Steuern sind ein komplexes Thema, das viele Menschen oft überfordert. Eine der vielen Optionen, die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern zur Verfügung stehen, um ihre Steuerlast zu optimieren, ist die sogenannte Günstigerprüfung. Obwohl nicht für jeden sinnvoll, kann diese spezielle Prüfung für bestimmte Steuerzahler großen Nutzen haben. In diesem umfangreichen Blog-Beitrag erfahren Sie alles, was Sie über die Günstigerprüfung wissen müssen, einschließlich der Voraussetzungen, der Anwendung und der potenziellen Auswirkungen auf Ihre Steuern.
Inhaltsverzeichnis
- Was ist die Günstigerprüfung?
- Steuerliche Regelungen im Detail
- Voraussetzungen für die Günstigerprüfung
- Antrag und Durchführung der Günstigerprüfung
- Auswirkungen der Günstigerprüfung auf die Steuererklärung
- Fallbeispiele und aktuelle Gerichtsurteile zur Günstigerprüfung
- Häufig gestellte Fragen zur Günstigerprüfung
Was ist die Günstigerprüfung?
Die Günstigerprüfung ist ein Instrument des deutschen Steuerrechts, das eine individuelle Prüfung des Einzelfalls ermöglicht, um festzustellen, ob die Anwendung bestimmter steuerlicher Regelungen für den Steuerpflichtigen vorteilhaft ist oder eben nicht. Die Günstigerprüfung wurde im Rahmen der Regelungen zur Abgeltungssteuer eingeführt und betrifft insbesondere Einkünfte aus Kapitalvermögen.
Im Rahmen der Günstigerprüfung prüft das Finanzamt, ob die Anwendung der Abgeltungssteuer zu einer geringeren oder höheren Steuerbelastung führen würde als die Anwendung des persönlichen Einkommensteuertarifs. Je nach Ergebnis wird die Günstigerprüfung angewendet oder eben nicht. Ziel dieser Prüfung ist es, Ungerechtigkeiten durch die Einführung der Abgeltungssteuer zu vermeiden.
Steuerliche Regelungen im Detail
Zunächst wollen wir uns die beide Steuerregelungen, die im Rahmen der Günstigerprüfung gegenübergestellt werden, näher ansehen: Die Abgeltungssteuer und der persönliche Einkommensteuertarif.
Abgeltungssteuer
Die Abgeltungssteuer ist eine Quellensteuer, die auf Einkünfte aus Kapitalvermögen erhoben wird, wie zum Beispiel Zinsen, Dividenden oder Veräußerungsgewinne. Sie wurde 2008 eingeführt und beträgt pauschal 25 %, zuzüglich Solidaritätszuschlag und gegebenenfalls Kirchensteuer. Durch die Abgeltungssteuer soll eine einheitliche und einfachere Besteuerung der Kapitaleinkünfte gewährleistet werden. Außerdem dient sie der effektiveren Bekämpfung von Steuerhinterziehung.
Persönlicher Einkommensteuertarif
Der persönliche Einkommensteuertarif ist der Steuersatz, der auf das zu versteuernde Einkommen einer Person angewendet wird. Er beginnt bei einem Grundfreibetrag von derzeit 9.744 Euro (Stand: 2021) und steigt progressiv bis zu einem Höchststeuersatz von 42 % bei einem zu versteuernden Einkommen von 57.919 Euro bzw. 45 % (Reichensteuer) bei einem zu versteuernden Einkommen über 274.612 Euro.
Die Günstigerprüfung betrifft also die Frage, ob die Einkünfte des Steuerpflichtigen aus Kapitalvermögen mit dem Abgeltungssteuersatz oder dem persönlichen Einkommensteuertarif besteuert werden sollen.
Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Günstigerprüfung nicht für alle Kapitalerträge relevante ist. Zu den Ausnahmen gehören zum Beispiel Veräußerungsgewinne aus privaten Veräußerungsgeschäften oder Einkünfte aus Erbschaften oder Schenkungen.
