Bewusste Fahrlässigkeit ist ein Begriff, der in verschiedenen Rechtsgebieten eine wichtige Rolle spielt. Obwohl der Begriff für Laien zunächst unklar erscheinen mag, ist seine Bedeutung für den rechtlichen Alltag, insbesondere im Schadensersatz- und Strafrecht, unbestritten.
In diesem umfangreichen, gut recherchierten Beitrag werden wir Ihnen die rechtliche Einordnung der bewussten Fahrlässigkeit erläutern, ihre verschiedenen Perspektiven skizzieren und konkrete Beispiele für die möglichen Folgen darstellen. Wir werden auch auf aktuelle Gerichtsurteile eingehen und einige häufig gestellte Fragen beantworten.
Gliederung
- Rechtliche Definition von Fahrlässigkeit und bewusster Fahrlässigkeit
- Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit
- Bewusste Fahrlässigkeit im Schadensersatzrecht
- Bewusste Fahrlässigkeit im Strafrecht
- Die Rolle der Verkehrssicherungspflicht
- Tatbestandsmäßigkeit und Schuld im Zusammenhang mit der bewussten Fahrlässigkeit
- Konkrete Beispiele für bewusste Fahrlässigkeit und ihre Folgen
- Aktuelle Gerichtsurteile zur bewussten Fahrlässigkeit
- FAQs zu bewusster Fahrlässigkeit
- Bewusste Fahrlässigkeit: unser Fazit
Rechtliche Definition von Fahrlässigkeit und bewusster Fahrlässigkeit
Um zu verstehen, was bewusste Fahrlässigkeit bedeutet, ist es notwendig, zunächst die allgemeine Fahrlässigkeit zu definieren. Fahrlässigkeit bezieht sich auf ein Verhalten, bei dem eine Person ihre Sorgfaltspflicht verletzt. Dies kann geschehen, wenn sie nicht die erforderliche Sorgfalt walten lässt, um andere vor Schäden zu schützen, oder wenn sie die möglichen Folgen ihrer Handlung nicht in Betracht zieht. Im deutschen Recht wird zwischen einfacher und grober Fahrlässigkeit unterschieden.
Bewusste Fahrlässigkeit ist ein spezieller Begriff, der verwendet wird, wenn eine Person sich der Fahrlässigkeit ihrer Handlung bewusst ist, aber dennoch fortfährt, ohne die erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Beispielsweise wäre ein Autofahrer, der sich bewusst ist, dass sein Fahrzeug Mängel aufweist, aber dennoch am öffentlichen Verkehr teilnimmt, bewusst fahrlässig.
Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit
Die bewusste Fahrlässigkeit kann, insbesondere im Strafrecht, nahe am Vorsatz liegen. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden liegt jedoch in der Absicht des Handelnden. Bei Vorsatz liegt eine Absicht vor, bei Fahrlässigkeit hingegen nicht. Ein vorsätzlich handelnder Mensch begeht eine Handlung mit dem Ziel, die konkreten Folgen herbeizuführen oder zumindest billigend in Kauf zu nehmen. Fahrlässiges Handeln hingegen ist gekennzeichnet durch das Fehlen dieser Absicht, die Folgen werden jedoch fahrlässigerweise herbeigeführt.
Die Abgrenzung zwischen Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit kann in der Praxis schwierig sein, da der Grad der Kenntnisnahme und das Ausmaß der Inkaufnahme der möglichen Folgen eine Rolle spielen. Entscheidend ist dabei der Gesamtsachverhalt und die individuelle Perspektive des Handelnden, also seine konkrete Kenntnis, Einsicht und Vorstellungsfähigkeit der möglichen Folgen seines Handelns.
Bewusste Fahrlässigkeit im Schadensersatzrecht
Die bewusste Fahrlässigkeit spielt eine wichtige Rolle im Schadensersatzrecht, insbesondere hinsichtlich der Haftung und der Beweislast. Gemäß § 823 Abs. 1 BGB haftet ein Schädiger, der fahrlässig die Rechtsgüter Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, für den entstandenen Schaden. Die Haftung kann jedoch durch Verschulden des Geschädigten gemäß § 254 BGB reduziert werden, wenn dieser zur Entstehung oder Vergrößerung des Schadens durch eigenes Verschulden beigetragen hat.
Die bewusste Fahrlässigkeit kann die Haftung in bestimmten Fällen verschärfen, beispielsweise wenn eine Person bewusst gegen Sicherheitsvorschriften verstößt oder grob fahrlässig handelt. Auf der anderen Seite kann die Haftung eines Schädigers reduziert werden oder sogar entfallen, wenn der Geschädigte selbst bewusst fahrlässig gehandelt hat und in erheblichem Maße zur Schadensentstehung beigetragen hat.
