In unserem heutigen Blog-Beitrag widmen wir uns dem Koinzidenzprinzip im Strafrecht. Das Strafrecht ist eine weitverzweigte Rechtsdisziplin und stellt hohe Anforderungen an Wissen und Erfahrung, um Mandanten bestmöglich zu vertreten und zu beraten. Neben einem grundlegenden Verständnis für allgemeine strafrechtliche Begriffe und Prinzipien ist es wichtig, rechtliche Ausführungen anhand von Gesetzen, aktuellen Gerichtsurteilen und Beispielen nachvollziehbar und fundiert darzustellen. An dieser Stelle möchten wir Sie daher auf dem Laufenden halten, was das Koinzidenzprinzip im Strafrecht angeht und Ihnen aufzeigen, welche Bedeutung und Ausnahmen damit einhergehen, gestützt durch praxisnahe Beispiele und unter Berücksichtigung aktueller Urteile.
Das Koinzidenzprinzip – eine Einführung
Das Koinzidenzprinzip ist ein grundlegendes Prinzip im Strafrecht und besagt, dass Vorsatz und Tatbestandsverwirklichung gleichzeitig vorliegen müssen, um eine Strafbarkeit zu begründen. Das bedeutet, dass der Täter mit seinem vorsätzlichen Handeln den gesetzlichen Tatbestand verwirklichen muss. Es handelt sich um einen Grundsatz, der die Verknüpfung von subjektiven und objektiven Elementen einer Straftat sicherstellt und damit auch eine faire und sachgerechte Beurteilung von Strafbarkeiten ermöglicht.
Rechtliche Grundlagen
Das Koinzidenzprinzip ist im deutschen Strafgesetzbuch (StGB) nicht ausdrücklich normiert, sondern wird als allgemeiner Grundsatz des Strafrechts betrachtet, der sich aus systematischen Erwägungen und dem Schuldprinzip (dem Schuldprinzip folgend darf eine Strafe nur verhängt werden, wenn ein Schuldvorwurf besteht) ergibt. Dem Grundsatz nach müssen alle wesentlichen komponenten vorhanden sein, um eine Straftat zu begründen. Dazu gehören:
- Tatbestand
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
Der Tatbestand kann jedoch nicht losgelöst von den anderen Elementen betrachtet werden: Die Rechtswidrigkeit und die Schuld des Täters müssen in der Regel gleichzeitig mit der Tatbestandsverwirklichung festgestellt werden, um das Koinzidenzprinzip einzuhalten.
Ausnahmen vom Koinzidenzprinzip
Trotz der grundlegenden Bedeutung des Koinzidenzprinzips gibt es auch im deutschen Strafrecht einige Ausnahmen, die dieses Prinzip relativieren. Zu den gängigsten Ausnahmen zählen:
Gewollte Tatausführung und Tatvollendungserfolg
In den Fällen, in denen ein Täter vorsätzlich handelt, sich der Erfolg aber erst nach seiner Handlung vollendet, kommt es zur Herabsetzung der Strafe bzw. eventuellen Straflosigkeit, obwohl alle anderen Tatbestandselemente gegeben sind. Beispiele hierfür sind unter anderem:
- Versuch einer vorsätzlichen Körperverletzung, die jedoch erst durch das spätere Einwirken einer selbstständigen Ursache zum Erfolg führt (sogenannte „Kombinationstheorie“).
- Wahlfeststellung, bei der sich das Gericht nicht zwischen zwei in Frage kommenden Straftatbeständen entscheiden kann und den Täter lediglich aufgrund der festgestellten Handlungen verurteilt (z.B. Raub oder räuberische Erpressung).
Wahndelikt
Ein Wahndelikt liegt vor, wenn der Täter in einem Irrtum über eine bestimmte Tatsache handelt und dieses Fehlwissen für ihn bestimmend wurde. Hier handelt es sich um eine Ausnahme des Koinzidenzprinzips, da die Straftat erst dann verwirklicht wurde, als der Täter die wahre Sachlage erkannte bzw. erkennen konnte.
Straftaten mit Erfolgseintritt aufgrund erzwungener Duldung
Hier liegt eine Ausnahme des Koinzidenzprinzips vor, wenn das Opfer einer Straftat (z.B. räuberische Erpressung) die Vornahme einer Handlung aufgrund einer Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben duldet und der Täter das Opfer so zur Tatausführung zwingt.
Straftaten im Zustand der Täuschung oder Einschüchterung
In diesen Fällen handelt der Täter zwar vorsätzlich, jedoch erfolgt die Tatbestandsverwirklichung erst aufgrund des Einwirkens einer einschüchternden oder täuschenden Handlung des Täters (z.B. beim Betrug oder der Nötigung). Diese Handlung wird jedoch verfahrensrechtlich als Zurechnungsmoment betrachtet und unterbricht das Erfordernis der Gleichzeitigkeit von Vorsatz und Tatausführung.
