkeit nicht besorgen muss.
Beispiel
In einem Zivilprozess bezieht sich der Kläger auf eine angeblich in einem Vertrag enthaltene Regelung. Die Gegenseite bestreitet das Vorhandensein einer solchen Regelung. Hier liegt die Verantwortung beim Kläger, diese Behauptung etwa durch Vorlage des Vertrags zu beweisen.
Davon abgesehen können sich im Zivilprozess teilweise Beweislastumkehrungen ergeben, etwa:
- bei Anscheinsbeweisen: Wenn ein typischer Geschehensablauf für eine bestimmte Ursache spricht, kann die Beweislast auf die Gegenseite verlagert werden, die das Gegenteil beweisen muss;
- im Rahmen der Schadensersatzpflicht: Gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist der Schuldner verpflichtet, darzulegen und zu beweisen, dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
Aktuelle Gerichtsurteile im Zivilprozess
Die folgenden aktuellen Gerichtsurteile verdeutlichen die Anwendung des Beibringungsgrundsatzes im Zivilrecht:
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- Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 06.11.2019, Az. VIII ZR 295/18: In diesem Fall musste der Kläger – ein Vermieter – zum Nachteil seines Mieters behaupten, dass dieser eine Kündigung wegen Eigenbedarfs rechtmäßig sei, was der Mieter bestritt. Der Vermieter trug die Beweislast und musste daher durch Vorlage entsprechender Belege glaubhaft machen, dass der Eigenbedarf tatsächlich bestand und die Kündigung damit rechtens war.
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- Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt, Urteil vom 20.02.2019, Az. 13 U 141/18: In diesem Fall ging es um Schadensersatzansprüche infolge eines Verkehrsunfalls. Die geschädigte Klägerin machte geltend, dass der beklagte Unfallverursacher das Fahrzeug bei Rot über die Ampel gefahren hatte. Da die Beklagte dieses Vorbringen bestritt, oblag es der Klägerin, für ihre Behauptungen Beweise zu liefern, auf deren Grundlage das Gericht entscheiden konnte.
Der Beibringungsgrundsatz im Strafprozess
Im Strafprozess findet der Beibringungsgrundsatz seine Anwendung im Rahmen der Verteidigungsrechte des Angeklagten und des Prinzips der materiellen Wahrheit. Hierbei gilt grundsätzlich der sogenannte „In-dubio-pro-reo-Grundsatz“: Im Zweifel ist zugunsten des Angeklagten zu entscheiden. Entscheidend ist dabei die Überzeugung des Gerichts von der Schuld oder Unschuld des Angeklagten aufgrund der in der Hauptverhandlung vorgebrachten Beweismittel.
Aktuelle Gerichtsurteile im Strafprozess
Die folgenden aktuellen Gerichtsurteile verdeutlichen die Anwendung des Beibringungsgrundsatzes im Strafrecht:
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- Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 05.12.2018, Az. 1 StR 454/18: In diesem Fall ging es um einen Angeklagten, der des Diebstahls sowie der Beihilfe zur Unterschlagung bezichtigt wurde. Da der Angeklagte den Vorwurf bestritt und keine Beweise aufbrachte, die Beweislast hinsichtlich der Schuld des Angeklagten bei der Staatsanwaltschaft lag. Mangels ausreichender Beweise wurde der Angeklagte in diesem Fall freigesprochen.
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- Oberlandesgericht (OLG) Hamm, Urteil vom 26.06.2018, Az. 1 RVs 49/18: In diesem Fall ging es um den Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung. Die Staatsanwaltschaft beschuldigte den Angeklagten, das Opfer mit einer Eisenstange geschlagen und dabei Absicht und Heimtücke an den Tag gelegt zu haben. Der Angeklagte bestritt die Tat, woraufhin die Staatsanwaltschaft die Beweislast trug. Mangels hinreichender Beweislage hob das OLG das erstinstanzliche Urteil auf, und der Angeklagte wurde freigesprochen.
Der Beibringungsgrundsatz im Verwaltungsprozess
Die Hauptanwendungsgebiete des Beibringungsgrundsatzes im Verwaltungsprozess sind das verwaltungsgerichtliche Verfahren gemäß § 86 Abs. 1 VwGO und das Verfahren auf Überprüfung einer getroffenen Entscheidung gemäß § 99 VwGO. In der Regel obliegt es den Beteiligten, die Tatsachen und Beweise beizubringen, auf denen die Entscheidung des Gerichts beruht. Allerdings gilt auch hier das Prinzip der Amtsermittlung, wonach das Gericht von Amts wegen ermitteln kann, wenn die Sachverhaltsaufklärung unzureichend ist.