Die Berechnung der Günstigerprüfung ist recht komplex und variiert je nach persönlichen Umständen. Im Allgemeinen sind Steuerzahler mit einem niedrigeren oder mittleren Einkommen von einer Günstigerprüfung eher begünstigt als solche mit einem höheren Einkommen. Es empfiehlt sich jedoch, die Günstigerprüfung in jedem Einzelfall genau zu prüfen, um keine möglichen Steuervorteile zu übersehen.
Voraussetzungen für die Günstigerprüfung
Die Günstigerprüfung kann grundsätzlich von jedem Steuerzahler beantragt werden, der Einkünfte aus Kapitalvermögen bezieht. Um die Günstigerprüfung in Anspruch nehmen zu können, müssen jedoch bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein:
- Die Kapitaleinkünfte sind von der Abgeltungssteuer erfasst.
- Der Steuerpflichtige hat die Kapitaleinkünfte in seiner Einkommensteuererklärung angegeben.
- Der Steuerpflichtige hat ein berechtigtes Interesse an der Günstigerprüfung. Ein berechtigtes Interesse besteht in der Regel dann, wenn sich aufgrund der persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse eine materielle Ungleichbehandlung im Vergleich zur regulären Besteuerung ergibt.
Falls eine der oben genannten Voraussetzungen nicht erfüllt ist, kann die Günstigerprüfung nicht durchgeführt werden.
Antrag und Durchführung der Günstigerprüfung
Antragstellung
Die Günstigerprüfung muss bei der zuständigen Finanzbehörde beantragt werden. Der Antrag ist entweder formlos oder mit dem offiziellen Vordruck, der gemeinsam mit der Einkommensteuererklärung eingereicht wird, zu stellen. Obwohl die Günstigerprüfung nicht verpflichtend ist, empfiehlt es sich, sie in jedem Fall zu beantragen, da sie möglicherweise zu einer günstigeren Besteuerung führen kann.
Die Beantragung der Günstigerprüfung hat keine negativen Konsequenzen für den Steuerpflichtigen, da das Finanzamt nur dann eine Anpassung vornimmt, wenn sich durch die Günstigerprüfung eine geringere Steuerbelastung ergibt. Sollte die Günstigerprüfung zu einer höheren Steuerbelastung führen, bleibt es bei der regulären Besteuerung.
Durchführung der Günstigerprüfung
Nachdem der Antrag auf Günstigerprüfung bei der Finanzbehörde eingegangen ist, wird die Prüfung im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung durchgeführt. Dabei wird zunächst der reguläre Einkommensteuertarif des Steuerpflichtigen ermittelt. Anschließend werden die Kapitaleinkünfte aus der Abgeltungssteuer besteuert und der resultierende Steuersatz mit dem persönlichen Einkommensteuertarif verglichen.
Falls der Einkommensteuertarif niedriger ist als der Abgeltungssteuersatz, wird die Günstigerprüfung angewendet und die Kapitaleinkünfte werden entsprechend besteuert. Ist der Einkommensteuertarif höher, bleibt es bei der regulären Besteuerung mit der Abgeltungssteuer. Nach Abschluss der Günstigerprüfung erhält der Steuerpflichtige einen entsprechenden Steuerbescheid.
Auswirkungen der Günstigerprüfung auf die Steuererklärung
Die Günstigerprüfung kann erhebliche Auswirkungen auf die Steuerbelastung des Steuerpflichtigen haben. In vielen Fällen führt die Anwendung des persönlichen Einkommensteuertarifs auf Kapitaleinkünfte zu einer günstigeren Besteuerung als die Anwendung der Abgeltungssteuer. Das Finanzamt erstattet in diesen Fällen die Differenz zwischen der bereits abgeführten Abgeltungssteuer und dem niedrigeren persönlichen Steuersatz.
