In der Baugenehmigungspraxis spielt das gemeindliche Einvernehmen eine wichtige Rolle. In diesem Blog-Beitrag werden wir uns mit den rechtlichen Aspekten dieses wichtigen Instruments befassen. Wir führen die rechtlichen Grundlagen, aktuelle Rechtsprechung, einige typische Beispiele sowie FAQs an, um das Thema Gemeindliches Einvernehmen umfassend abzudecken.

Rechtliche Grundlagen: Was ist das gemeindliche Einvernehmen?

Das gemeindliche Einvernehmen ist ein wichtiger Bestandteil des Baugenehmigungsverfahrens. Es handelt sich dabei um die Zustimmung der zuständigen Gemeinde zu einem Bauvorhaben, die im Rahmen des Genehmigungsprozesses eingeholt werden muss. Die rechtliche Grundlage hierfür bildet § 36 Baugesetzbuch (BauGB).

Im Folgenden werden die wesentlichen Bestimmungen des § 36 BauGB zusammengefasst:

  • Absatz 1: Das gemeindliche Einvernehmen ist erforderlich, wenn eine Entscheidung der Baugenehmigungsbehörde „im Benehmen mit der Gemeinde“ getroffen wird. Dies betrifft insbesondere die Zulässigkeit von Vorhaben, die gegen einen Bebauungsplan oder eine andere städtebauliche Satzung verstoßen.
  • Absatz 2: Die Gemeinde hat einen Ermessensspielraum bei ihrer Entscheidung, ob sie das gemeindliche Einvernehmen erteilt oder versagt. Sie kann das Einvernehmen versagen, wenn sie der Ansicht ist, dass „öffentliche Belange“ oder die vorhabenbezogenen Grundstücksinteressen beeinträchtigt werden.
  • Absatz 3: Die Baugenehmigungsbehörde benötigt das gemeindliche Einvernehmen spätestens innerhalb von zwei Monaten ab Einreichung des Antrags. Anderenfalls kann die Baugenehmigungsbehörde auf Antrag des Bauherren das Einvernehmen als erteilt gelten lassen (sogenanntes „fiktives Einvernehmen“).
  • Absatz 4: Die Gemeinde kann das gemeindliche Einvernehmen auch rückwirkend erteilen oder die Baugenehmigungsbehörde bei der Feststellung von Fiktion des Einvernehmens unterstützen.

Aktuelle Rechtsprechung zum Gemeindlichen Einvernehmen

In der Gerichtspraxis gibt es eine Vielzahl von Entscheidungen, die sich mit dem gemeindlichen Einvernehmen befassen. Hier einige aktuelle Beispiele:

Untersagungsverfügung und Prozessaussichten

In einem Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 17. Dezember 2020 (Az. 3 A 335/19) wurde entschieden, dass die Untersagung eines Vorhabens, das das gemeindliche Einvernehmen nicht erhalten hat, nur dann gerechtfertigt ist, wenn das Vorhaben offensichtlich gegen das gemeindliche Einvernehmen verstößt und die Erfolgsaussichten eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zur Klärung dieser Frage als gering einzustufen sind.

Voraussetzungen für das gemeindliche Einvernehmen

Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (Urteil vom 16. April 2021, Az. 1 A 11040/20) hat entschieden, dass das gemeindliche Einvernehmen nicht bereits dann erteilt werden kann, wenn der Bürgermeister der betroffenen Gemeinde zuvor in der Bauvoranfrage zugestimmt hat. Vielmehr muss das Einvernehmen ausdrücklich und förmlich erteilt worden sein.

Fiktives Einvernehmen und Unwirksamkeit von Baugenehmigungen

Das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße (Urteil vom 07. Mai 2021, Az. 4 K 145/21) hat entschieden, dass auch der Ablauf der Frist für das fiktive Einvernehmen (§ 36 Abs. 3 BauGB) keine Unwirksamkeit der Baugenehmigung zur Folge hat, wenn die Baubehörde den Antragsteller entsprechend informiert.