Aktuelle Gerichtsurteile im Verwaltungsprozess
Die folgenden aktuellen Gerichtsurteile verdeutlichen die Anwendung des Beibringungsgrundsatzes im Verwaltungsrecht:
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- Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 12.12.2019, Az. 1 C 44.18: In diesem Fall ging es um einen Kläger, der sich gegen die Erteilung einer Baugenehmigung an einen benachbarten Bauherrn wandte. Der Kläger behauptete eine Verletzung seines Rechts auf natürliche Beleuchtung seines Grundstücks. Da die beklagte Baugenehmigungsbehörde dies bestritt, oblag es dem Kläger, seine Behauptungen zu beweisen und entsprechende Unterlagen beizubringen. Das BVerwG gab dem Kläger Recht, da dieser seine Ansprüche hinreichend belegen konnte.
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- Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf, Urteil vom 07.11.2018, Az. 26 K 4461/17: In diesem Fall wandte sich ein Kläger gegen die Feststellung einer Nacherfüllungsverpflichtung hinsichtlich der Entfernung von Altlasten auf einem Grundstück. Die beklagte Behörde argumentierte mit einer möglichen Gefahrenabwehr. Der Kläger bestritt diese Gefahrenlage, woraufhin es der Behörde oblag, diese tatsächlich nachzuweisen. Da dies nicht gelang, gab das VG dem Kläger Recht.
FAQs zum Beibringungsgrundsatz
Was ist der Beibringungsgrundsatz?
Der Beibringungsgrundsatz besagt, dass im gerichtlichen Verfahren grundsätzlich die Parteien die Verantwortung für das Vorbringen der Tatsachen und Beweise tragen, auf denen die Entscheidung des Gerichts beruht.
Gibt es Ausnahmen vom Beibringungsgrundsatz?
Ausnahmen vom Beibringungsgrundsatz sind etwa der Amtsermittlungsgrundsatz im Sozialgerichtsverfahren, Beweisverwertungsverbote und die Berücksichtigung offenkundiger Tatsachen.
In welchen Rechtsgebieten findet der Beibringungsgrundsatz Anwendung?
Der Beibringungsgrundsatz findet im deutschen Prozessrecht Anwendung, insbesondere im Zivil-, Straf- und Verwaltungsprozess.
Welche Rolle spielt der Beibringungsgrundsatz im Zivilprozess?
Im Zivilprozess bestimmt der Beibringungsgrundsatz, dass die tatsächlichen Behauptungen der Parteien vom Gericht nur dann berücksichtigt werden, wenn die Gegenseite sie für wahr hält oder ihre Unrichtigkeit nicht besorgen muss. Es können auch Beweislastumkehrungen relevant werden.
Inwiefern ist der Beibringungsgrundsatz im Strafprozess relevant?
Im Strafprozess findet der Beibringungsgrundsatz insbesondere Anwendung im Rahmen der Verteidigungsrechte des Angeklagten und des Prinzips der materiellen Wahrheit. Dort gilt grundsätzlich der In-dubio-pro-reo-Grundsatz, wobei das Gericht durch die vorgebrachten Beweismittel von der Schuld oder Unschuld des Angeklagten überzeugt sein muss.
Zusammenfassung
Der Beibringungsgrundsatz hat eine zentrale Bedeutung im deutschen Prozessrecht. Im Zivil-, Straf-, und Verwaltungsprozess obliegt es grundsätzlich den Parteien, die für ihren Fall relevanten Tatsachen und Beweismittel vorzubringen. Ausnahmen, wie der Amtsermittlungsgrundsatz im Sozialgerichtsverfahren, Beweisverwertungsverbote und die Berücksichtigung offenkundiger Tatsachen, verdeutlichen die Flexibilität und Vielseitigkeit dieses Prinzips. Die dargestellten aktuellen Gerichtsurteile und FAQs bieten einen umfassenden Überblick über die Auswirkungen und Anwendung des Beibringungsgrundsatzes in der Rechtspraxis. Damit beweist dieses Prinzip einmal mehr seine fundamentale Bedeutung und Relevanz im deutschen Rechtswesen.
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