Ein Beispiel dafür ist der Fall, dass ein Steuerpflichtiger ein zu versteuerndes Einkommen von 20.000 Euro hat und Kapitaleinkünfte in Höhe von 5.000 Euro bezieht. Würden diese Einkünfte nur mit der Abgeltungssteuer besteuert, ergäbe sich eine Steuerbelastung von 5.000 Euro * 25 % = 1.250 Euro. Wenn die Günstigerprüfung jedoch zu dem Ergebnis kommt, dass der persönliche Einkommensteuertarif lediglich 15 % beträgt, so würde die Steuerbelastung auf die Kapitaleinkünfte nur noch 5.000 Euro * 15 % = 750 Euro betragen. In diesem Fall würde der Steuerpflichtige eine Steuererstattung von 500 Euro erhalten.
Die Günstigerprüfung kann jedoch auch dazu führen, dass der Steuerpflichtige keine Steuererstattung erhält, da sein persönlicher Einkommensteuertarif bereits höher ist als die Abgeltungssteuer. In diesem Fall bleibt es bei der regulären Besteuerung durch die Abgeltungssteuer. Für Steuerzahler, die sich im höheren Einkommensbereich befinden, ist das Ergebnis der Günstigerprüfung daher oft eher nachteilig und führt zu keiner günstigeren Besteuerung.
Fallbeispiele und aktuelle Gerichtsurteile zur Günstigerprüfung
In dieser Sektion betrachten wir einige Fallbeispiele für die Günstigerprüfung und werfen einen Blick auf aktuelle Gerichtsurteile, die einen tieferen Einblick in die Anwendung dieser Regelung bieten.
Fallbeispiel 1: Tod eines Ehegatten
Eine Frau, deren Ehemann im Laufe des Jahres verstorben ist, möchte für sich und ihren verstorbenen Ehemann eine gemeinsame Einkommensteuererklärung abgeben. Im Laufe des Jahres hat die Frau Kapitalerträge in Höhe von 20.000 Euro erzielt, während ihr verstorbener Ehemann keine Kapitalerträge hatte. Da das Einkommen der Frau alleine den Höchststeuersatz überschreitet, kommt die Günstigerprüfung für die Ehegatten normalerweise nicht infrage.
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat jedoch entschieden, dass in diesem Fall die Günstigerprüfung berücksichtigt werden kann, da die Regelung zur gemeinschaftlichen Ehegatten-Veranlagung in der Einkommensteuererklärung Beachtung finden muss, selbst im Todesfall eines Ehegatten (BFH, Az. VIII R 32/16). Infolgedessen können die Eheleute gemeinsam ihren jeweiligen Einkommensteuertarif betrachten und dadurch eine günstigere Besteuerung erreichen.
Fallbeispiel 2: Kirchensteuer auf Kapitalerträge
Ein Steuerpflichtiger, der der Kirche angehört, hat Kapitalerträge in Höhe von 30.000 Euro erzielt. Die Abgeltungssteuer wurde auf diese Kapitalerträge einbehalten, einschließlich des Solidaritätszuschlags und der Kirchensteuer. Im Rahmen der Günstigerprüfung stellt sich heraus, dass der persönliche Einkommensteuertarif des Steuerpflichtigen niedriger ist als die Abgeltungssteuer.
Der BFH hat entschieden, dass in diesem Fall auch die zuvor einbehaltene Kirchensteuer bei der Günstigerprüfung berücksichtigt werden muss, wenn die Kirchensteuer auf die Kapitaleinkünfte angerechnet wird und sich daraus eine günstigere Besteuerung ergibt (BFH, Az. VIII R 1/16).
Häufig gestellte Fragen zur Günstigerprüfung
Ist die Günstigerprüfung verpflichtend?
