Die Kameralistik ist der Teilbereich des öffentlichen Rechts, der sich mit der öffentlichen Buchführung und Finanzverwaltung beschäftigt. Sie regelt die Haushaltsführung, Kassenführung und Rechnungslegung der Gebietskörperschaften, Sondervermögen und sonstigen Einrichtungen der öffentlichen Hand. Es handelt sich also um eine Ordnung des finanziellen Ressourcenmanagements im öffentlichen Sektor. Dieser Artikel gibt Ihnen einen Blick in die rechtlichen Grundlagen, aktuelle Gerichtsurteile und verschafft Ihnen einen umfassenden Einblick in die Welt der Kameralistik.
Einführung in die Kameralistik
Die Bezeichnung „Kameralistik“ leitet sich vom lateinischen „camera“ ab, was „Kammer“ bedeutet und in dieser Bedeutung auf das Kammerwesen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit zurückgeht. Im Laufe der Zeit entwickelte sich daraus ein auf den öffentlichen Sektor beschränktes System der Buchführung, welches in Deutschland und Österreich praktiziert wird. In diesem Abschnitt werden die Grundprinzipien der Kameralistik und ihre Relevanz für die öffentliche Finanzverwaltung erläutert.
- Grundprinzipien der Kameralistik: Kameralistik basiert auf der Trennung von Einnahmen und Ausgaben sowie der periodengerechten Erfassung und Verarbeitung von Geldmitteln. Im Fokus steht die Liquidität, also die Zahlungsfähigkeit und Zahlungswirksamkeit von Transaktionen. Die buchhalterische Erfassung von Vermögen und Schulden spielt eine untergeordnete Rolle. Zudem wird die Kameralistik aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte und rechtlichen Verankerung insbesondere in deutschen Bundesländern und Gemeinden angewendet.
- Rechtliche Grundlagen der Kameralistik: Die rechtlichen Grundlagen der Kameralistik finden sich in den Gesetzen und Verordnungen des Bundes, der Länder und der Kommunen, zum Beispiel in der Gemeindeordnung, der Landeshaushaltsordnung oder der Bundeshaushaltsordnung. Besonders relevant sind zudem Grundsätze und Vorschriften zur Haushaltsführung, Kassenführung und Rechnungslegung.
- Relevanz für die öffentliche Finanzverwaltung: Die öffentliche Finanzverwaltung ist komplexe Materie, bei der es um die Planung und Verwaltung von Einnahmen und Ausgaben, die Abwicklung von Zahlungsvorgängen und die Kontrolle der Haushaltsführung geht. Hierbei ist die Kameralistik das zentrale Verfahren der öffentlichen Haushaltsführung und ermöglicht eine strukturierte und gesetzeskonforme Bewirtschaftung von öffentlichen Ressourcen.
Zentrale rechtliche Regelungen der Kameralistik
Die Gesetzgebung bezüglich der öffentlichen Buchführung variiert zwischen den verschiedenen Gebietskörperschaften und Einrichtungen und kann länderspezifisch sehr unterschiedlich ausfallen. Im Folgenden werden die zentralen rechtlichen Regelungen der Kameralistik bezogen auf den Bund, die Länder und die Kommunen vorgestellt.
Bundeshaushaltsordnung (BHO)
Die Bundeshaushaltsordnung ist das zentrale Gesetz für die Haushaltsführung, Kassenführung und Rechnungslegung auf Bundesebene. Sie regelt insbesondere:
- die Aufstellung und Ausführung des Bundeshaushaltsplans,
- die Kassen- und Rechnungsführung (§§ 71-83 BHO),
- die Haushaltsüberwachung (§§ 88-89 BHO),
- die Verwaltung von Sondervermögen (§ 26 BHO) und
- die Rechnungsprüfung und Kontrolle (§§ 91-98 BHO).
Landeshaushaltsordnungen (LHO)
In den 16 Bundesländern gelten unterschiedliche Landeshaushaltsordnungen. Die LHOs enthalten Regelungen für die Haushaltsführung, Kassenführung und Rechnungslegung der Länder sowie Vorschriften für Sondervermögen und Landesbetriebe. Zu den zentralen Regelungen gehören:
- die Aufstellung und Ausführung des Landeshaushaltsplans,
- die Kassen- und Rechnungsführung,
- die Haushaltsüberwachung,
- die Verwendung von Krediten und die Tilgung von Schulden,
- die Verwaltung von Sondervermögen und
- die Rechnungsprüfung und Kontrolle.
Kommunale Gesetze und Verordnungen
Auf kommunaler Ebene sind insbesondere die Gemeindeordnungen der jeweiligen Bundesländer, kreisrechtliche Regelungen und örtliche Satzungen von Bedeutung. In der Regel halten diese Gesetze und Regelungen die folgenden Aspekte fest:
- die Haushaltswirtschaft und -grundsätze,
- die Aufstellung und Ausführung der kommunalen Haushaltspläne,
- die Kassen- und Rechnungsführung,
- die Verwaltung von kommunalen Sondervermögen,
- die Verschuldungsregeln und
- die kommunale Rechnungsprüfung und Kontrolle.
Aktuelle Gerichtsurteile zur Kameralistik
Die Anwendung der Kameralistik im öffentlichen Sektor führt immer wieder zu rechtlichen Fragestellungen und Auseinandersetzungen, die vor Gericht geklärt werden müssen. Dabei geht es häufig um die Wirksamkeit und Auslegung der verschiedenen Gesetze und Verordnungen sowie um mögliche Verstöße gegen die rechtlichen Grundlagen der Haushaltsführung. Im Folgenden werden exemplarisch einige aktuelle Gerichtsurteile zur Kameralistik vorgestellt.
