Das Konzept der Geschäftsgrundlage spielt eine zentrale Rolle im Vertragsrecht. In diesem Beitrag möchten wir Ihnen einen detaillierten Einblick in die rechtlichen Aspekte rund um die Geschäftsgrundlage geben. Wir erläutern die Bedeutung, die Voraussetzungen für die Anwendung der Geschäftsgrundlage in rechtlichen Auseinandersetzungen, die Verantwortlichkeiten der Vertragsparteien und die möglichen Rechtsfolgen.
Was ist die Geschäftsgrundlage im Vertragsrecht?
Die Geschäftsgrundlage ist der gemeinsame Plan oder die Vorstellung der Vertragsparteien, auf dessen Grundlage sie einen Vertrag schließen und nach dessen Vorstellungen sie eine rechtliche Beziehung eingehen. Die Geschäftsgrundlage wird oft auch als zugrunde liegendes Verständnis oder Basis-Konsens bezeichnet. Die Geschäftsgrundlage bildet das Fundament, auf dem die Vertragsbestimmungen aufbauen.
Ein Vertrag, der auf einer falschen oder im Laufe der Zeit gestörten Geschäftsgrundlage beruht, kann unter bestimmten Voraussetzungen angepasst oder aufgehoben werden. Die rechtlichen Grundlagen hierfür finden sich im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), insbesondere in den §§ 313 – 315 BGB. Die Regelungen sehen vor, dass ein Vertrag angepasst oder aufgehoben werden kann, wenn der Wegfall oder die Störung der Geschäftsgrundlage die Erfüllung des Vertrages unzumutbar oder unmöglich macht oder einer der Vertragsparteien unerwartet hart belastet.
Voraussetzungen für die Anwendung der Geschäftsgrundlage im Vertragsrecht
Die Anwendung der §§ 313 – 315 BGB setzt mehrere Voraussetzungen voraus. Die wichtigsten sind:
- Eine gemeinsame Geschäftsgrundlage der Vertragsparteien
- Wegfall oder Störung der Geschäftsgrundlage
- Unzumutbarkeit oder Unmöglichkeit der Erfüllung des Vertrages
- Fehlen einer vertraglichen Regelung zur Anpassung oder Aufhebung des Vertrages
Die Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein, damit die Regelungen zur Anpassung oder Aufhebung des Vertrags zur Anwendung kommen können.
Gemeinsame Geschäftsgrundlage
Eine gemeinsame Geschäftsgrundlage liegt vor, wenn beide Vertragsparteien bei Vertragsschluss eine übereinstimmende Vorstellung über die maßgeblichen Umstände und Tatsachen hatten, die für den Vertrag entscheidend sind. Dabei geht es nicht um die Vertragsbestimmungen selbst, sondern um die Tatsachen, die den Vertragsparteien als Basis für den Abschluss des Vertrages dienten.
Beispiele für solche Tatsachen sind die wirtschaftlichen, rechtlichen oder technischen Bedingungen der Vertragsdurchführung.
Wegfall oder Störung der Geschäftsgrundlage
Ein Wegfall oder eine Störung der Geschäftsgrundlage liegt vor, wenn die maßgeblichen Umstände und Tatsachen, auf denen der Vertrag basiert, sich nach Vertragsschluss in einer Weise ändern, die den Vertrag unzumutbar oder unmöglich macht oder eine der Vertragsparteien unerwartet hart belastet.
Der Wegfall oder die Störung können sowohl durch äußere Faktoren bedingt sein, z.B. durch Naturkatastrophen, wirtschaftliche Krisen oder Gesetzesänderungen, als auch durch das Verhalten einer der Vertragsparteien, z.B. durch frustrierendes Verhalten, irreführende Informationen oder Vertragsverletzungen.
Unzumutbarkeit oder Unmöglichkeit der Erfüllung des Vertrages
Ein Vertrag kann nur angepasst oder aufgehoben werden, wenn die Erfüllung des Vertrages unzumutbar oder unmöglich geworden ist oder eine der Vertragsparteien unerwartet hart belastet. Dabei ist stets eine Einzelfallprüfung erforderlich, die auch die Interessen der Vertragsparteien und die Grundsätze von Treu und Glauben berücksichtigt.
Fehlen einer vertraglichen Regelung zur Anpassung oder Aufhebung des Vertrages
Die Anwendung der §§ 313 – 315 BGB setzt voraus, dass im Vertrag keine Regelungen über die Anpassung oder Aufhebung des Vertrages im Falle einer Störung oder des Wegfalls der Geschäftsgrundlage vorgesehen sind. Haben die Vertragsparteien solche Regelungen getroffen, sind diese grundsätzlich maßgeblich.
