Die Frage der sachlichen Zuständigkeit ist ein zentrales Thema im deutschen Gerichtssystem. Dieser Artikel liefert Ihnen einen umfassenden Überblick darüber, welche Gerichte für welche Fälle zuständig sind, wie die Gerichtszuständigkeit geregelt ist und welche aktuelle Rechtsprechung und gesetzliche Regelungen dafür maßgeblich sind. Zudem beantworten wir häufig gestellte Fragen zur sachlichen Zuständigkeit.
Inhalt des Artikels
- Sachliche Zuständigkeit in Zivilsachen
- Sachliche Zuständigkeit in Strafsachen
- Aktuelle Rechtsprechung und Gesetzesänderungen
- Häufig gestellte Fragen zur sachlichen Zuständigkeit
Sachliche Zuständigkeit in Zivilsachen
Die sachliche Zuständigkeit in Zivilsachen regelt, welches Gericht für die Entscheidung eines Rechtsstreits zuständig ist. In Deutschland gibt es im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit drei Instanzen der Zivilgerichtsbarkeit:
- Amtsgerichte (AG)
- Landgerichte (LG)
- Oberlandesgerichte (OLG)
Amtsgerichte
Amtsgerichte sind in Zivilsachen grundsätzlich erstinstanzlich zuständig. Die sachliche Zuständigkeit der Amtsgerichte richtet sich in der Regel nach dem Streitwert des Rechtsstreits.
Gemäß § 23 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) ist das Amtsgericht zuständig, wenn der Streitwert der Klage 5.000 Euro nicht übersteigt. Ausnahmen gelten etwa für Familiensachen oder Mietstreitigkeiten:
- In Familiensachen (z. B. Sorgerecht, Unterhaltsansprüche) sind die Amtsgerichte als Familiengerichte gemäß § 23a GVG zuständig, unabhängig vom Streitwert.
- Bei Mietstreitigkeiten über Wohnraum sind die Amtsgerichte gemäß § 23b GVG zuständig, ebenfalls unabhängig vom Streitwert.
Amtsgerichte sind zudem zuständig für Bagatellsachen (§§ 495a ff. ZPO), d. h. Streitigkeiten, bei denen die sachliche Zuständigkeit nicht ausdrücklich einem anderen Gericht zugewiesen ist und der Streitwert 600 Euro nicht übersteigt.
Landgerichte
Landgerichte sind in Zivilsachen als erstinstanzliche Gerichte zuständig, wenn der Streitwert mehr als 5.000 Euro beträgt und keine Ausnahme nach §§ 23a, 23b GVG greift. Dies ergibt sich aus § 71 GVG. Außerdem sind Landgerichte für Urheberrechtsstreitigkeiten zuständig (§ 104 UrhG), Staatshaftungsansprüche (§ 349 LwVG), Patentstreitsachen (§ 65 PatG) und Wettbewerbsrecht (§ 13 UWG).
Im Berufungsverfahren sind Landgerichte zuständig für Entscheidungen des Amtsgerichts, gegen die Berufung eingelegt wurde (§§ 511 ff. ZPO).
Oberlandesgerichte
Oberlandesgerichte sind in Zivilsachen in erster Instanz zuständig in bestimmten Arten von Rechtsstreitigkeiten, insbesondere:
- Kartellsachen (§ 87 GWB)
- Gewerblicher Rechtsschutz (§ 50 ZPO – z. B. Markenstreitigkeiten)
- Entscheidungen über die Rechtmäßigkeit von Veröffentlichungen der Presse (§ 42 ZPO)
Im Berufungsverfahren sind Oberlandesgerichte zuständig für Entscheidungen der Landgerichte, gegen die Berufung eingelegt wurde (§§ 511 ff. ZPO).
Zuständigkeitskonzentration und Rechtsweg
Im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes gibt es bei Landgerichten spezielle Kammern für Handelssachen (§§ 93 ff. GVG). Zudem können einzelne Landesgesetze (Landesrechtsprechungsgesetze) eine Zuständigkeitskonzentration vorsehen, d. h. die Zivilsachen werden bei bestimmten Kammern konzentriert.
