In der juristischen Praxis gibt es zahlreiche Situationen, in denen Rechtsmittel eingelegt werden, um gegen gerichtliche Entscheidungen vorzugehen, seien es Berufungen, Revisionen oder Beschwerden. Genauso häufig kommt es jedoch vor, dass Rechtsmittelführer ihre Rechtsmittel zurücknehmen, sei es aus strategischen oder taktischen Gründen oder aufgrund neuer Erkenntnisse. Im folgenden Blog-Beitrag beleuchten wir die verschiedenen Aspekte der Rechtsmittelrücknahme und ihre prozessualen Folgen, einschließlich der gesetzlichen Regelungen, praktischen Beispiele, aktueller Gerichtsurteile und häufig gestellter Fragen.

Rechtsgrundlagen der Rechtsmittelrücknahme

Die Rechtsmittelrücknahme ist im deutschen Prozessrecht an verschiedenen Stellen normiert. Für die verschiedenen Arten von Rechtsmitteln gelten unterschiedliche Regelungen, die im Folgenden dargestellt werden:

  • Zivilprozessrecht: Die Rechtsmittelrücknahme im Zivilprozess ist in den §§ 516-518 der Zivilprozessordnung (ZPO) geregelt.
  • Strafprozessrecht: Im Strafprozess findet sich die Regelung zur Rechtsmittelrücknahme in den §§ 302-303 der Strafprozessordnung (StPO).
  • Verwaltungsprozessrecht: Im Verwaltungsprozess gelten die §§ 141-142 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) für die Rücknahme von Rechtsmitteln.
  • Sozialgerichtsverfahren: Im Bereich der Sozialgerichtsbarkeit sind die §§ 169-170 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) für die Rechtsmittelrücknahme von Bedeutung.
  • Arbeitsgerichtsverfahren: Im arbeitsgerichtlichen Verfahren ist § 67 der Arbeitsgerichtsordnung (ArbGG) für die Rechtsmittelrücknahme einschlägig.

Im Folgenden werden wir uns auf die Regelungen der ZPO konzentrieren, da diese am häufigsten in der Praxis anzutreffen ist. Die genannten Vorschriften in den anderen Verfahrensrechten weisen jedoch weitgehend ähnliche Regelungen auf und werden daher ebenfalls erläutert, sofern sich Besonderheiten ergeben.

Voraussetzungen und Fristen für die Rechtsmittelrücknahme

Grundsätzlich ist die Rechtsmittelrücknahme in der ZPO uneingeschränkt zulässig, solange das Rechtsmittelverfahren noch nicht durch eine Sachentscheidung abgeschlossen wurde (§ 516 Abs. 1 ZPO). Dies bedeutet, dass die Rücknahme eines Rechtsmittels in jedem Stadium des gerichtlichen Verfahrens bis zur Verkündung des Urteils oder Beschlusses erklärt werden kann.

Die Rechtsmittelrücknahme muss an das Gericht gerichtet werden, das über das Rechtsmittel entscheidet (§ 517 ZPO). Die Erklärung der Rücknahme erfolgt durch einen entsprechenden Schriftsatz oder durch eine mündliche Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle. Eine mündliche Rücknahmeerklärung vor dem Prozessrichter ist nach dem Gesetz ebenfalls zulässig. In diesem Fall wird das Verfahren gemäß § 518 Abs. 1 ZPO als in dem Stand anhängig, in dem es sich im Zeitpunkt der Rücknahmeerklärung befindet.

Rechtsfolgen der Rechtsmittelrücknahme

Die Rücknahme eines Rechtsmittels hat verschiedene Rechtsfolgen, die im Folgenden dargestellt werden sollen:

  • Bindungswirkung: Die Rücknahme eines Rechtsmittels hat zur Folge, dass die angefochtene Entscheidung rechtskräftig wird (§ 516 Abs. 3 ZPO). Dies bedeutet, dass die Entscheidung in Bezug auf den zurückgenommenen Teil des Rechtsmittels ihre Bindungswirkung entfaltet und nicht mehr angefochten werden kann. Eine erneute Einlegung des Rechtsmittels ist unzulässig.
  • Kostenfolgen: Gemäß § 516 Abs. 3 ZPO hat der Rechtsmittelführer, der das Rechtsmittel zurücknimmt, die durch das Rechtsmittel entstandenen Kosten zu tragen. Hierzu gehören insbesondere die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Rechtsmittelführers und des Rechtsmittelgegners. In der Praxis berücksichtigen die Gerichte bei der Kostenentscheidung jedoch häufig auch das (teilweise) Obsiegen des Rechtsmittelführers vor der Rücknahme, sodass die Kostenverteilung entsprechend modifiziert werden kann.
  • Keine Präklusion:Die Rücknahme des Rechtsmittels führt nicht zur Präklusion, d.h. zur rechtsvernichtenden (und damit unzulässig werdenden Nutzung von noch nicht vorgebrachten Rechtsmitteln im Prozess).

Zu beachten ist, dass die Rechtsfolgen der Rechtsmittelrücknahme im Strafprozess (§ 302 Abs. 2 StPO), im Verwaltungsprozess (§ 141 Abs. 2 VwGO) und im Sozialgerichtsverfahren (§ 169 SGG) im Wesentlichen den Regelungen der ZPO entsprechen. Im Arbeitsgerichtsverfahren hingegen ist die Rechtsmittelrücknahme gemäß § 67 Abs. 2 S. 1 ArbGG nur wirksam, wenn der Rechtsmittelgegner zustimmt. Andernfalls bleibt es bei der durch das Rechtsmittel eingetretenen Suspensiveffekt und dem laufenden Verfahren.