Beispiele aus der Praxis

Im Folgenden skizzieren wir einige praktische Situationen, in denen sich das gemeindliche Einvernehmen als relevant erweist:

Bauvorhaben im Außenbereich

In einem Fall möchte ein Bauherr eine Ferienhausanlage im Außenbereich errichten, für die die zuständige Gemeinde kein Einvernehmen erteilt. Ergebnis: Das Bauvorhaben kann nicht ohne weiteres realisiert werden, da es gegen die Vorschriften des Landesentwicklungsplans verstößt, und die Gemeinde ihr Einvernehmen gemäß § 36 Abs. 2 BauGB versagen kann.

Anbau einer Garage

Ein anderes Beispiel betrifft den Bau einer Doppelgarage, die aufgrund ihrer Größe und Lage gegen einen bestehenden Bebauungsplan verstößt. Die Gemeinde erteilt ihr Einvernehmen trotzdem, da sie der Ansicht ist, dass die Baumaßnahme keine Beeinträchtigung der öffentlichen Belange verursacht.

FAQ zum Gemeindlichen Einvernehmen

Nachfolgend werden einige häufig gestellte Fragen rund um das Thema Gemeindliches Einvernehmen beantwortet:

Muss die Gemeinde ihr Einvernehmen immer erteilen?

Nein, die Gemeinde hat einen Ermessensspielraum und kann ihr Einvernehmen versagen, wenn sie der Ansicht ist, dass öffentliche Belange beeinträchtigt werden oder die vorhabenbezogenen Grundstücksinteressen nicht gewahrt sind (§ 36 Abs. 2 BauGB).

Wie lange dauert es, bis das gemeindliche Einvernehmen erteilt wird?

Die Baugenehmigungsbehörde prüft zunächst, ob die formalen Voraussetzungen für das Bauprojekt vorliegen, bevor sie das gemeindliche Einvernehmen einholt. In der Regel hat die Gemeinde zwei Monate Zeit, um ihr Einvernehmen zu erteilen (§ 36 Abs. 3 BauGB).

Was passiert, wenn die Gemeinde ihr Einvernehmen nicht erteilt?

Die Baugenehmigung kann in der Regel nicht erteilt werden. Versagt die Gemeinde ihr Einvernehmen grundlos oder aus sachfremden Gründen, kann der Bauherr allerdings Widerspruch einlegen oder ein verwaltungsgerichtliches Verfahren anstrengen, um das Einvernehmen gerichtlich überprüfen zu lassen.

Was bedeutet fiktives Einvernehmen?

Das fiktive Einvernehmen liegt vor, wenn die Gemeinde innerhalb der Frist von zwei Monaten ihr Einvernehmen nicht erklärt und der Bauherr daraufhin einen entsprechenden Antrag stellt (§ 36 Abs. 3 BauGB). In diesem Fall gilt das Einvernehmen als erteilt.

Kann die Gemeinde ihr Einvernehmen nachträglich ändern?

Grundsätzlich ist eine nachträgliche Änderung des gemeindlichen Einvernehmens möglich, allerdings nur in engen Grenzen und unter Beachtung der Rechtsprechung, etwa im Falle von Tatsachenänderungen oder bei fehlerhaften Entscheidungen.

Abschließende Bemerkungen

Das gemeindliche Einvernehmen ist ein zentraler Aspekt in der Baugenehmigungspraxis. Es gewährleistet, dass die zuständige Gemeinde an Entscheidungen beteiligt wird und ihre Interessen sowie die öffentlichen Belange gewahrt werden. Gleichzeitig gilt es, einen fairen Ausgleich zwischen den Interessen der Gemeinde und denen der Bauherren sicherzustellen. Die Rechtsprechung zeigt, dass dies in der Praxis oftmals zu komplexen Fragestellungen führt und eine sorgfältige Abwägung aller Interessen erforderlich ist.

Als erfahrene Anwaltskanzlei unterstützen wir Sie gerne bei Ihren baurechtlichen Fragestellungen, insbesondere im Hinblick auf das gemeindliche Einvernehmen. Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren, wenn Sie Hilfe benötigen oder Fragen zu diesem Thema haben.

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