Die örtliche Zuständigkeit der Gerichte ist in § 12 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) geregelt. Grundsätzlich ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Beklagte seinen allgemeinen Gerichtsstand hat (§ 12 ZPO) – also dort, wo er seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat. Allerdings gibt es auch zahlreiche Ausnahmen und Sonderregelungen, z.B. für den Gerichtsstand bei Verbraucherverträgen (§ 29a ZPO).
Beachten Sie, dass die sachliche und örtliche Zuständigkeit in Zivilsachen nur den ordentlichen Gerichten – also Amtsgerichten, Landgerichten und Oberlandesgerichten – zuzuordnen ist. Für Rechtsstreitigkeiten vor Arbeitsgerichten, Verwaltungsgerichten, Sozialgerichten und Finanzgerichten gelten eigene Regelungen, die in den jeweiligen Verfahrensgesetzen (z. B. Arbeitsgerichtsgesetz, Verwaltungsgerichtsordnung) festgelegt sind.
Sachliche Zuständigkeit in Strafsachen
In Strafsachen ist die sachliche Zuständigkeit der Gerichte durch das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) und die Strafprozessordnung (StPO) geregelt. Auch hier gibt es verschiedene Ebenen und Zuständigkeiten:
- Amtsgerichte
- Landgerichte
- Oberlandesgerichte
Amtsgerichte
Amtsgerichte sind in Strafsachen gemäß §§ 24 ff. GVG und den §§ 12 ff. der StPO zuständig:
- Als Strafrichter (Einzelrichter) in Verfahren über Strafbefehle (§ 407 StPO) oder bestimmte Verkehrsordnungswidrigkeiten (§§ 683, 1 OWiG).
- Als Schöffengerichte bei allen Verfahren mit einer Strafandrohung von mindestens einem Jahr (§ 24 GVG).
Darüber hinaus können Amtsgerichte unter bestimmten Voraussetzungen auch für die Verhandlung anderer Delikte zuständig sein, wenn die Strafandrohung nicht über zwei Jahre hinausgeht und es sich nicht um schwere Verbrechen handelt (§ 25 GVG).
Landgerichte
Landgerichte sind in Strafsachen gemäß §§ 74 ff. GVG als erste Instanz bei schweren Straftaten (z. B. Mord, Totschlag, Raub) zuständig:
- Als Schwurgericht bei besonders schweren Verbrechen (Mord, Totschlag u. ä.).
- Als Große Strafkammer, wenn die Anklage nicht wegen eines Verbrechens (§§ 74a GVG) erhoben wird, aber eine Freiheitsstrafe von mehr als vier Jahren erwartet wird.
- Als Kleine Strafkammer bei anderen Strafverfahren, wenn die Voraussetzungen des § 24 GVG nicht erfüllt sind.
Landgerichte sind zudem zuständig, wenn eine Berufung eingelegt wird, die nicht die Hauptverhandlung an einem der Amtsgerichte betrifft (§§ 312 ff. StPO).
Oberlandesgerichte
Oberlandesgerichte sind in Strafsachen gemäß § 120 GVG zuständig, wenn:
- Das Gesetz dies ausdrücklich vorsieht (z. B. § 13 StGB).
- Eine Strafkammer des Landgerichts die Sache aufgrund eines Antrags der Staatsanwaltschaft an das Oberlandesgericht verweist (§ 120 Abs. 2 GVG).
- In einem Berufungsverfahren gegen ein Urteil des Landgerichts (§§ 27 f. StPO).
Aktuelle Rechtsprechung und Gesetzesänderungen
Im Bereich der sachlichen Zuständigkeit gibt es regelmäßig Änderungen durch neue Gesetze oder aktuelle Rechtsprechung. Einige der relevanten Entwicklungen sind:
- Das Gesetz zur Verbesserung des Rechtsschutzes gegenüber überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen (ÜberlVrhG) vom 24.11.2011 hat die sachliche Zuständigkeit der Amtsgerichte erweitert und vereinfacht, indem der Schwellenwert für die Zuständigkeit von ursprünglich 3.000 Euro auf 5.000 Euro angehoben wurde. Dies ermöglicht eine schnellere Bearbeitung von Fällen und entlastet die Landgerichte.