Aktuelle Gerichtsurteile zum Koinzidenzprinzip
Um Ihnen ein besseres Verständnis für die rechtliche Tragweite des Koinzidenzprinzips im Strafrecht zu vermitteln, möchten wir Ihnen einige aktuelle Gerichtsurteile vorstellen, die dieses Prinzip betreffen:
- BGH, Urteil vom 17.01.2018 – 5 StR 485/17: In diesem Urteil stellte der Bundesgerichtshof (BGH) klar, dass bei einem versuchten Raub im Rahmen einer Betrugsstraftat der Vorsatz hinsichtlich der Wegnahme des gestohlenen Gutes nicht bereits durch das vorsätzliche Herbeiführen einer Täuschung des Opfers verwirklicht wird, sondern der Täter darüber hinaus auch vorsätzlich zum Raub übergehen muss.
- BGH, Urteil vom 11.10.2018, 3 StR 162/18: In einer Entscheidung zum Koinzidenzprinzip im Wettbewerbsstrafrecht fasste der BGH dahingehend zusammen, dass eine Abkehr vom Koinzidenzprinzip im Einzelfall einer wettbewerbsstrafbaren Handlung nur dann geboten ist, wenn der Täter vorsätzlich das durch die Norm geschützte Rechtsgut verletzt und der Verstoß gegen die Norm allein zur Wahrung der Wettbewerbsneutralität erfolgt.
- OLG Hamm, Urteil vom 19.12.2019 – 1 RVs 103/19: Das Oberlandesgericht Hamm führte in seiner Entscheidung aus, dass das Koinzidenzprinzip bei einer einfachen Nötigung, bei der der Täter zunächst unaufgefordert eine konkrete Handlung fordert, um anschließend unter Einsatz der Nötigungsmittel die Vornahme der Forderung zu erzwingen, eine tatbestandsmäßige Handlung voraussetzt – hier also erst das Fordern der Handlung.
FAQ
Was ist das Koinzidenzprinzip?
Das Koinzidenzprinzip ist ein grundlegendes Prinzip im Strafrecht, das besagt, dass Vorsatz und Tatbestandsverwirklichung gleichzeitig vorliegen müssen, um eine Strafbarkeit des Täters zu begründen. Das bedeutet, dass der Täter durch sein vorsätzliches Handeln den gesetzlichen Tatbestand verwirklichen muss.
Warum ist das Koinzidenzprinzip so wichtig für das Strafrecht?
Das Koinzidenzprinzip ist wichtig für das Strafrecht, weil es die Verknüpfung von subjektiven und objektiven Elementen einer Straftat sicherstellt. Es trägt dazu bei, eine faire und sachgerechte Beurteilung von Strafbarkeiten zu ermöglichen, indem es sicherstellt, dass Vorsatz und Tatbestandsverwirklichung gleichzeitig erfolgen müssen, um eine Straftat zu begründen.
Gibt es Ausnahmen vom Koinzidenzprinzip?
Ja, es gibt einige Ausnahmen vom Koinzidenzprinzip im Strafrecht, zu den gängigsten Ausnahmen zählen:
- Gewollte Tatausführung und Tatvollendungserfolg (z. B. bei Versuch oder Wahlfeststellung)
- Wahndelikt
- Straftaten mit Erfolgseintritt aufgrund erzwungener Duldung (z. B. räuberische Erpressung)
- Straftaten im Zustand der Täuschung oder Einschüchterung (z. B. Betrug oder Nötigung)
Welche Rolle spielt das Koinzidenzprinzip in aktuellen Gerichtsurteilen?
Das Koinzidenzprinzip spielt in aktuellen Gerichtsurteilen eine bedeutende Rolle, weil es die Grundlage für die Beurteilung von Strafbarkeiten bildet. Gerichte müssen das Koinzidenzprinzip bei der Beurteilung von Straftaten beachten und prüfen, ob Vorsatz und Tatbestandsverwirklichung gleichzeitig vorliegen. In einigen Fällen müssen Gerichte auch prüfen, ob Ausnahmen vom Koinzidenzprinzip vorliegen, die dazu führen könnten, dass eine Straftat trotzdem verwirklicht wurde oder eine Strafmilderung bzw. Straflosigkeit eintritt.
Fazit
Das Koinzidenzprinzip ist ein grundlegendes Prinzip im Strafrecht, das sowohl für die Beurteilung von Straftaten als auch für die Verteidigung und Beratung von Mandanten eine zentrale Rolle spielt. Obwohl es einige Ausnahmen vom Koinzidenzprinzip gibt, bleibt es doch ein wichtiges Instrument zur Sicherung von Fairness und Gerechtigkeit im Strafrechtssystem. Unsere Kanzlei verfügt über langjährige Erfahrung im Umgang mit strafrechtlichen Fragestellungen und berät Sie gerne zu Fragen des Koinzidenzprinzips oder anderen strafrechtlichen Themen. Zögern Sie nicht, uns für eine fundierte und professionelle Betreuung zu kontaktieren.
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Arthur Wilms | Rechtsanwalt | Associate
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