Nein, die Günstigerprüfung ist nicht verpflichtend und muss vom Steuerpflichtigen bei der Finanzbehörde beantragt werden. Allerdings ist es empfehlenswert, die Günstigerprüfung in jedem Fall in Erwägung zu ziehen, da sie möglicherweise zu einer günstigeren Besteuerung führen kann.
In welchen Fällen sollte ich die Günstigerprüfung beantragen?
Die Günstigerprüfung sollte in folgenden Fällen beantragt werden:
- Wenn die Kapitaleinkünfte von der Abgeltungssteuer erfasst sind.
- Wenn der persönliche Einkommensteuertarif vermutlich niedriger ist als die Abgeltungssteuer.
- Wenn der Steuerpflichtige ein berechtigtes Interesse an der Günstigerprüfung hat und dadurch eine materielle Ungleichbehandlung im Vergleich zur regulären Besteuerung besteht.
Da es keine negativen Konsequenzen für den Steuerpflichtigen hat, wenn die Günstigerprüfung beantragt, aber nicht angewendet wird, empfiehlt es sich, die Günstigerprüfung vorsorglich zu stellen.
Wie wird die Günstigerprüfung in der Einkommensteuererklärung angegeben?
Die Günstigerprüfung ist in der Anlage KAP der Einkommensteuererklärung zu beantragen. Alternativ kann ein formloser Antrag gestellt werden, der die angefallenen Kapitaleinkünfte sowie die gezahlte Abgeltungssteuer aufführt.
Kann ich die Günstigerprüfung auch rückwirkend beantragen?
Die Günstigerprüfung kann grundsätzlich rückwirkend beantragt werden, solange der Steuerbescheid für das betreffende Jahr noch nicht bestandskräftig ist. Sofern der Steuerbescheid bereits bestandskräftig ist, kann die Günstigerprüfung nur dann noch nachträglich beantragt werden, wenn ein entsprechender Antrag auf Änderung des Steuerbescheids gestellt und begründet wird.
Gibt es sonstige Besonderheiten oder Tipps zur Günstigerprüfung?
Um die Günstigerprüfung bestmöglich zu nutzen, sollten Steuerzahler ihre Kapitalerträge im Detail kennen und wissen, welche Einkünfte von der Abgeltungssteuer betroffen sind und welche nicht. Eine gute Dokumentation über Kapitalerträge ist hierbei von großer Bedeutung. Zudem empfiehlt es sich, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, um die Günstigerprüfung korrekt durchzuführen und alle möglichen Steuervorteile auszuschöpfen.
Fazit
Die Günstigerprüfung ist ein bedeutender Aspekt des deutschen Steuerrechts, der für viele Steuerzahler interessant sein kann. Durch die genaue Prüfung der einzelnen steuerlichen Regelungen und der individuellen Situation kann eine günstigere Besteuerung erzielt werden. In einigen Fällen kann die Günstigerprüfung jedoch für den Steuerpflichtigen nicht von Vorteil sein, vor allem wenn sich die eigene Steuerlast bereits in einem höheren Bereich befindet.
Generell ist zu empfehlen, die Günstigerprüfung in Erwägung zu ziehen und gegebenenfalls einen Antrag bei der zuständigen Finanzbehörde zu stellen. Eine fundierte Beratung bei einem Experten ist hierbei von großem Vorteil, um sämtliche Optionen und etwaige Steuervorteile umfassend zu prüfen und auszuschöpfen.
Insgesamt bietet dieser Leitfaden einen weitreichenden Überblick über das Thema der Günstigerprüfung und hilft, komplexen Steuerfragen zu begegnen. Die genannten Fallbeispiele und aktuelle Gerichtsurteile verdeutlichen die vielfältige Relevanz der Günstigerprüfung im Steueralltag. Mit den hier beschriebenen Informationen sind Sie gut gerüstet, um die Günstigerprüfung zu verstehen und möglicherweise von ihr zu profitieren.
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Wolfgang Herfurtner | Rechtsanwalt | Geschäftsführer | Gesellschafter
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