Ein Überbaurecht ist ein wesentlicher Bestandteil des deutschen Grundstücksrechts. Es ermöglicht es einem Grundstückseigentümer, Teile seines Gebäudes auf das angrenzende Grundstück eines anderen Eigentümers zu bauen. In diesem ausführlichen Blog-Beitrag werden wir die rechtlichen Grundlagen und Streitigkeiten rund um das Überbaurecht erörtern und Ihnen anhand von Gesetzen, aktuellen Gerichtsurteilen und FAQs ein umfassendes Verständnis des Themas vermitteln.

Inhalt

Was ist ein Überbaurecht?

Ein Überbaurecht ist ein dingliches Recht, das einem Grundstückseigentümer die Möglichkeit gibt, sein Gebäude ganz oder teilweise auf das angrenzende Grundstück eines anderen Eigentümers zu bauen. Das Überbaurecht kann entweder durch Vertrag oder durch Gesetz begründet werden. Es ist im Grundbuch eingetragen und kann, wie jedes andere Grundstücksrecht, veräußert oder vererbt werden.

Neben dem eigentlichen Überbau kann das Überbaurecht auch das Recht des Eigentümers beinhalten, das angrenzende Grundstück für die Durchführung von Bauarbeiten, Instandhaltung oder Modernisierung des überbauenden Gebäudes zu betreten und zu nutzen. Das Überbaurecht ist jedoch kein Freifahrtschein, um das Nachbargrundstück unbegrenzt zu nutzen. Der Eigentümer des überbauten Grundstücks hat nach wie vor das Recht, eine angemessene Entschädigung für die Nutzung seines Grundstücks zu verlangen.

Gesetzliche Grundlagen des Überbaurechts

Das Überbaurecht ist im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt. Die wichtigsten gesetzlichen Regelungen finden sich in den §§ 912 bis 916 BGB.

Überbau durch Vertrag (§ 912 BGB)

Das Überbaurecht kann durch einen Vertrag zwischen den beteiligten Grundstückseigentümern begründet werden. Dieser Vertrag muss notariell beurkundet werden und im Grundbuch eingetragen werden. Ein solcher Vertrag kann sowohl befristet als auch unbefristet sein und kann auch Bedingungen und Auflagen enthalten, die die Nutzung des Überbaurechts regeln.

Überbau durch Duldung (§ 913 BGB)

Wenn ein Grundstückseigentümer ohne rechtliche Grundlage über die Grenze seines Grundstücks hinaus baut, kann der Nachbar den Überbau gemäß § 913 BGB dulden. In diesem Fall darf der überbauende Eigentümer verlangen, dass der überbaute Nachbar gegen eine angemessene Entschädigung den Überbau duldet. Voraussetzung ist, dass der Überbau nicht widerrechtlich erfolgt ist und der überbaute Nachbar den Überbau nicht vorher kannte oder hätte kennen müssen.

Überbau bei gutgläubigem Eigentümer (§ 914 BGB)

Ein weiterer Fall, in dem ein Überbaurecht entstehen kann, ist, wenn der überbauende Eigentümer gutgläubig war, also ohne Kenntnis des Fehlens einer rechtlichen Grundlage für den Überbau gehandelt hat. In diesem Fall kann der überbauende Eigentümer gemäß § 914 BGB verlangen, dass der überbaute Nachbar den Überbau duldet, sofern der überbaute Nachbar keine Einwendungen gegen den Überbau erhoben hat, bevor dieser begonnen wurde. Die Entschädigung für den überbauten Nachbarn bemisst sich in diesem Fall nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung.

Überbau ohne rechtliche Grundlage

Ein Überbau ohne rechtliche Grundlage liegt vor, wenn ein Gebäude ganz oder teilweise auf das Nachbargrundstück gebaut wurde, ohne dass ein Überbaurecht besteht. In einem solchen Fall hat der überbaute Nachbar grundsätzlich das Recht, den Rückbau des Überbaus zu verlangen. Dieses Recht kann jedoch nach den oben genannten Voraussetzungen (§§ 913, 914 BGB) eingeschränkt sein, wenn der überbauende Eigentümer den Überbau in gutem Glauben vorgenommen hat oder der überbaute Nachbar den Überbau dulden muss.