Verantwortlichkeiten der Vertragsparteien
Die Vertragsparteien treffen im Zusammenhang mit der Geschäftsgrundlage verschiedene Verantwortlichkeiten. Dazu gehören:
- Die Informations- und Aufklärungspflicht
- Die Treu- und Rücksichtnahmepflicht
- Die Mitwirkungspflicht bei der Anpassung oder Aufhebung des Vertrages
Informations- und Aufklärungspflicht
Die Vertragsparteien sind verpflichtet, sich gegenseitig über alle Tatsachen zu informieren, die für die Geschäftsgrundlage des Vertrages von Bedeutung sein könnten. Dies schließt auch die Information über mögliche Risiken und Unsicherheiten ein. Die Informations- und Aufklärungspflicht besteht grundsätzlich schon vor Vertragsschluss und setzt sich während der Laufzeit des Vertrages fort,
Treu- und Rücksichtnahmepflicht
Die Vertragsparteien sind verpflichtet, im Rahmen der Geschäftsgrundlage die Grundsätze von Treu und Glauben zu beachten und die berechtigten Interessen der jeweiligen anderen Vertragspartei zu berücksichtigen. Eine Verletzung dieser Pflicht kann zur Anpassung oder Aufhebung des Vertrages führen.
Mitwirkungspflicht bei der Anpassung oder Aufhebung des Vertrages
Die Vertragsparteien sind verpflichtet, bei einer Störung oder einem Wegfall der Geschäftsgrundlage in angemessener Weise an der Anpassung oder Aufhebung des Vertrages mitzuwirken. Dies kann beispielsweise die Verhandlung über eine Neufassung des Vertrages, die Erfüllung zusätzlicher Bedingungen oder die Einräumung von Nachfristen umfassen.
Rechtsfolgen bei Geschäftsgrundlagenstörung
Die Rechtsfolgen einer Störung oder eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage können vielfältig sein. Die §§ 313 – 315 BGB sehen insbesondere folgende Rechtsfolgen vor:
- Vertragsanpassung
- Recht auf Rücktritt oder Kündigung
- Restitutionsansprüche
Vertragsanpassung
Die Vertragsparteien können bei einer Störung oder einem Wegfall der Geschäftsgrundlage den Vertrag an die veränderten Umstände anpassen. Dabei müssen sie die Interessen der jeweiligen anderen Vertragspartei und die Grundsätze von Treu und Glauben beachten. Die Vertragsanpassung kann sowohl inhaltlich als auch zeitlich erfolgen.
Recht auf Rücktritt oder Kündigung
Wenn eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder zumutbar ist, kann die benachteiligte Vertragspartei den Vertrag unter Umständen nach § 313 Abs. 3 BGB kündigen oder nach § 326 BGB von ihm zurücktreten. Die Voraussetzungen für ein solches Recht sind eng begrenzt und erfordern eine besonders gravierende Störung oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage.
Restitutionsansprüche
Die Restitutionsansprüche sollen die durch die Geschäftsgrundlagenstörung entstandenen Nachteile ausgleichen. Hierzu zählen Ansprüche auf Rückzahlung oder Schadensersatz, die infolge des Wegfalls oder der Störung der Geschäftsgrundlage entstanden sind.
Beispiele für die Anwendung der Geschäftsgrundlage im Vertragsrecht
Im Folgenden finden Sie einige Beispiele, in denen das Konzept der Geschäftsgrundlage im Vertragsrecht angewendet wurde:
- Auswirkungen von Naturkatastrophen: Eine Vertragspartei hat mit einer Baufirma vereinbart, dass ein Haus auf einem bestimmten Grundstück gebaut wird. Nach Vertragsschluss wird das Grundstück jedoch durch eine Überschwemmung unbrauchbar. Hier könnte eine Störung der Geschäftsgrundlage vorliegen, die eine Anpassung des Vertrages oder eine Rückabwicklung erforderlich macht.
- Gesetzesänderungen: Zwei Vertragsparteien schließen einen Vertrag über den Verkauf und die Lieferung von Kraftfahrzeugen. Nach Vertragsschluss wird die Einfuhr der Fahrzeuge aus dem Herkunftsland jedoch durch eine Gesetzesänderung verboten. In diesem Fall kann die Geschäftsgrundlage gestört sein und der Vertrag möglicherweise angepasst oder aufgehoben werden.
