Verträge sind das Rückgrat unserer Wirtschaft und des täglichen Lebens. Sie regeln unsere Rechte und Pflichten, und im Großen und Ganzen funktionieren sie gut. Doch manchmal sind Verträge nicht nur problematisch, sondern auch rechtswidrig. In diesem Beitrag untersuchen wir die Sittenwidrigkeit von Verträgen, welche Anzeichen es gibt, welche Rechtsfolgen drohen und wie man sie vermeiden kann. Dabei beziehen wir uns auf Gesetze, aktuelle Gerichtsurteile und FAQs aus der Rechtspraxis.

Was ist Sittenwidrigkeit?

Sittenwidrigkeit bezeichnet die Unvereinbarkeit eines Vertrags oder einer vertraglichen Vereinbarung mit den guten Sitten. Dabei handelt es sich um ein unbestimmtes Rechtsbegriff, der in der Praxis oft zu Diskussionen führt. Die Sittenwidrigkeit wird im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) in § 138 Abs. 1 geregelt:

Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.

Die guten Sitten sind dabei von der Rechtsordnung anerkannte, allgemeine Wertvorstellungen und Verhaltensnormen, die in der Gesellschaft als verbindlich gelten. Verstößt ein Vertrag gegen diese Wertvorstellungen, so ist er sittenwidrig und damit nichtig.

Wann ist ein Vertrag sittenwidrig?

Um einen Vertrag als sittenwidrig einzustufen, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Im Folgenden stellen wir die wichtigsten Voraussetzungen vor und erläutern sie anhand von Beispielen.

Verstoß gegen die guten Sitten

Ein Vertrag ist sittenwidrig, wenn er gegen die guten Sitten verstößt. Dazu muss das Rechtsgeschäft gegen allgemeine Wertvorstellungen und Verhaltensnormen verstoßen. Beispiele hierfür sind:

  • Verträge, die eine Person zur Prostitution verpflichten.
  • Verträge, die eine Person zur Vornahme einer Straftat verpflichten.
  • Verträge, die aufgrund eines besonders groben Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung sittenwidrig sind (sog. Wucher).

Schädigung der Rechtsordnung

Ein Vertrag ist sittenwidrig, wenn er die Rechtsordnung schädigt. Dies ist der Fall, wenn das Rechtsgeschäft auf eine Umgehung von zwingenden gesetzlichen Vorschriften abzielt. Beispiele hierfür sind:

  • Verträge, die darauf abzielen, das Kündigungsschutzgesetz zu umgehen (z. B. durch Scheinselbstständigkeit).
  • Verträge, die darauf abzielen, das Mindestlohngesetz zu umgehen (z. B. durch verdeckte Lohnkürzungen).

Sittenwidrigkeit aufgrund von Ausbeutung

Ein Vertrag ist auch dann sittenwidrig, wenn er eine Person ausbeutet. Dies ist der Fall, wenn eine Person aufgrund von besonderen Umständen in einer schwächeren Verhandlungsposition ist und der andere Vertragspartner dies ausnutzt, um sich ungerechtfertigte Vorteile zu verschaffen. Beispiele hierfür sind:

  • Verträge, die aufgrund von Zwang, Täuschung oder Drohung zustande gekommen sind.
  • Verträge, bei denen ein Unternehmer eine Notlage, Unerfahrenheit oder ein Leichtsinn eines Verbrauchers ausnutzt.

Rechtsfolgen der Sittenwidrigkeit

Ein sittenwidriger Vertrag ist nichtig. Das bedeutet, dass er von Anfang an keine rechtliche Wirkung entfaltet. Die Rechtsfolgen der Nichtigkeit sind vielfältig und betreffen insbesondere:

  • Die Unwirksamkeit der Verpflichtungen aus dem Vertrag.
  • Die Unmöglichkeit der Durchsetzung von Ansprüchen aus dem Vertrag.
  • Die Rückabwicklung des Vertrags und die Rückforderung bereits erbrachter Leistungen.
  • Die Haftung für Schäden, die durch die Nichtigkeit des Vertrags entstanden sind.

Aktuelle Gerichtsurteile zur Sittenwidrigkeit von Verträgen

Die Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit von Verträgen ist vielfältig und entwickelt sich ständig weiter. Im Folgenden stellen wir einige aktuelle Gerichtsurteile vor, die für die Praxis von Bedeutung sind:

Sittenwidrigkeit von Mietverträgen

Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 2019 entschieden, dass die Mietpreisbremse nicht gegen die Verfassung verstößt (BVerfG, Beschluss vom 18.07.2019 – 1 BvL 1/18 u.a.). Das Gericht hat betont, dass die Mietpreisbremse ein geeignetes Mittel ist, um die Wohnungsnot in angespannten Wohnungsmärkten zu bekämpfen und damit dem Allgemeinwohl dient. Mietverträge, die gegen die Mietpreisbremse verstoßen, sind jedoch nicht automatisch sittenwidrig. Vielmehr muss der Vermieter in einem solchen Fall eine Abmahnung erhalten und die Möglichkeit haben, den Mietpreis anzupassen.