Im Schadensersatzrecht obliegt die Beweislast grundsätzlich dem Geschädigten. Er muss beweisen, dass der Schädiger fahrlässig gehandelt hat und ihm dadurch ein Schaden entstanden ist. In bestimmten Fällen kann jedoch eine Beweislastumkehr eintreten, beispielsweise bei Verkehrsunfällen, bei denen eine Person die Verkehrssicherungspflicht verletzt hat (z. B. durch überhöhte Geschwindigkeit) und dadurch ein Unfall entstanden ist.
Bewusste Fahrlässigkeit im Strafrecht
Im Strafrecht spielt die bewusste Fahrlässigkeit ebenfalls eine wichtige Rolle. Die Unterscheidung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit ist im Strafrecht relevant, da sie Einfluss auf die Anwendung und Höhe von Strafen hat. Gemäß § 15 StGB wird vorsätzliches Handeln grundsätzlich strenger bestraft als fahrlässiges Handeln. Allerdings kann bewusste Fahrlässigkeit in bestimmten Fällen eine Bestrafung bewirken, die sich ihrem Ausmaß nach der für vorsätzliches Handeln vorgesehenen Strafe annähert.
Ein Beispiel hierfür ist die fahrlässige Tötung gemäß § 222 StGB, bei der das Strafmaß bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe beträgt. Bei bewusster Fahrlässigkeit im Rahmen der fahrlässigen Tötung ist es möglich, dass die Strafe eher am oberen Ende des möglichen Strafmaßes angesiedelt ist.
Die Rolle der Verkehrssicherungspflicht
Die bewusste Fahrlässigkeit wird häufig im Zusammenhang mit der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht diskutiert. Die Verkehrssicherungspflicht ist eine gesetzliche Pflicht, die von Personen ausgeht, die eine Gefahrenquelle schaffen oder kontrollieren. Sie umfasst die Pflichten, die erforderlich sind, um andere vor Gefahren und Schäden zu schützen, die aus der eigenen Handlung oder dem eigenen Grundstück resultieren könnten. Zu den typischen Verkehrssicherungspflichten zählen unter anderem die Räum- und Streupflicht bei Schnee und Eis oder die Verkehrssicherung bei Baustellen und Veranstaltungen.
Die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht kann sowohl zivilrechtliche als auch strafrechtliche Folgen haben. Im Schadensersatzrecht kann eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht zur Haftung für den entstandenen Schaden führen. Im Strafrecht können Verstöße gegen die Verkehrssicherungspflicht als Ordnungswidrigkeiten oder sogar als Straftaten, beispielsweise bei fahrlässigen Körperverletzungen oder fahrlässigen Tötungen, geahndet werden.
Tatbestandsmäßigkeit und Schuld im Zusammenhang mit der bewussten Fahrlässigkeit
Um die bewusste Fahrlässigkeit im rechtlichen Kontext zu beurteilen, sind sowohl die Tatbestandsmäßigkeit als auch die Schuld des Handelnden zu prüfen. Die Tatbestandsmäßigkeit betrifft die Frage, ob die Handlung den objektiven Tatbestand einer Rechtsnorm erfüllt, d. h., ob die Handlung gegen eine gesetzlich geschützte Rechtsposition verstößt. Die Schuld hingegen betrifft das innerliche Verhalten der handelnden Person und ihre Einstellung zu den Folgen ihres Handelns.
Im Falle der bewussten Fahrlässigkeit liegt die Tatbestandsmäßigkeit in der Verletzung einer Sorgfaltspflicht, während die Schuld in dem Bewusstsein des Handelnden besteht, dass er die Sorgfaltspflicht verletzt und möglicherweise die rechtlich geschützten Rechtsgüter anderer gefährdet. Die bewusste Fahrlässigkeit setzt somit eine erkennbare Verletzung der Sorgfaltspflicht bei gleichzeitigem Bewusstsein des Schädigers über sein fahrlässiges Handeln voraus.
Konkrete Beispiele für bewusste Fahrlässigkeit und ihre Folgen
Um die rechtlichen Auswirkungen der bewussten Fahrlässigkeit besser zu verdeutlichen, können die folgenden Beispiele herangezogen werden:
- Fahrlässige Brandstiftung: Eine Person entsorgt bewusst glühende Grillkohle in einer Mülltonne, obwohl ihr bewusst ist, dass dies zu einem Brand führen kann. Sollte es dadurch zu einem Feuer kommen, kann diese Handlung sowohl zivilrechtliche Schadensersatzansprüche als auch strafrechtliche Verfolgung nach § 306a StGB (Fahrlässige Brandstiftung) nach sich ziehen.
- Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit: Ein Autofahrer überschreitet bewusst die Geschwindigkeitsbegrenzung auf einer Autobahn. Bei einem Unfall wegen zu hoher Geschwindigkeit kann dies zu Schadensersatzansprüchen und unter Umständen auch zur strafrechtlichen Verfolgung, etwa wegen fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB) oder fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB), führen.
- Arzt mit entzogener Approbation: Ein Arzt, dem die Approbation entzogen wurde, praktiziert dennoch weiterhin bewusst in seinem Fachgebiet. Dies ist sowohl zivilrechtlich als auch strafrechtlich relevant, etwa wegen Verletzung von Heilpraktikergesetzen oder, falls Patienten geschädigt werden, wegen fahrlässiger Körperverletzung.