- Änderung der Marktbedingungen: Ein Unternehmen schließt einen Vertrag mit einem Lieferanten, der bestimmte Rohstoffe zu einem vereinbarten Preis liefert. Durch unvorhersehbare Ereignisse explodieren die Rohstoffpreise, sodass der Lieferant die Rohstoffe nur zu einem weit höheren Preis als vereinbart beschaffen kann. Hier könnte eine Anpassung des Vertrages aufgrund einer Störung der Geschäftsgrundlage möglich sein.
Relevante Gesetze und Rechtsprechung
Die wichtigsten rechtlichen Grundlagen zur Geschäftsgrundlage finden sich im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB):
- § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage)
- § 314 BGB (Kündigung aus wichtigem Grund)
- § 315 BGB (Bestimmung der Leistung durch eine Partei)
- § 326 BGB (Rücktritt bei Leistungshindernissen)
Daneben hat die Rechtsprechung zur Geschäftsgrundlage einige Grundsätze entwickelt, die bei der Beurteilung von Fällen im Zusammenhang mit Störungen oder dem Wegfall von Geschäftsgrundlagen zu beachten sind.
FAQ: Häufig gestellte Fragen zur Geschäftsgrundlage im Vertragsrecht
Nachfolgend geben wir Antworten auf einige der häufig gestellten Fragen zur Geschäftsgrundlage im Vertragsrecht:
Wie kann ich in meinem Vertrag eine Regelung zur Geschäftsgrundlage aufnehmen?
Um in Ihrem Vertrag eine Regelung zur Geschäftsgrundlage aufzunehmen, sollten Sie klar und unmissverständlich die maßgeblichen Umstände und Tatsachen benennen, die für den Vertragsschluss entscheidend sind. Darüber hinaus sollten Sie vorausschauend Regelungen entwerfen, die eine Anpassung oder Aufhebung des Vertrags im Falle einer Störung oder des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ermöglichen.
Ist der Wegfall der Geschäftsgrundlage automatisch ein Kündigungsgrund?
Nein, der Wegfall der Geschäftsgrundlage führt nicht automatisch zu einem Kündigungsrecht. Die Störung oder der Wegfall der Geschäftsgrundlage kann zwar dazu führen, dass eine Kündigung nach § 313 Abs. 3 BGB oder ein Rücktritt nach § 326 BGB in Betracht kommen, dies hängt jedoch von den konkreten Umständen des Einzelfalls und den Interessen der beteiligten Vertragsparteien ab.
Kann ich bei einem neuen Vertragspartner darauf bestehen, dass der alte Vertrag unverändert fortgesetzt wird, wenn die Geschäftsgrundlage unverändert geblieben ist?
Grundsätzlich steht Ihnen bei einem neuen Vertragspartner kein Anspruch darauf zu, einen alten Vertrag unverändert fortzusetzen. Jedoch können Sie versuchen, auf der Basis der unveränderten Geschäftsgrundlage eine Neuverhandlung des Vertrags anzustreben und dabei die alten Vertragsbestimmungen als Verhandlungsgrundlage zu verwenden.
Wie kann ich als Vertragspartei nachweisen, dass die Geschäftsgrundlage gestört ist oder weggefallen ist?
Der Nachweis der Störung oder des Wegfalls der Geschäftsgrundlage erfordert den konkreten Nachweis der Umstände, aus denen sich die Störung oder der Wegfall ergeben. Dazu müssen Sie die maßgeblichen Umstände und Tatsachen darlegen und gegebenenfalls durch geeignete Beweismittel, wie Zeugenaussagen, Sachverständigengutachten oder Dokumente, belegen.
Die Überzeugung des Gerichts von der Störung oder dem Wegfall der Geschäftsgrundlage unterliegt dabei der freien Beweiswürdigung gemäß § 286 Zivilprozessordnung (ZPO).
Ein Überblick der Geschäftsgrundlagen
Die Geschäftsgrundlage ist ein zentrales Element im Vertragsrecht und beeinflusst maßgeblich die Durchführung und die rechtlichen Folgen von Verträgen. Die Voraussetzungen für eine Störung oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage sind streng und erfordern eine sorgfältige Prüfung im Einzelfall. Bei Unsicherheiten oder Streitigkeiten über die Geschäftsgrundlage sollten Sie daher stets anwaltlichen Rat einholen.
Unser Team von Rechtsanwälten steht Ihnen gerne zur Verfügung, um Ihre Fragen zur Geschäftsgrundlage zu beantworten und Sie bei der Gestaltung von Verträgen oder der Durchsetzung Ihrer Rechte im Falle einer Störung oder des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu unterstützen.
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Wolfgang Herfurtner | Rechtsanwalt | Geschäftsführer | Gesellschafter
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