Erziehung ist eine zentrale Aufgabe von Eltern und Erziehungsberechtigten und trägt wesentlich zur Entwicklung und Sozialisation von Kindern und Jugendlichen bei. Doch nicht immer gelingt es den Erziehungsberechtigten, ihren Aufgaben zur Gänze gerecht zu werden. Sei es aufgrund von familiären Problemen, einer belastenden Lebenssituation oder mangelndem Wissen – für diese und andere Fälle gibt es staatliche Unterstützung: Die sogenannte Erziehungshilfe. In diesem umfassen Blog-Beitrag wollen wir Ihnen die verschiedenen Formen der Erziehungshilfe vorstellen, erläutern unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang sie gewährt wird und welche rechtlichen Regelungen und Gerichtsurteile hierbei von Bedeutung sind.

Was ist die Erziehungshilfe?

Die Erziehungshilfe ist eine familienunterstützende Maßnahme, die darauf abzielt, Eltern und Erziehungsberechtigte bei der Wahrnehmung ihrer Erziehungsaufgaben zu unterstützen und somit Kindern und Jugendlichen eine gesunde und positive Entwicklung zu ermöglichen. Sie umfasst vielfältige Hilfen, wie Beratungsangebote, sozialpädagogische Familienhilfe oder Heimerziehung.

Grundlagen der Erziehungshilfe

  • Gesetzliche Grundlagen: Die Erziehungshilfe ist im Sozialgesetzbuch (SGB) – Achtes Buch (VIII) – Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) verankert. Insbesondere die §§ 27 bis 35a SGB VIII regeln den Rahmen und Umfang der verschiedenen erzieherischen Hilfen. Darüber hinaus enthält das Jugendgerichtsgesetz (JGG) Regelungen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe, vor allem im Rahmen von Jugendstrafen und erzieherischen Maßnahmen.
  • Träger der Erziehungshilfe: Verantwortlicher Träger für die Erziehungshilfe in Deutschland ist die öffentliche Kinder- und Jugendhilfe, die sich auf kommunaler Ebene in der Regel in den Jugendämtern organisiert. Daneben gibt es auch freie Träger der Jugendhilfe, die nichtstaatliche Organisationen wie beispielsweise Verbände, Kirchen oder private Einrichtungen sein können.
  • Freiwilligkeit: Grundlegend ist die Inanspruchnahme von Erziehungshilfen freiwillig. Sie sollen den Eltern bzw. Erziehungsberechtigten und den betroffenen Kindern und Jugendlichen als Angebot zur Verfügung stehen, um bei Bedarf Unterstützung zu erhalten. Es besteht allerdings die Möglichkeit, dass Gerichte im Rahmen von Familiengerichtsverfahren die Inanspruchnahme von Erziehungshilfen anordnen.

Die verschiedenen Formen der Erziehungshilfe

Gemäß § 28 SGB VIII gibt es ein breites Spektrum an verschiedenen Arten der Erziehungshilfe, die sich an den individuellen Bedürfnissen und Lebenslagen orientieren. In der Praxis sind die folgenden Formen der Erziehungshilfe besonders relevant:

  • Erziehungsberatung: Gemäß § 28 SGB VIII handelt es sich bei der Erziehungsberatung um die Unterstützung von Eltern und Kindern bei allen Fragen der Erziehung und Entwicklung durch entsprechend qualifizierte Fachkräfte. Die Beratung kann sowohl präventiv als auch in akuten Problemkonstellationen erfolgen und zielt darauf ab, den Betroffenen lösungsorientierte Handlungsoptionen aufzuzeigen.
  • Sozialpädagogische Familienhilfe: Gemäß § 31 SGB VIII ist die sozialpädagogische Familienhilfe eine intensive Betreuung und Begleitung von Familien, in denen schwerwiegende Probleme bestehen. Ziel ist es, die Erziehungsfähigkeit der Eltern bzw. Erziehungsberechtigten zu stärken und ihnen bei der Lösung ihrer familiären und sozialen Probleme zur Seite zu stehen.
  • Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche: Gemäß § 35a SGB VIII handelt es sich bei der Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche um eine Hilfeform, die auf die besonderen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Beeinträchtigungen abzielt. Sie soll dazu beitragen, die Folgen und Auswirkungen dieser Beeinträchtigungen abzumildern bzw. zu beseitigen und eine altersgemäße Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen.
  • Heimerziehung und betreutes Wohnen: Gemäß § 34 SGB VIII ist die Heimerziehung oder andere betreute Wohnformen eine Form der Erziehungshilfe, die dann in Betracht kommt, wenn eine Unterbringung des Kindes oder Jugendlichen außerhalb des Elternhauses notwendig erscheint. Dies kann gemäß § 34 Abs. 1 SGB VIII der Fall sein, wenn eine „Erziehung außerhalb des Elternhauses erforderlich ist, weil die Erziehung in der eigenen Familie nicht ausreichend gewährleistet erscheint oder das Kind oder der Jugendliche aus anderen Gründen für einige Zeit aus seiner gewohnten Umgebung herausgelöst werden muss.“

Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Erziehungshilfen

Die Inanspruchnahme von Erziehungshilfen setzt in der Regel voraus, dass die Eltern bzw. Erziehungsberechtigten oder die betroffenen Kinder und Jugendlichen selbst die Hilfe bei der zuständigen Stelle, meist dem Jugendamt, beantragen. Im Rahmen dieses Antragsverfahrens erfolgt eine Prüfung der individuellen Lebenssituation und der vorhandenen Problemlagen, um die passenden Hilfen zu identifizieren.

Gemäß § 27 Abs. 1 SGB VIII besteht ein Anspruch auf Erziehungshilfe, wenn bei einer „dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechenden Erziehung“ eine „Gefährdung des Kindeswohls“ aufgrund von Problemen in der elterlichen Erziehung, auf Seiten des Kindes oder Jugendlichen oder im Zusammenleben der Familie besteht oder wenn eine solche Gefährdung ohne die gewährten Hilfen zu erwarten wäre. Dies bedeutet, dass die Inanspruchnahme von Erziehungshilfen ein gewisses Maß an Problemlagen oder Schwierigkeiten im familiären Zusammenleben voraussetzt, bei denen aufgrund der elterlichen Erziehungsprobleme, des Verhaltens des Kindes oder Jugendlichen oder der familiären Situation eine adäquate Versorgung und Betreuung gefährdet ist, was mit einer Gefährdung des Wohls des Kindes oder Jugendlichen einhergeht.

Umfang und Dauer der Inanspruchnahme von Erziehungshilfen

Der Umfang und die Dauer der Inanspruchnahme von Erziehungshilfen hängen von den individuellen Bedürfnissen und Lebenslagen der betroffenen Familie ab. Grundsätzlich erfolgt eine laufende Überprüfung des Hilfebedarfs und der Erfolgsaussichten der gewährten Hilfen durch die zuständige Stelle, um die Notwendigkeit und angemessene Ausgestaltung der Hilfen fortlaufend bewerten zu können. In der Regel werden die Hilfen solange gewährt, wie sie zur Stabilisierung der familiären Situation und zur Erreichung der angestrebten Ziele erforderlich sind. Dies kann je nach Fallgestaltung einige Monate oder sogar mehrere Jahre in Anspruch nehmen.

Rechtliche Regelungen und aktuelle Gerichtsurteile

Um die Rechte und Möglichkeiten der Erziehungshilfe besser nachvollziehen zu können, finden sie hier eine Auswahl an wichtigen rechtlichen Regelungen sowie aktuellen Gerichtsurteilen zum Thema:

  • § 27 SGB VIII – Hilfe zur Erziehung: In § 27 SGB VIII wird der Anspruch auf Erziehungshilfe geregelt. Demnach besteht ein Anspruch auf Erziehungshilfe, wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für die Entwicklung des Kindes oder des Jugendlichen notwendig ist.
  • § 36 SGB VIII – Mitwirkung, Hilfeplan: Dieser Paragraph regelt die Mitwirkungspflichten des Jugendamts und der betroffenen Person bzw. Familie in der Planung und Durchführung der Erziehungshilfe. Insbesondere ist vorgeschrieben, dass ein Hilfeplan aufzustellen ist, in dem die zu leistende Hilfe konkretisiert wird.
  • § 45 SGB VIII – Erlaubnis zur Führung einer Einrichtung: Einrichtungen, die Erziehungshilfen anbieten wollen, bedürfen einer Erlaubnis der zuständigen Behörde. In § 45 SGB VIII sind die Voraussetzungen für eine solche Erlaubniserteilung näher geregelt, z. B. Personalanforderungen und die Sicherstellung einer kindgerechten Betreuung.
  • Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 24. Februar 2009, Az.: 1 BvR 632/07: In diesem Beschluss entschied das Bundesverfassungsgericht, dass ein Jugendlicher, der in einer Einrichtung für intensivpädagogische Betreuung untergebracht ist, grundsätzlich das Recht hat, seine Schulausbildung in einer Regelschule fortzusetzen und nicht zwangsweise auf eine Sonderschule geschickt werden darf.
  • Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30. November 2011, Az.: 8 C 9.11: Das Bundesverwaltungsgericht stellte in diesem Urteil klar, dass Eltern ihr Kind bei der Inanspruchnahme von Erziehungshilfen nicht zwangsweise in eine bestimmte Einrichtung oder Schule schicken müssen, sondern ein Wahlrecht haben, solange die gewählte Einrichtung den gesetzlichen Anforderungen des SGB VIII entspricht und die dortige Unterbringung zum Wohl des Kindes beiträgt.