Sittenwidrigkeit von Kreditverträgen

Das Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem Urteil aus dem Jahr 2017 entschieden, dass ein Kreditvertrag zwischen einem Kreditgeber und einem Kreditnehmer sittenwidrig sein kann, wenn der effektive Jahreszins den gesetzlichen Höchstzins um mehr als 100 Prozent übersteigt (BGH, Urteil vom 24.01.2017 – XI ZR 183/15). In diesem Fall liegt ein grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vor, das zu einer Nichtigkeit des Vertrags führt.

Sittenwidrigkeit von Arbeitsverträgen

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in mehreren Entscheidungen festgestellt, dass Arbeitsverträge sittenwidrig sein können, wenn sie gegen zwingende gesetzliche Vorschriften verstoßen. So hat das Gericht beispielsweise entschieden, dass ein Arbeitsvertrag, der einen Arbeitnehmer zur Arbeit an Sonn- und Feiertagen verpflichtet, ohne die gesetzlich vorgeschriebenen Ausgleichsruhetage zu gewähren, sittenwidrig ist (BAG, Urteil vom 26.03.2014 – 5 AZR 886/12). In einem solchen Fall ist der betreffende Vertragsbestandteil nichtig, und der Arbeitnehmer kann die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften verlangen.

FAQs zur Sittenwidrigkeit von Verträgen

Kann ein sittenwidriger Vertrag geheilt werden?

Grundsätzlich ist ein sittenwidriger Vertrag nichtig und kann nicht geheilt werden. Allerdings kann in bestimmten Fällen eine Anpassung des Vertrags erfolgen, um die Sittenwidrigkeit zu beseitigen. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Mietvertrag gegen die Mietpreisbremse verstößt (siehe oben).

Kann ich einen sittenwidrigen Vertrag rückgängig machen?

Da ein sittenwidriger Vertrag von Anfang an nichtig ist, gibt es im Grunde genommen nichts, was rückgängig gemacht werden müsste. Allerdings können bereits erbrachte Leistungen im Rahmen der Rückabwicklung des Vertrags zurückgefordert werden. Dazu müssen die betroffenen Vertragsparteien ihre Leistungen einander zurückgewähren, soweit dies möglich ist.

Wie kann ich feststellen, ob mein Vertrag sittenwidrig ist?

Die Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Vertrags kann komplex sein und erfordert oftmals eine genaue Analyse des konkreten Sachverhalts und der rechtlichen Rahmenbedingungen. Im Zweifel sollte man sich daher an einen Rechtsanwalt oder einen Fachanwalt für Vertragsrecht wenden, der den Sachverhalt prüft und eine entsprechende Einschätzung vornehmen kann.

Wie kann ich mich vor sittenwidrigen Verträgen schützen?

Um sich vor sittenwidrigen Verträgen zu schützen, sollte man sich grundsätzlich vor Vertragsschluss ausführlich über die rechtlichen Rahmenbedingungen informieren und aufmerksam prüfen, ob der Vertrag gegen gesetzliche Vorschriften oder allgemeine Wertvorstellungen verstößt. Bei Unsicherheiten oder komplexen Sachverhalten ist es ratsam, juristischen Rat einzuholen.

Fazit

Die Sittenwidrigkeit von Verträgen ist ein komplexes Thema, das in der Rechtspraxis immer wieder zu Diskussionen führt. Grundsätzlich ist ein Vertrag sittenwidrig, wenn er gegen die guten Sitten, die Rechtsordnung oder die Interessen einer Vertragspartei verstößt. Sittenwidrige Verträge sind nichtig und entfalten keine rechtlichen Wirkungen. Die Rechtsfolgen der Nichtigkeit betreffen insbesondere die Unwirksamkeit der Verpflichtungen, die Unmöglichkeit der Durchsetzung von Ansprüchen und die Rückabwicklung des Vertrags. Um sich vor sittenwidrigen Verträgen zu schützen, sollte man sich stets ausführlich über die rechtlichen Rahmenbedingungen informieren und im Zweifel juristischen Rat einholen.

Die Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit von Verträgen ist vielfältig und entwickelt sich ständig weiter. Daher ist es wichtig, sich über aktuelle Gerichtsurteile und Entwicklungen in diesem Bereich auf dem Laufenden zu halten. In diesem Beitrag haben wir einige aktuelle Urteile vorgestellt und die wichtigsten Fragen rund um die Sittenwidrigkeit von Verträgen beantwortet. Wenn Sie weitere Fragen haben oder juristische Unterstützung benötigen, zögern Sie nicht, sich an einen erfahrenen Rechtsanwalt oder Fachanwalt für Vertragsrecht zu wenden.

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