- Die Einführung der Europäischen Schutzanordnung durch die EU-Verordnung (2011/99/EU) hat zu einer erweiterten Zuständigkeit der Amtsgerichte geführt, da sie nun auch für Schutzanordnungen im europäischen Raum zuständig sind.
- Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 16.02.2017 (Az. I ZR 194/15) hat die sachliche Zuständigkeit der Oberlandesgerichte im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes gestärkt, indem es entschied, dass diese Gerichte auch für Klagen gegen Anbieter im Ausland zuständig sind, wenn der Schaden im Inland entstanden ist.
Häufig gestellte Fragen zur sachlichen Zuständigkeit
Warum ist die sachliche Zuständigkeit in meinem Fall wichtig?
Die sachliche Zuständigkeit ist entscheidend, um sicherzustellen, dass Ihr Fall von der richtigen Instanz bearbeitet wird. Eine Klage vor dem unzuständigen Gericht kann zur Unzulässigkeit oder Abweisung des Verfahrens führen. Außerdem hätten Sie im Falle einer unzuständigen Klage die Gerichts- und Anwaltskosten zu tragen.
Kann ich die sachliche Zuständigkeit in meinem Fall selbstständig ermitteln?
Grundsätzlich können Sie versuchen, die sachliche Zuständigkeit selbständig zu ermitteln, indem Sie sich mit den relevanten Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes, der Zivilprozessordnung und anderer relevanter Gesetzestexte auseinandersetzen. Allerdings ist dies häufig kompliziert und zeitaufwändig. Es empfiehlt sich, hierfür einen erfahrenen Anwalt zu Rate zu ziehen.
Kann ich mein Verfahren einfach vor einem höheren Gericht anstreben, wenn ich das Ergebnis des Amtsgerichts nicht akzeptieren möchte?
Nein, eine Klage vor einem höheren Gericht ist nur möglich, wenn die entsprechenden Voraussetzungen für dessen Zuständigkeit erfüllt sind. In den meisten Fällen müssen Sie zunächst vor dem zuständigen Amtsgericht oder Landgericht klagen und können dann gegebenenfalls in die nächste Instanz – also Berufung oder Revision – gehen, sofern die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen.
Wie finde ich heraus, welches Gericht in meinem Fall örtlich zuständig ist?
Die örtliche Zuständigkeit können Sie anhand der Regelungen im Gerichtsverfassungsgesetz, der Zivilprozessordnung oder der Strafprozessordnung ermitteln. Im Zweifel sollten Sie jedoch einen Anwalt konsultieren, um sicherzustellen, dass Ihr Verfahren vor dem zuständigen Gericht geführt wird.
Gibt es Sonderregelungen für Verbraucher in Bezug auf die sachliche und örtliche Zuständigkeit?
Ja, für Verbraucher gibt es im deutschen Recht spezielle Regelungen, die ihren Schutz und ihre Rechtsdurchsetzung stärken. Beispielsweise sind in Verbraucherverträgen (§ 13 BGB) Gerichtsstandsvereinbarungen nur sehr eingeschränkt zulässig (§§ 38 ff. ZPO). Zudem gibt es für Verbrauchergerichtsstände Regelungen zur örtlichen Zuständigkeit, die darauf abzielen, die Durchsetzung von Verbraucherrecht zu erleichtern (§ 29a ZPO).
Abschließend sei nochmals betont, dass das Thema der sachlichen Zuständigkeit komplex ist und es entscheidend ist, den richtigen Rechtsweg im Hinblick auf die zuständigen Gerichte zu wählen. Wir empfehlen Ihnen daher, einen erfahrenen Anwalt zu konsultieren, der Sie in diesem Zusammenhang berät und unterstützt.
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Wolfgang Herfurtner | Rechtsanwalt | Geschäftsführer | Gesellschafter
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