Das deutsche Steuersystem ist oft komplex und schwierig zu verstehen. Viele Steuerpflichtige fühlen sich verloren, wenn sie mit steuerlichen Herausforderungen konfrontiert sind, die sie nicht alleine bewältigen können. Hier kommt das Finanzgerichtsverfahren ins Spiel. Es bietet den Betroffenen die Möglichkeit, Entscheidungen des Finanzamts durch ein gerichtliches Verfahren überprüfen zu lassen und somit Gerechtigkeit zu erlangen.
Die Grundlage des Finanzgerichtsverfahrens
Das Finanzgerichtsverfahren basiert hauptsächlich auf der Abgabenordnung (AO) und der Finanzgerichtsordnung (FGO). Diese beiden Gesetze bilden die rechtliche Grundlage und regeln sowohl die materiellen als auch die prozessualen Aspekte des Verfahrens. Während die Abgabenordnung die allgemeinen Steuerpflichten und die Rechte der Steuerpflichtigen bestimmt, konzentriert sich die Finanzgerichtsordnung auf die Regelungen zum Ablauf und zur Durchführung eines Finanzgerichtsverfahrens.
Aufgaben und Zuständigkeiten der Finanzgerichte
Finanzgerichte sind spezialisierte Gerichte, die bei Streitigkeiten in Steuersachen angerufen werden können. Sie sind in erster Linie für folgende Aufgaben zuständig:
- Entscheidung über Klagen gegen Steuerbescheide und sonstige Verwaltungsakte der Finanzbehörden
- Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Säumniszuschlägen und Zinsen
- Entscheidung über Anträge auf Aussetzung der Vollziehung
- Durchführung von mündlichen Verhandlungen und Beweisaufnahmen
Der Ablauf des Finanzgerichtsverfahrens
Ein Finanzgerichtsverfahren folgt einem klar strukturierten Ablauf, der sicherstellt, dass alle Beteiligten ihre Argumente umfassend darlegen können. Der typische Ablauf eines solchen Verfahrens sieht folgendermaßen aus:
1. Klageerhebung
Das Verfahren beginnt mit der Erhebung einer Klage. Der Steuerpflichtige muss dabei die Klage schriftlich beim zuständigen Finanzgericht einreichen. In der Klageschrift müssen folgende Angaben enthalten sein:
- Name und Anschrift des Klägers
- Gegenstand der Klage und die beantragte Entscheidung
- Begründung der Klage mit ausführlicher Darstellung der strittigen Sach- und Rechtslage
2. Vorverfahren
Nach Eingang der Klage prüft das Finanzgericht, ob die formellen Voraussetzungen für die Durchführung des Verfahrens erfüllt sind. In einigen Fällen kann es notwendig sein, dass der Kläger vorher ein außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren, wie zum Beispiel einen Einspruch, durchlaufen hat.
3. Stellungnahme der Finanzbehörde
Das Gericht fordert die betreffende Finanzbehörde zur Stellungnahme auf. Diese kann ihre Sicht der Dinge darlegen und gegebenenfalls dazu Stellung nehmen, ob sie den angefochtenen Bescheid aufrechterhalten will.
4. Vorbereitendes Verfahren
Das vorbereitende Verfahren dient dazu, die Sache entscheidungsreif zu machen. Hierbei können diverse Maßnahmen getroffen werden, wie:
- Anordnung von Beweisaufnahmen (z.B. Zeugeneinvernahme, Sachverständigengutachten)
- Anberaumung von Erörterungsterminen
- Erteilung von Hinweisen an die Prozessbeteiligten
5. Mündliche Verhandlung
Die mündliche Verhandlung ist die zentrale Phase des Finanzgerichtsverfahrens. In der Verhandlung werden die Parteien angehört, und ihre Argumente werden abgewogen. Das Gericht gibt den Beteiligten die Möglichkeit, ihre Positionen ausführlich darzulegen. Anschließend entscheidet das Gericht durch ein Urteil.
6. Verkündung und Zustellung des Urteils
Das Urteil wird in der Regel in der mündlichen Verhandlung verkündet. Es wird anschließend schriftlich ausgefertigt und den Parteien zugestellt. Das Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung durch Berufung beim Bundesfinanzhof angefochten werden.
Rechtsgrundlagen und wichtige Gesetze im Überblick
Verschiedene Gesetze bilden die Grundlage für das Finanzgerichtsverfahren. Hier sind die wichtigsten angeführt:
- Abgabenordnung (AO): Regelt die allgemeinen Steuerpflichten und Verfahrensabläufe.
- Finanzgerichtsordnung (FGO): Bestimmt den Ablauf und die Durchführung des Finanzgerichtsverfahrens.
- Gerichtsverfassungsgesetz (GVG): Enthält allgemeine Bestimmungen zur Gerichtsbarkeit.
- Zivilprozessordnung (ZPO): Findet in bestimmten Fällen entsprechende Anwendung auf das Finanzgerichtsverfahren.
Die Klageschrift richtig verfassen: Ein Leitfaden
Das Verfassen einer Klageschrift ist entscheidend für den Erfolg eines Finanzgerichtsverfahrens. Hier sind einige Tipps, um sicherzustellen, dass Ihre Klageschrift alle notwendigen Angaben enthält:
Aufbau der Klageschrift
Eine gut strukturierte Klageschrift sollte folgende Elemente enthalten:
- Einleitung: Angaben zu den Parteien und dem angefochtenen Bescheid.
