Der Entschuldigende Notstand ist ein Rechtsbegriff, der sowohl im Deutschen als auch im internationalen Strafrecht von Bedeutung ist. In diesem umfassenden Blog-Beitrag erfahren Sie alles Wissenswerte über den entschuldigenden Notstand, seine rechtlichen Grundlagen und wie er sich auf die Strafbarkeit auswirkt. Wir präsentieren Ihnen dazu einige Beispiele, beleuchten die Rolle der Rechtsprechung und geben Antworten auf häufig gestellte Fragen.
Was ist ein entschuldigender Notstand?
Der entschuldigende Notstand ist eine Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund im Strafrecht. Er liegt vor, wenn eine Person eine Straftat begeht, um eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr von sich, einer ihr nahestehenden Person oder einem fremden Rechtsgut abzuwenden. Dabei muss das Interesse, das durch die Tat geschützt wird, dasjenige, das durch die Tat verletzt wird, deutlich überwiegen.
Der entschuldigende Notstand unterscheidet sich vom rechtfertigenden Notstand dadurch, dass beim rechtfertigenden Notstand die Tat objektiv gerechtfertigt ist, während beim entschuldigenden Notstand die Straftat zwar objektiv nicht gerechtfertigt, aber subjektiv entschuldbar ist. Das bedeutet, dass der Täter zwar objektiv Unrecht getan hat, aber aufgrund der besonderen Umstände für sein Handeln entschuldigt ist.
Rechtliche Grundlagen des entschuldigenden Notstands
Der entschuldigende Notstand ist im deutschen Strafrecht in § 34 StGB geregelt. Die Vorschrift lautet wie folgt:
Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit eine rechtswidrige Tat begeht, um die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person abzuwenden, handelt ohne Schuld, wenn er, bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, insbesondere der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, nicht anders handeln konnte und das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.
Die Regelung im internationalen Strafrecht variiert je nach Rechtsordnung. In einigen Ländern ist der entschuldigende Notstand ähnlich wie im deutschen Strafrecht geregelt, während in anderen Rechtsordnungen der Begriff nicht verwendet wird und stattdessen ähnliche Rechtsfiguren existieren.
Auswirkungen des entschuldigenden Notstands auf die Strafbarkeit
Wenn die Voraussetzungen vorliegen, handelt der Täter ohne Schuld. Das bedeutet, dass er für die begangene Straftat nicht bestraft werden kann. Die Strafbarkeit entfällt jedoch nur, wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind.
Die Voraussetzungen lassen sich in drei Gruppen einteilen:
- Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit
- Abwägung der widerstreitenden Interessen
- Angemessenheit des eingesetzten Mittels
1. Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit
Der entschuldigende Notstand setzt voraus, dass eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit besteht. Dabei muss die Gefahr konkret und unmittelbar bevorstehen und darf nicht lediglich abstrakt oder künftig sein.
Die Gefahr muss zudem nicht anders abwendbar sein, das heißt, dass keine andere, weniger eingriffsintensive Möglichkeit besteht, die Gefahr abzuwenden. Dabei muss der Täter auch alle ihm zumutbaren Möglichkeiten in Betracht ziehen, um die Gefahr abzuwenden.
2. Abwägung der widerstreitenden Interessen
Bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen müssen die betroffenen Rechtsgüter und der Grad der ihnen drohenden Gefahren gegeneinander abgewogen werden. Dabei muss das geschützte Interesse das beeinträchtigte Interesse wesentlich überwiegen.
Bei dieser Abwägung sind insbesondere die konkreten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Hierzu gehören etwa die Schwere der Tat, die Intensität der Gefahr und die Beziehung zwischen Täter und den betroffenen Personen.
3. Angemessenheit des eingesetzten Mittels
Die Tat muss ein angemessenes Mittel sein, um die Gefahr abzuwenden. Das bedeutet, dass das eingesetzte Mittel geeignet und erforderlich sein muss, um die Gefahr abzuwenden, und dass es nicht zu einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung des beeinträchtigten Interesses führen darf.
Beispiele für den entschuldigenden Notstand
Um die Anwendun im Strafrecht besser zu verdeutlichen, sollen im Folgenden einige Beispiele genannt werden:
- Beispiel 1: Eine Mutter entwendet in einem Supermarkt Lebensmittel, um ihre hungernden Kinder zu ernähren. In diesem Fall könnte ein entschuldigender Notstand vorliegen, wenn die Mutter keine andere Möglichkeit hatte, die Lebensmittel auf rechtlichem Weg zu beschaffen und die Notlage ihrer Kinder eine gegenwärtige Gefahr für deren Leben oder Leib darstellt.
- Beispiel 2: Ein Autofahrer fährt bei Rot über eine Ampel, weil er einen schwer verletzten Freund im Auto hat und schnellstmöglich das Krankenhaus erreichen möchte. In diesem Fall könnte ebenfalls ein entschuldigender Notstand vorliegen, wenn der Autofahrer keine andere Möglichkeit hatte, seinen Freund rechtzeitig ins Krankenhaus zu bringen und die Verletzungen des Freundes eine gegenwärtige Gefahr für dessen Leben oder Leib darstellen.
- Beispiel 3: Ein Mann zerbricht das Fenster eines Autos, um ein darin eingeschlossenes Kind zu retten, das in der prallen Sonne stark zu überhitzen droht. Hier könnte ebenfalls ein entschuldigender Notstand vorliegen, wenn keine andere Möglichkeit bestand, das Kind rechtzeitig aus dem Auto zu befreien und die Gefahr einer Überhitzung eine gegenwärtige Gefahr für das Leben oder den Leib des Kindes darstellt.
Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die Anwendung immer von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängt und eine abschließende Beurteilung nur von einem Gericht vorgenommen werden kann.
Rechtsprechung zum entschuldigenden Notstand
Die Rechtsprechung ist sehr vielfältig und umfasst eine Vielzahl von Urteilen, die sich mit unterschiedlichen Sachverhalten und Fragestellungen auseinandersetzen. Einige der wichtigsten Urteile sind:
- Bundesgerichtshof, Urteil vom 18. Mai 1965, Az. 5 StR 30/65: In diesem Urteil hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass der entschuldigende Notstand auch dann vorliegen kann, wenn der Täter die Gefahr selbst verschuldet hat, sofern er die Gefahr nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat und die Voraussetzungen des entschuldigenden Notstands im Übrigen erfüllt sind.
- Bundesgerichtshof, Urteil vom 14. Februar 1968, Az. 3 StR 420/67: In diesem Urteil hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass der entschuldigende Notstand auch dann vorliegen kann, wenn der Täter die Gefahr für das geschützte Rechtsgut durch sein eigenes vorangegangenes rechtswidriges Verhalten herbeigeführt hat, sofern er die Gefahr nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat und die Voraussetzungen des entschuldigenden Notstands im Übrigen erfüllt sind.
- Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 7. Februar 2002, Az. 2 BvR 1599/01: In diesem Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der entschuldigende Notstand auch dann vorliegen kann, wenn der Täter die Gefahr für das geschützte Rechtsgut durch sein eigenes vorangegangenes rechtswidriges Verhalten herbeigeführt hat, sofern er die Gefahr nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat und die Voraussetzungen des entschuldigenden Notstands im Übrigen erfüllt sind.
FAQs zum entschuldigenden Notstand
Lassen Sie uns Ihnen mit den häufigsten Fragen und ihren Antworten weiterhelfen.
Kann der er auch im Zivilrecht Anwendung finden?
Der entschuldigende Notstand ist ein Rechtsbegriff, der primär im Strafrecht Anwendung findet. Im Zivilrecht gibt es ähnliche Regelungen, die jedoch nicht als entschuldigender Notstand bezeichnet werden. So kann etwa im Schadensersatzrecht ein Notstandseinwand zur Entlastung des Schädigers führen, wenn dieser eine Rechtspflichtverletzung begangen hat, um eine gegenwärtige Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden.
Wann liegt ein entschuldigender Notstand vor?
Er liegt vor, wenn eine Person eine Straftat begeht, um eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr von sich, einer ihr nahestehenden Person oder einem fremden Rechtsgut abzuwenden, und dabei das geschützte Interesse das beeinträchtigte Interesse deutlich überwiegt. Die Voraussetzungen sind im deutschen Strafrecht in § 34 StGB geregelt.
Was ist der Unterschied zwischen rechtfertigendem und entschuldigendem Notstand?
Der rechtfertigende Notstand ist eine Rechtsfigur, bei der die Tat objektiv gerechtfertigt ist, das heißt, dass sie als rechtlich zulässig angesehen wird. Beim entschuldigenden Notstand hingegen ist die Tat objektiv nicht gerechtfertigt, aber subjektiv entschuldbar, das bedeutet, dass der Täter zwar objektiv Unrecht getan hat, aber aufgrund der besonderen Umstände für sein Handeln entschuldigt ist.
Kann der entschuldigende Notstand auch bei vorsätzlichen Straftaten vorliegen?
Grundsätzlich kann er auch bei vorsätzlichen Straftaten vorliegen, sofern die Voraussetzungen des entschuldigenden Notstands erfüllt sind. Entscheidend ist dabei, dass der Täter die Straftat begeht, um eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr von sich, einer ihm nahestehenden Person oder einem fremden Rechtsgut abzuwenden, und dabei das geschützte Interesse das beeinträchtigte Interesse deutlich überwiegt.
Kann der entschuldigende Notstand auch bei fahrlässigen Straftaten vorliegen?
Auch bei fahrlässigen Straftaten kann er vorliegen, sofern die Voraussetzungen erfüllt sind. Bei fahrlässigen Straftaten kann jedoch zusätzlich die Frage relevant sein, ob der Täter die Gefahr, die er durch seine Tat abzuwenden versucht, selbst fahrlässig herbeigeführt hat. In solchen Fällen kann er eingeschränkt oder ausgeschlossen sein.
Fazit
Der entschuldigende Notstand ist ein wichtiger Rechtsbegriff im Strafrecht, der in bestimmten Fällen dazu führt, dass eine Straftat als entschuldbar angesehen wird und der Täter für die Tat nicht bestraft werden kann. Die Voraussetzungen sind jedoch streng und müssen im Einzelfall sorgfältig geprüft werden. Sollten Sie rechtliche Fragen zum Thema haben oder sich in einer Situation befinden, in der Sie möglicherweise auf den entschuldigenden Notstand berufen möchten, empfiehlt es sich, einen erfahrenen Rechtsanwalt zu konsultieren, der Sie umfassend beraten und vertreten kann.
Unsere Rechtsanwälte stehen Ihnen bundesweit und im deutschsprachigen Ausland zur Verfügung.
Arthur Wilms | Rechtsanwalt | Associate
Philipp Franz | Rechtsanwalt | Associate
Wolfgang Herfurtner | Rechtsanwalt | Geschäftsführer | Gesellschafter
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