Die Stoffgleichheit ist ein Begriff, der in der deutschen Rechtsprechung weitreichende Bedeutung hat. In diesem Blog-Beitrag geben wir Ihnen einen detaillierten Einblick in das Konzept der Stoffgleichheit, sowohl im Strafrecht als auch im Zivilrecht. Wir untersuchen dabei zahlreiche Aspekte der Thematik, wie die gesetzlichen Vorschriften, aktuelle Gerichtsurteile und häufig gestellte Fragen. Unser Ziel ist es, Ihnen als kompetente Anwaltskanzlei ein solides rechtliches Verständnis des Begriffs Stoffgleichheit zu vermitteln und Ihnen zu zeigen, wie Sie von diesem Wissen profitieren können.

Gliederung

  • Definition von Stoffgleichheit
  • Stoffgleichheit im Strafrecht
  • Stoffgleichheit im Zivilrecht
  • Häufig gestellte Fragen zur Stoffgleichheit

Definition von Stoffgleichheit

Stoffgleichheit liegt vor, wenn zwei unterschiedliche Klagen oder Verfahren denselben Lebenssachverhalt, dasselbe Rechtsverhältnis oder denselben Streitgegenstand betreffen. Das bedeutet, dass beide Klagen oder Verfahren auf der Basis identischer Fakten, Tatbestände oder rechtlicher Ansprüche aufgebaut sind.

Gesetzliche Grundlagen

Die gesetzlichen Regelungen zur Stoffgleichheit finden sich in verschiedenen Gesetzbüchern, sowohl im Strafrecht als auch im Zivilrecht. Die wichtigsten Regelungen sind:

  • § 262 StPO (Strafprozessordnung) – Regelung zur Stoffidentität im Strafrecht
  • § 17 ZPO (Zivilprozessordnung) – Regelung zur Streitgegenstandsdifferenzierung im Zivilrecht
  • § 322 ZPO – Regelung zur materiellen Rechtskraft

Rechtliche Beispiele

Einige Beispiele für Fälle von Stoffgleichheit sind:

  • Ein Arbeiter verklagt seinen Arbeitgeber aufgrund einer rechtswidrigen Kündigung und auf Nachzahlung von Lohnzahlungen. In diesem Fall sind die Klagen auf demselben Sachverhalt begründet und somit stoffgleich.
  • Ein Geschäftsführer wird wegen Steuerhinterziehung angeklagt, und gleichzeitig läuft ein zivilrechtliches Verfahren wegen Schadenersatz gegen ihn. Beide Verfahren sind auf demselben Sachverhalt aufgebaut und somit stoffgleich.

Stoffgleichheit im Strafrecht

Im Strafrecht wird der Begriff der Stoffgleichheit insbesondere im Zusammenhang mit Verfolgungshindernissen und dem „ne bis in idem“-Grundsatz verwendet. Hierbei handelt es sich um rechtliche Prinzipien, die sicherstellen sollen, dass eine Person nicht mehrfach für denselben Sachverhalt belangt werden kann.

Verfolgungshindernisse

Verfolgungshindernisse greifen bei Stoffgleichheit und können dazu führen, dass ein Strafverfahren nicht eingeleitet, eingestellt oder fortgeführt werden darf. Diese können beispielsweise sein:

  • Rechtskraft einer Entscheidung in einem anderen Verfahren (§ 262 StPO)
  • Verfahrenshindernis wegen anderweitiger Verfolgung im Ausland (§ 153 StPO)
  • Einstellung eines Verfahrens in der Hauptsache durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (Art. 46 EMRK)

Ne bis in idem-Grundsatz

Der ne bis in idem-Grundsatz (auch Doppelbestrafungsverbot) ist ein grundlegendes Prinzip im Strafrecht, das besagt, dass niemand für denselben Sachverhalt mehrmals bestraft werden darf. Dieser Grundsatz ist im deutschen Recht, europäischen Recht und internationalen Recht verankert:

  • Art. 103 Abs. 3 GG (Grundgesetz)
  • Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ)
  • Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)

Der ne bis in idem-Grundsatz kommt im Zusammenhang mit Stoffgleichheit dann zur Anwendung, wenn bereits ein rechtskräftiges Urteil in einem stoffgleichen Verfahren ergangen ist. In solchen Fällen ist eine erneute Strafverfolgung unzulässig.

Rechtsprechung im Strafrecht

Die deutsche Rechtsprechung hat sich in einer Vielzahl von Entscheidungen mit der Frage der Stoffgleichheit im Strafrecht auseinandergesetzt. Einige wichtige und aktuelle Urteile, die die prinzipielle Bedeutung der Stoffgleichheit im Strafrecht unterstreichen, sind:

  • Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 15. November 2017, Az. 3 StR 365/17: Der BGH stellte klar, dass ein Angeklagter nicht für unterschiedliche Handlungen im Zusammenhang mit einem und demselben Lebenssachverhalt mehrfach bestraft werden darf.
  • Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 21. September 2018, Az. 2 BvR 2304/17: Das BVerfG betonte die Bedeutung des ne bis in idem-Grundsatzes und bekräftigte, dass keine erneute Strafverfolgung für denselben Sachverhalt zulässig ist, wenn bereits ein rechtskräftiges Urteil ergangen ist.

Stoffgleichheit im Zivilrecht

Auch im Zivilrecht hat die Stoffgleichheit eine zentrale Bedeutung und betrifft insbesondere die Rechtskraft und das Verbot von Doppelverfahren. Dabei stehen zwei verschiedene Formen der Stoffgleichheit im Fokus: formelle und materielle Stoffgleichheit.