- Darstellung des Sachverhalts: Umfassende Beschreibung der Tatsachen, die dem Verfahren zugrunde liegen.
- Rechtliche Würdigung: Argumentation, warum der Bescheid rechtswidrig ist.
- Begründung des Klageantrags: Konkrete Formulierung des Antrags, den der Kläger an das Gericht stellt.
Praxisbeispiel einer Klageschrift
Um einen besseren Eindruck davon zu erhalten, wie eine Klageschrift aussehen sollte, folgt hier ein anonymisiertes Praxisbeispiel:
Beispiel:
Mandant A erhob Klage gegen einen Steuerbescheid des Finanzamts XY, in dem er darauf hinwies, dass das Finanzamt seine Werbungskosten in unzulässiger Weise gekürzt hatte. Er führte detailliert auf, welche Positionen im Rahmen seiner Werbungskosten abgezogen wurden und begründete, warum diese als abzugsfähig anerkannt werden müssten. Der Mandant beantragte, den angefochtenen Bescheid entsprechend abzuändern und die Werbungskosten in voller Höhe anzuerkennen.
Häufig gestellte Fragen (FAQs) zu Finanzgerichtsverfahren
Hier finden Sie Antworten auf einige der häufigsten Fragen, die zum Thema Finanzgerichtsverfahren auftauchen:
Was kostet ein Finanzgerichtsverfahren?
Die Kosten eines Finanzgerichtsverfahrens setzen sich aus verschiedenen Komponenten zusammen. Dazu gehören:
- Gerichtskosten: Diese werden nach dem Streitwert berechnet und sind in der Gesetz über Gerichtskosten in Familiensachen (FamGKG) geregelt.
- Anwaltskosten: Die Gebühren richten sich nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) und hängen ebenfalls vom Streitwert ab.
- Sonstige Kosten: Hierzu zählen z.B. Kosten für Sachverständigengutachten oder Zeugenauslagen.
An wen kann sich ein Steuerpflichtiger wenden, wenn er unsicher ist, ob der Gang zum Finanzgericht sinnvoll ist?
Steuerpflichtige können sich an Steuerberater oder Anwälte wenden, die in steuerrechtlichen Fragen beratend zur Seite stehen können. Diese können eine erste Einschätzung dazu geben, ob ein Finanzgerichtsverfahren aussichtsreich ist.
Wichtige Entscheidungen und Präzedenzfälle
Im Verlauf der Zeit haben die Finanzgerichte zahlreiche bedeutende Entscheidungen getroffen, die richtungsweisend für die Rechtsprechung in Steuersachen sind. Hier einige wichtige Fälle:
Fall 1: Werbungskosten bei doppelter Haushaltsführung
Ein Steuerpflichtiger klagte gegen die Kürzung seiner Werbungskosten für eine doppelte Haushaltsführung. Das Gericht entschied zugunsten des Klägers und stellte fest, dass die Kosten für eine zweite Wohnung am Arbeitsort voll abzugsfähig sind.
Fall 2: Abzugsfähigkeit von Studiengebühren
Ein Student klagte auf den Abzug von Studiengebühren als Werbungskosten. Das Gericht entschied, dass Studiengebühren unter bestimmten Voraussetzungen als vorweggenommene Werbungskosten bei der Einkommensteuererklärung berücksichtigt werden können.
Checkliste für das Finanzgerichtsverfahren
Damit Sie optimal auf ein Finanzgerichtsverfahren vorbereitet sind, haben wir folgende Checkliste zusammengestellt:
- Prüfen Sie, ob alle außergerichtlichen Rechtsbehelfe ausgeschöpft sind.
- Erstellen Sie eine umfassende Klageschrift mit allen notwendigen Angaben und Begründungen.
- Sammeln Sie alle relevanten Beweise und Dokumente für die Beweisführung.
- Achten Sie auf die Einhaltung aller Fristen, insbesondere die Klagefrist von einem Monat nach Zustellung des Steuerbescheids.
- Bereiten Sie sich gründlich auf die mündliche Verhandlung vor, um Ihre Position überzeugend darlegen zu können.
Fazit: Der Weg zum gerechten Steuerbescheid
Ein Finanzgerichtsverfahren kann kompliziert und zeitaufwendig sein, bietet jedoch die Möglichkeit, ungerechtfertigte Steuerbescheide zu korrigieren. Mit einer sorgfältigen Vorbereitung und fachkundiger Unterstützung können Steuerpflichtige ihre Chancen auf ein positives Ergebnis deutlich erhöhen.
Unsere Kanzlei steht Ihnen dabei gerne zur Seite und hilft Ihnen, Ihre steuerlichen Rechte durchzusetzen. Ob es darum geht, eine Klageschrift zu verfassen, Beweise zu sammeln oder Sie in der mündlichen Verhandlung zu vertreten – wir begleiten Sie durch alle Phasen des Finanzgerichtsverfahrens und kämpfen für Ihr Recht.
Unsere Rechtsanwälte stehen Ihnen bundesweit und im deutschsprachigen Ausland zur Verfügung.
Arthur Wilms | Rechtsanwalt | Associate
Philipp Franz | Rechtsanwalt | Associate
Wolfgang Herfurtner | Rechtsanwalt | Geschäftsführer | Gesellschafter
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