Teilrücknahme von Rechtsmitteln

Die ZPO sieht auch die Möglichkeit der teilweisen Rücknahme eines Rechtsmittels vor (§ 516 Abs. 2 ZPO). Dies bedeutet, dass ein Rechtsmittelführer sein Rechtsmittel insoweit zurücknehmen kann, als es sich auf einen bestimmten Teil der angefochtenen Entscheidung bezieht. Hierbei können die Rechtsfolgen der Rechtsmittelrücknahme – also insbesondere die Bindungswirkung und die Kostenfolgen – unterschiedlich ausgestaltet werden, je nachdem, ob die teilweise Rücknahme als eindeutig abgeschlossener Teil des Verfahrens oder als einheitlicher Prozessgegenstand anzusehen ist.

In der Praxis gibt es allerdings unterschiedliche Auffassungen zur Zulässigkeit der Teilrücknahme von Rechtsmitteln im Hinblick auf das allgemeine prozessuale Trennungsverbot. So argumentieren einige Stimmen, dass das Trennungsverbot entgegensteht, wenn die Rücknahme des Rechtsmittels im Hinblick auf bestimmte Rügen oder Angriffsmittel erfolgen soll. Eine einheitliche höchstrichterliche Entscheidung zu dieser Frage fehlt bislang.

Aktuelle Gerichtsurteile zur Rechtsmittelrücknahme

Im Folgenden werden einige aktuelle Gerichtsurteile zur Rechtsmittelrücknahme vorgestellt, die die praktische Bedeutung dieses Rechtsinstituts verdeutlichen:

  • BGH, Beschluss vom 14. Juni 2017 – XII ZB 96/17: Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte in diesem Fall über die Kostenfolgen der vorzeitigen Rücknahme einer Beschwerde in einem familiengerichtlichen Verfahren zu entscheiden. Der BGH stellte dabei klar, dass die Rücknahme der Beschwerde grundsätzlich zur Kostentragungspflicht des Beschwerdeführers führt, unabhängig davon, ob der Beschwerdeführer durch ein Beschwerdeverfahren möglicherweise bereits ein besseres Ergebnis erzielt hat.
  • OLG Hamm, Beschluss vom 4. Juni 2013 – 15 W 98/13: Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm entschied, dass die Rücknahme einer sofortigen Beschwerde gegen die Kostenentscheidung in einem Zivilprozess gemäß § 516 Abs. 3 ZPO ebenfalls zur Kostentragungspflicht des Beschwerdeführers führt.
  • OLG Frankfurt, Beschluss vom 28. Februar 2018 – 6 W 108/17: Das OLG Frankfurt vertrat die Auffassung, dass die Rücknahme eines Rechtsmittels gegen einen sachlich nicht gerechtfertigten Zwischenbeschluss gleichwohl zur Kostentragungspflicht des Rechtsmittelführers gemäß § 516 Abs. 3 ZPO führen kann, auch wenn dem Rechtsmittelsteller im Grundsatz ein Anspruch auf Zurücknahme der angefochtenen Entscheidung zustünde.

Diese Urteile gewähren einen Einblick in die Fallgestaltungen, mit denen Gerichte in Zusammenhang mit der Rechtsmittelrücknahme befasst sind, und verdeutlichen die Bedeutung der Rechtsmittelrücknahme im prozessualen Alltag.

Häufig gestellte Fragen zur Rechtsmittelrücknahme

Kann ich meine Berufung zurücknehmen, nachdem das Berufungsgericht bereits über die Zulassung der Berufung entschieden hat?

Ja, die Berufung kann grundsätzlich jederzeit bis zur Verkündung des Berufungsurteils zurückgenommen werden, auch wenn das Berufungsgericht zuvor bereits eine Zulassungsentscheidung getroffen hat (§ 516 Abs. 1 ZPO).

Wie erkläre ich die Rücknahme eines Rechtsmittels?

Die Rücknahme eines Rechtsmittels kann durch einen entsprechenden Schriftsatz oder durch eine mündliche Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle erfolgen. Eine mündliche Rücknahmeerklärung vor dem Prozessrichter ist ebenfalls zulässig (§ 517 ZPO).

Was passiert mit dem Verfahren nach der Rücknahme eines Rechtsmittels?

Nach der Rücknahme eines Rechtsmittels gilt das Verfahren gemäß § 518 Abs. 1 ZPO als in dem Stand anhängig, in dem es sich im Zeitpunkt der Rücknahmeerklärung befindet.

Kann ich die Rücknahme meines Rechtsmittels noch widerrufen?

Nein, die Rücknahme eines Rechtsmittels ist grundsätzlich endgültig und kann nicht widerrufen werden. Dies ist auch gesetzlich nicht vorgesehen.

Fazit und Ausblick

Die Rechtsmittelrücknahme ist ein bedeutender Aspekt des deutschen Prozessrechts, der es den Parteien ermöglicht, ihre Rechtsstellung in gerichtlichen Verfahren flexibel und an die jeweiligen Umstände angepasst zu gestalten. Dabei sind die gesetzlichen Regelungen zur Rechtsmittelrücknahme, insbesondere im Hinblick auf die prozessualen Folgen und Fristen, von großer praktischer Bedeutung und sollten von den Verfahrensbeteiligten sorgfältig beachtet werden.

Obwohl die Gesetzgebung die grundsätzlichen Rahmenbedingungen für die Rechtsmittelrücknahme vorgibt, gibt es in der Rechtsprechung immer wieder Diskussionen und Urteile, die einzelne Fragen aufwerfen und klären. Daher ist es für Rechtsanwälte und ihre Mandanten wichtig, sich fortlaufend über aktuelle Entwicklungen und Gerichtsurteile in diesem Bereich zu informieren, um die bestmögliche rechtliche Vertretung und Beratung gewährleisten zu können.

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