Häufig gestellte Fragen (FAQs)

Wer ist berechtigt, Erziehungshilfe zu beantragen?

Berechtigt sind in erster Linie Eltern und Erziehungsberechtigte, die aufgrund von Problemen in der Erziehung oder familiären Schwierigkeiten Unterstützung benötigen. Auch Kinder und Jugendliche können selbstständig Erziehungshilfe beantragen, wenn sie aufgrund ihrer persönlichen Situation Hilfe benötigen.

An wen muss ich mich wenden, um Erziehungshilfe zu beantragen?

In der Regel ist das zuständige Jugendamt der erste Ansprechpartner, um Erziehungshilfe zu beantragen. In manchen Fällen können auch freie Träger der Jugendhilfe die entsprechenden Hilfen gewähren.

Was passiert, wenn ich mich gegen die Inanspruchnahme von Erziehungshilfen wehre?

In der Regel ist die Inanspruchnahme von Erziehungshilfen freiwillig. In Einzelfällen kann jedoch das Familiengericht die Inanspruchnahme bestimmter erzieherischer Hilfen anordnen, wenn dies im Sinne des Kindeswohls erforderlich ist.

Kann ich die Einrichtung wechseln, in der mein Kind untergebracht ist?

Grundsätzlich haben Eltern und Erziehungsberechtigte ein Wahlrecht hinsichtlich der Einrichtung, in der ihr Kind im Rahmen der Erziehungshilfe betreut wird. Allerdings setzt dies voraus, dass auch die gewählte andere Einrichtung den gesetzlichen Anforderungen des SGB VIII entspricht und die dortige Betreuung zum Wohl des Kindes beiträgt.

Wer finanziert die Erziehungshilfe?

Die Kosten für die Erziehungshilfe werden in der Regel von der öffentlichen Hand, also dem Jugendamt bzw. der zuständigen Kommune, übernommen. In manchen Fällen kann jedoch eine Kostenbeteiligung der Eltern oder Erziehungsberechtigten erfolgen, die sich nach deren Einkommen und Vermögen richtet.

Zusammenfassung und Fazit

Erziehungshilfen sind ein wichtiger Teil der staatlichen Unterstützung von Familien in Deutschland und tragen dazu bei, Eltern und Erziehungsberechtigte bei ihrer verantwortungsvollen Aufgabe zu unterstützen und Kindern und Jugendlichen eine gesunde und positive Entwicklung zu ermöglichen. Dank der vielfältigen Hilfeformen, die im SGB VIII geregelt sind, können sie individuell auf die jeweiligen Bedürfnisse und Problemlagen reagieren und so nachhaltig dazu beitragen, das Wohl von Kindern und Jugendlichen zu schützen und ihre Zukunftschancen zu verbessern. In Kombination mit den entsprechenden rechtlichen Regelungen, Gerichtsurteilen und etwaigen FAQs hilft dieser Blog-Beitrag den Leserinnen und Lesern, die Rechte und Möglichkeiten im Bereich der Erziehungshilfe besser zu verstehen und bei Bedarf zu nutzen.

Unsere Rechtsanwälte stehen Ihnen bundesweit und im deutschsprachigen Ausland zur Verfügung.

Rechtsanwalt Arthur Wilms - Kanzlei Herfurtner

Arthur Wilms | Rechtsanwalt | Associate

Philipp Franz Rechtsanwalt

Philipp Franz | Rechtsanwalt | Associate

Anwalt Wolfgang Herfurtner Hamburg - Wirtschaftsrecht

Wolfgang Herfurtner | Rechtsanwalt | Geschäftsführer | Gesellschafter

Kundenbewertungen & Erfahrungen zu Herfurtner Rechtsanwälte. Mehr Infos anzeigen.

Aktuelle Beiträge aus dem Rechtsgebiet Zivilrecht