Ein Rückbauverlangen ist in der Regel mit einer angemessenen Fristsetzung verbunden. Wenn der überbauende Eigentümer dem Rückbauverlangen nicht fristgerecht nachkommt, kann der überbaute Nachbar gerichtliche Schritte einleiten und den Rückbau auf Kosten des überbauenden Eigentümers durchführen lassen.

Streitigkeiten rund um das Überbaurecht

Streitigkeiten rund um das Überbaurecht können vielfältig sein und beispielsweise Fragen zur Entschädigung, zur Nutzung des überbauten Grundstücks oder zur Durchführung von Bauarbeiten betreffen. Im Folgenden stellen wir Ihnen einige typische Streitpunkte und deren rechtliche Lösungen vor:

Streit um die Entschädigung

Die Höhe der Entschädigung, die der überbauende Eigentümer an den überbauten Nachbarn zahlen muss, kann häufig zu Streitigkeiten führen. Die Entschädigung soll in der Regel den Wertverlust des überbauten Grundstücks ausgleichen. Wenn die Parteien sich nicht einigen können, kann ein Sachverständiger herangezogen werden, um den Wertverlust zu ermitteln. In einigen Fällen kann auch eine gerichtliche Klärung erforderlich sein.

Streit um die Nutzung des überbauten Grundstücks

Ein weiterer Streitpunkt kann die Nutzung des überbauten Grundstücks sein. Hier sind insbesondere Fragen der Instandhaltung, der Modernisierung und der Durchführung von Bauarbeiten relevant. Grundsätzlich hat der überbauende Eigentümer das Recht, das überbaute Grundstück in angemessenem Umfang zu nutzen, um sein Gebäude zu erhalten und zu modernisieren. Der überbaute Nachbar hat jedoch auch das Recht, eine angemessene Entschädigung für die Nutzung seines Grundstücks zu verlangen. In strittigen Fällen kann auch hier eine gerichtliche Klärung erforderlich sein.

Streit um die Beseitigung von Beeinträchtigungen

Wenn der Überbau zu Beeinträchtigungen für den überbauten Nachbarn führt, etwa durch Lärm, Schmutz oder Erschütterungen, kann dieser die Beseitigung der Beeinträchtigungen verlangen. In vielen Fällen kann eine einvernehmliche Lösung gefunden werden, etwa durch die Durchführung von Schallschutzmaßnahmen oder die Vereinbarung von Ruhezeiten. In einigen Fällen kann jedoch auch eine gerichtliche Klärung erforderlich sein, insbesondere wenn die Beeinträchtigungen erheblich sind und die Parteien keine Einigung erzielen können.

Aktuelle Gerichtsurteile zum Überbaurecht

Die Rechtsprechung zum Überbaurecht ist vielfältig und stets im Wandel. Im Folgenden stellen wir Ihnen einige aktuelle Gerichtsurteile vor, die für das Verständnis des Überbaurechts von Bedeutung sind:

Bundesgerichtshof, Urteil vom 14. Februar 2020 – V ZR 159/19

In diesem Urteil entschied der Bundesgerichtshof, dass ein Überbaurecht auch dann entstehen kann, wenn der Überbau auf einem öffentlich-rechtlichen Baulastenverzeichnis beruht und nicht im Grundbuch eingetragen ist. Der BGH stellte klar, dass ein solches Überbaurecht auch dann entsteht, wenn der überbauende Eigentümer gutgläubig war und der überbaute Nachbar keine Einwendungen gegen den Überbau erhoben hat.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 17. März 2017 – V ZR 139/16

In diesem Urteil befasste sich der Bundesgerichtshof mit der Frage, ob ein überbauender Eigentümer, der aufgrund eines Überbaurechts gemäß § 912 BGB eine Entschädigung an den überbauten Nachbarn zahlen muss, auch einen Anspruch auf Entschädigung gegenüber dem Veräußerer seines Grundstücks hat, wenn dieser den Überbau verschuldet hat. Der BGH entschied, dass ein solcher Anspruch grundsätzlich besteht, sofern der Veräußerer den Überbau verschuldet hat und der überbauende Eigentümer gutgläubig war.

Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 7. Juni 2016 – 24 U 21/15

In diesem Fall musste das Oberlandesgericht Hamm entscheiden, ob der Eigentümer eines überbauten Grundstücks den Rückbau einer Grenzmauer verlangen kann, die auf seinem Grundstück errichtet wurde, ohne dass ein Überbaurecht besteht. Das Gericht entschied, dass der überbaute Nachbar grundsätzlich einen Anspruch auf Rückbau hat, jedoch nur dann, wenn der Rückbau tatsächlich möglich ist und keine unverhältnismäßigen Kosten verursacht.

FAQs zum Überbaurecht

Im Folgenden beantworten wir einige häufig gestellte Fragen zum Überbaurecht:

Kann ich mein Nachbargrundstück überbauen, ohne ein Überbaurecht zu haben?

Nein, grundsätzlich dürfen Sie das Nachbargrundstück nur dann überbauen, wenn Sie ein Überbaurecht haben. Ein Überbau ohne rechtliche Grundlage kann zu Schadensersatzansprüchen und zum Rückbauverlangen des überbauten Nachbarn führen.

Wie kann ich ein Überbaurecht erwerben?

Ein Überbaurecht kann entweder durch einen Vertrag mit dem Nachbarn oder durch gesetzliche Regelungen (§§ 913, 914 BGB) erworben werden. In beiden Fällen sollte das Überbaurecht im Grundbuch eingetragen werden, um Rechtssicherheit zu gewährleisten.

Muss ich eine Entschädigung zahlen, wenn ich ein Überbaurecht habe?

Ja, wenn Sie ein Überbaurecht haben, müssen Sie in der Regel eine angemessene Entschädigung an den überbauten Nachbarn zahlen. Die Höhe der Entschädigung bemisst sich nach dem Wertverlust des überbauten Grundstücks und kann im Einzelfall von einem Sachverständigen ermittelt werden.

Wie lange dauert ein Überbaurecht?

Ein Überbaurecht kann sowohl befristet als auch unbefristet sein. Die Dauer des Überbaurechts wird in der Regel im Überbauvertrag festgelegt. Ein gesetzliches Überbaurecht besteht grundsätzlich solange, wie die Voraussetzungen für das Überbaurecht vorliegen, also beispielsweise solange der überbauende Eigentümer gutgläubig ist oder der überbaute Nachbar den Überbau duldet.

Was passiert, wenn ich mein Grundstück verkaufe, auf dem ein Überbaurecht besteht?

Das Überbaurecht ist ein dingliches Recht und bleibt auch beim Verkauf des Grundstücks bestehen. Der Erwerber des Grundstücks tritt in die Rechte und Pflichten aus dem Überbaurecht ein. Dies gilt sowohl für den überbauenden als auch für den überbauten Eigentümer.

Kann ich gegen einen Überbau vorgehen, der bereits seit vielen Jahren besteht?

Grundsätzlich haben Sie als überbauter Nachbar das Recht, gegen einen Überbau vorzugehen, der ohne rechtliche Grundlage erfolgt ist. Allerdings kann dieses Recht in bestimmten Fällen verwirken, etwa wenn Sie den Überbau jahrelang geduldet haben oder wenn der Rückbau des Überbaus unverhältnismäßig hohe Kosten verursachen würde. In solchen Fällen kann es ratsam sein, eine einvernehmliche Lösung mit dem überbauenden Eigentümer zu suchen, etwa durch die nachträgliche Begründung eines Überbaurechts oder die Vereinbarung einer Entschädigungszahlung.

Fazit

Das Überbaurecht ist ein wichtiger Bestandteil des deutschen Grundstücksrechts und ermöglicht es Grundstückseigentümern, ihr Gebäude über die Grenzen ihres Grundstücks hinweg zu errichten. Die rechtlichen Grundlagen und Streitigkeiten rund um das Überbaurecht sind vielfältig und können unter anderem Fragen zur Entschädigung, zur Nutzung des überbauten Grundstücks oder zur Durchführung von Bauarbeiten betreffen. In jedem Fall ist es ratsam, sich bei Fragen und Problemen zum Überbaurecht an einen erfahrenen Rechtsanwalt zu wenden, der Sie kompetent beraten und Ihre Interessen vertreten kann.

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