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. März 2020 – 10 C 2.19
Das Bundesverwaltungsgericht hatte über die Auslegung von § 100 Abs. 1 Satz 1 BHO zu entscheiden, der besagt, dass „einem Bundesministerium im Einzelfall Ermessensausgaben zur Verfügung“ stehen dürfen. In dem Fall ging es darum, ob ein Bundesministerium berechtigt war, Zahlungen an Nichtregierungsorganisationen (NGOs) zu leisten. Das Gericht setzte deutliche Grenzen für die Zulässigkeit solcher Ermessensausgaben und stellte klar, dass diese nur unter bestimmten Voraussetzungen und für klar definierte Zwecke zulässig sind.
Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 15. November 2019 – X R 35/17
Der BFH hatte darüber zu entscheiden, ob die Umsätze einer Forschungsgemeinschaft, die in Form einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft organisiert war, gemäß § 4 Nr. 25a Umsatzsteuergesetz von der Umsatzsteuer befreit sind. Das Gericht stellte in seinem Urteil fest, dass die Forschungseinrichtung allerdings die Anforderungen der Kameralistik sowie die Vorschriften der öffentlichen Haushaltsführung erfüllen musste, um von dieser Steuerbefreiung zu profitieren.
Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 16. August 2019 – V ZR 9/19
Der BGH hatte im Streit zwischen einer Gemeinde und einem privaten Grundstückseigentümer über die Wirksamkeit einer sogenannten Straßenbaubeitragsatzung zu entscheiden. Im Kern ging es um die rechtliche Frage, ob die Kameralistik bei der Berechnung der Straßenbaubeiträge nach dem sog. Frontmetermaßstab Beachtung finden muss. Der BGH entschied, dass die kommunale Satzung den Grundsätzen der öffentlichen Haushaltsführung und der Kameralistik Rechnung zu tragen habe. Dies hat zur Folge, dass die Beitragshöhe nach dem Frontmetermaßstab nur dann verhältnismäßig ist, wenn die tatsächlichen Kosten des Straßenbaus adäquat berücksichtigt werden.
FAQ – Fragen und Antworten zur Kameralistik
In diesem Abschnitt beantworten wir einige häufig gestellte Fragen zur Kameralistik und ihren rechtlichen Grundlagen.
Was ist der Unterschied zwischen der Kameralistik und der Doppik?
Die Kameralistik konzentriert sich auf die Erfassung und Verarbeitung von Geldmitteln und weist insbesondere keine Vermögensgegenstände oder Schulden aus. Die Doppik (doppelte Buchführung) hingegen erfasst sowohl die Vermögens- als auch die Schuldenlage und unterscheidet zwischen Anlage- und Umlaufvermögen. Während die Kameralistik vor allem im öffentlichen Sektor Anwendung findet, ist die Doppik das gängige Buchführungsverfahren im kaufmännischen Bereich.
Warum wird die Kameralistik trotz ihrer Beschränkungen im öffentlichen Sektor beibehalten?
Die Beibehaltung der Kameralistik im öffentlichen Sektor basiert auf ihrer langen Tradition und rechtlichen Verankerung in den jeweiligen Haushaltsordnungen. Zudem steht bei der öffentlichen Haushaltsführung die Liquidität im Vordergrund, die mit der Kameralistik optimal gesteuert werden kann. Allerdings setzten einige Gebietskörperschaften bereits schrittweise auf die Einführung der Doppik, um eine transparentere Darstellung von Vermögen und Schulden zu ermöglichen.
Worauf sollten öffentliche Einrichtungen bei der Haushaltsführung gemäß der Kameralistik achten?
Öffentliche Einrichtungen sollten bei der Haushaltsführung gemäß der Kameralistik insbesondere auf die Einhaltung der jeweils geltenden rechtlichen Grundlagen achten. Dies bedeutet, dass alle Einnahmen und Ausgaben entsprechend der gesetzlichen Vorgaben erfasst und verarbeitet werden müssen. Zudem ist die periodengerechte Buchung von entscheidender Bedeutung, um die Liquidität sicherzustellen und die Kontrolle der Haushaltsführung zu erleichtern.
Wie können Verstöße gegen die Kameralistik rechtlich geahndet werden?
Verstöße gegen die Kameralistik können sowohl verwaltungsrechtliche als auch strafrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Dies kann zum Beispiel die Anordnung einer Nachprüfung, disziplinarische Maßnahmen oder sogar ein Strafverfahren umfassen. Die genauen rechtlichen Konsequenzen hängen von der Schwere des Verstoßes und dem geltenden Landes- oder Kommunalrecht ab.
Abschließende Bewertung
Die Kameralistik ist ein zentraler Bestandteil der Haushaltsführung im öffentlichen Sektor und bildet die rechtlichen Grundlagen für die Einnahmen- und Ausgabenbewirtschaftung der Gebietskörperschaften, Sondervermögen und sonstigen Einrichtungen der öffentlichen Hand. Trotz ihrer Beschränkungen ermöglicht die Kameralistik eine effektive Steuerung der Liquidität und erleichtert die Kontrolle der Haushaltsführung. Die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben ist dabei von entscheidender Bedeutung und sollte sowohl von den Verantwortlichen im öffentlichen Sektor als auch von Anwälten und Rechtsberatern, die in diesem Bereich tätig sind, berücksichtigt werden. Aktuelle Gerichtsurteile zeigen immer wieder, dass die Kameralistik auch im heutigen Rechtsalltag eine große Rolle spielt und zu einer Vielzahl rechtlicher Fragestellungen und Auseinandersetzungen führt.
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