Rechtskraft und materielle Rechtskraft

Die Rechtskraft ist ein zentrales Element im Zivilrecht und besagt, dass ein rechtskräftiges Urteil nicht mehr angefochten und von den Parteien, deren Rechtsverhältnis betroffen ist, als verbindlich angesehen werden muss. Dabei unterscheidet man zwischen formeller und materieller Rechtskraft:

  • Formelle Rechtskraft: Ein Urteil ist formell rechtskräftig, wenn keine Rechtsmittel mehr zulässig oder erfolglos eingelegt wurden (§ 705 ZPO).
  • Materielle Rechtskraft: Ein Urteil entfaltet materielle Rechtskraft, wenn es inhaltlich bindend für die Parteien und deren Unterlassungs- oder Leistungspflichten wird (§ 322 ZPO). Materielle Rechtskraft erstreckt sich auf alle Fragen, die im Urteil entschieden wurden und solche, die hätten geltend gemacht werden können (sogenannte präkludierte Einwendungen).

Formelle und materielle Stoffgleichheit

Die Stoffgleichheit kann im Zivilrecht in zwei Formen auftreten:

  • Formelle Stoffgleichheit: Sie liegt vor, wenn beide Klagen auf demselben Sachverhalt beruhen, aber unterschiedliche Anspruchsgrundlagen oder Rechtsverhältnisse betreffen. In solchen Fällen ist es den Parteien grundsätzlich möglich, beide Klagen parallel zu betreiben, sofern keine materielle Rechtskraft eingetreten ist.
  • Materielle Stoffgleichheit: Sie liegt vor, wenn beide Klagen nicht nur denselben Sachverhalt, sondern auch dieselbe Anspruchsgrundlage oder dasselbe Rechtsverhältnis betreffen. In solchen Fällen ist gemäß § 17 ZPO eine zweite Klage unzulässig, wenn bereits eine rechtskräftige Entscheidung in der ersten Klage ergangen ist.

Rechtsprechung im Zivilrecht

Auch im Zivilrecht hat sich die deutsche Rechtsprechung intensiv mit der Thematik der Stoffgleichheit auseinandergesetzt. Einige wichtige und aktuelle Urteile, die die Bedeutung der Stoffgleichheit im Zivilrecht hervorheben, sind:

  • Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 22. Februar 2018, Az. I ZR 118/16: Der BGH stellte klar, dass ein Anspruch auf Schadenersatz und ein Anspruch auf Unterlassung in Fällen von Urheberrechtsverstößen dieselbe Rechtsgrundlage haben und somit materiell stoffgleich sind.
  • Oberlandesgericht (OLG) München, Urteil vom 24. November 2016, Az. 29 U 2498/16: Das OLG München entschied, dass eine Klage auf Herausgabe einer Sache und eine Klage auf Zahlung von Schadenersatz aufgrund derselben Rechtsgrundlage entstanden sind und somit materiell stoffgleich sind.

Häufig gestellte Fragen zur Stoffgleichheit

In diesem Abschnitt beantworten wir einige der häufig gestellten Fragen zur Stoffgleichheit in der deutschen Rechtsprechung.

Was passiert, wenn ich in einem Zivilverfahren einen Anspruch geltend mache, der bereits materiell rechtskräftig abgewiesen wurde?

Die erneute Geltendmachung eines materiell rechtskräftig abgewiesenen Anspruchs ist grundsätzlich unzulässig (§ 17 ZPO). Das Gericht wird die Klage als unzulässig abweisen, und Sie laufen Gefahr, die Prozesskosten zu tragen.

Kann ich als Strafverteidiger Stoffgleichheit zu Gunsten meines Mandanten nutzen?

Ja, als Strafverteidiger können Sie die Stoffgleichheit und den ne bis in idem-Grundsatz zu Gunsten Ihres Mandanten nutzen. Wenn bereits ein rechtskräftiges Urteil in einem stoffgleichen Verfahren ergangen ist, kann Ihr Mandant nicht erneut für denselben Sachverhalt bestraft werden. Sie sollten in solchen Fällen darauf hinwirken, dass das Verfahren eingestellt oder das Verfahrenshindernis berücksichtigt wird.

Was passiert, wenn eine Behörde ein Verwaltungsverfahren einleitet, das auf demselben Sachverhalt wie ein laufendes Strafverfahren beruht?

Grundsätzlich ist die Einleitung eines Verwaltungsverfahrens auf Grundlage desselben Sachverhalts wie ein laufendes Strafverfahren zulässig. Allerdings wird die Behörde im Verwaltungsverfahren möglicherweise den Ausgang des Strafverfahrens abwarten müssen, bevor sie eine Entscheidung trifft, um sicherzustellen, dass keine Doppelbestrafung vorliegt.

Gibt es Ausnahmen vom Grundsatz der Stoffgleichheit?

Ja, Ausnahmen können in bestimmten gesetzlich geregelten Fällen vorkommen. Beispielsweise sind im Familienrecht bei der Überprüfung von Unterhaltsansprüchen mehrere Klagen auf verschiedenen Anspruchsgrundlagen zulässig, und im Arbeitsrecht können verschiedene Klagen auf den verschiedenen Rechtsverhältnissen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer beruhen.

Schlussbemerkung

Die Stoffgleichheit ist ein zentrales Konzept in der deutschen Rechtsprechung, sowohl im Strafrecht als auch im Zivilrecht. Sie stellt sicher, dass eine Person nicht mehrfach für denselben Sachverhalt belangt oder verurteilt werden kann und fördert damit die Rechtssicherheit und -klarheit. Als erfahrene und kompetente Anwaltskanzlei stehen wir Ihnen bei allen Fragen zur Stoffgleichheit zur Verfügung und unterstützen Sie effektiv in Ihrem Rechtsstreit oder -anliegen. Sprechen Sie uns gerne an!

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