Aktuelle Gerichtsurteile zur bewussten Fahrlässigkeit
Um die Bedeutung der bewussten Fahrlässigkeit in der Rechtsprechung zu verdeutlichen, werden nachstehend einige aktuelle Gerichtsurteile dargestellt:
- Bundesgerichtshof, Urteil vom 06.07.2021 – VI ZR 476/19: In diesem Fall hatte ein Hausbesitzer trotz Kenntnis eines möglichen Risikos eine Ölheizung betrieben, die später zu einem Wasserschaden führte. Der BGH entschied, dass ein Schadensersatzanspruch besteht, da der Hausbesitzer bewusst fahrlässig gehandelt hat und somit seine Verkehrssicherungspflicht verletzte.
- Oberlandesgericht Köln, Urteil vom 12.10.2018 – I-20 U 47/18: Hierbei handelt es sich um den Fall eines PKW-Fahrers, der trotz Kenntnis der Witterungsverhältnisse und Winterreifenpflicht mit Sommerreifen fuhr und dadurch einen Unfall verursachte. Das OLG Köln sah hierin eine bewusste Sorgfaltspflichtverletzung und sprach dem Geschädigten Schadensersatz zu.
- Arbeitsgericht Siegburg, Urteil vom 07.11.2018 – 3 Ca 1300/18: In diesem Verfahren wurde die fristlose Kündigung eines Mitarbeiters bestätigt, der bewusst gegen Datenschutzvorschriften verstoßen und sensible Personendaten weitergegeben hatte. Das Gericht bewertete dies als schwerwiegende Verletzung der vertraglichen Nebenpflichten.
FAQs zu bewusster Fahrlässigkeit
Im Folgenden beantworten wir einige häufig gestellte Fragen zur bewussten Fahrlässigkeit:
Fragen 1: Wie unterscheidet sich bewusste Fahrlässigkeit von einfacher Fahrlässigkeit?
Bei der bewussten Fahrlässigkeit handelt der Betroffene in Kenntnis des möglichen Risikos, nimmt jedoch an, dass der schädigende Erfolg eintreten wird. Im Gegensatz dazu ist sich der Betroffene bei einfacher Fahrlässigkeit nicht bewusst, dass sein Verhalten ein Risiko darstellt oder die Sorgfaltspflicht verletzt.
Frage 2: In welchen Rechtsgebieten spielt bewusste Fahrlässigkeit eine Rolle?
Bewusste Fahrlässigkeit ist in verschiedenen Rechtsgebieten wie Schadensersatzrecht, Strafrecht und im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht relevant.
Frage 3: Haftet ein Betroffener bei bewusster Fahrlässigkeit auch bei einem unvorhersehbaren Schadenseintritt?
Grundsätzlich kann eine Haftung bei bewusster Fahrlässigkeit auch bei einem unvorhersehbaren Schadenseintritt bestehen. Allerdings kann in solchen Fällen die Haftung eingeschränkt oder ausgeschlossen sein, wenn der Schädiger nicht mit dem konkreten Schadenseintritt rechnen musste.
Frage 4: Welche Rolle spielt die Beweislast bei der bewussten Fahrlässigkeit?
Im Schadensersatzrecht obliegt die Beweislast grundsätzlich dem Geschädigten. Er muss nachweisen, dass der Schädiger fahrlässig gehandelt hat und ihm dadurch ein Schaden entstanden ist. In bestimmten Fällen kann jedoch eine Beweislastumkehr eintreten, beispielsweise bei Verkehrsunfällen oder bei Verletzung der Verkehrssicherungspflicht.
Frage 5: Gibt es spezielle gesetzliche Regelungen?
Es gibt keine speziellen Gesetze, die ausschließlich der bewussten Fahrlässigkeit gewidmet sind. Allerdings wird sie innerhalb der allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), wie z.B. § 823, und im Strafgesetzbuch (StGB), wie z.B. § 222, behandelt.
Unser Fazit
Die bewusste Fahrlässigkeit ist ein wichtiger Aspekt im rechtlichen Kontext, der sowohl im Schadensersatz- als auch im Strafrecht eine bedeutende Rolle spielt. Es ist unerlässlich, die Unterschiede zwischen Fahrlässigkeit, bewusster Fahrlässigkeit und Vorsatz zu verstehen, um die rechtlichen Folgen des eigenen Handelns einschätzen zu können.
Der vorliegende Beitrag bietet einen umfassenden Einblick in das Thema, erläutert die gesetzlichen Bestimmungen, die Rolle der Verkehrssicherungspflicht und beantwortet einige häufig gestellte Fragen. Wir hoffen, dass Ihnen dieser Beitrag ein besseres Verständnis der bewussten Fahrlässigkeit und ihrer rechtlichen Einordnung verschafft hat.
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