Vermächtnis oder Pflichtteil – Die Wahl zwischen diesen beiden Rechtsbegriffen ist für Erben und Testierende von großer Bedeutung. Dieser Artikel befasst sich mit der Thematik, welche Forderung Vorrang hat und liefert Ihnen in einem umfassenden Überblick, die notwendigen Informationen als Wegweiser durch die Fallstricke des Erbrechts.

Inhaltsverzeichnis:

  • Die Definition: Vermächtnis und Pflichtteil
  • Der grundsätzliche Vorrang des Pflichtteils
  • Wann hat ein Vermächtnis Vorrang?
  • Die rechtlichen Besonderheiten bei der Geltendmachung von Pflichtteil und Vermächtnis
  • Wie wird der Pflichtteil ermittelt?
  • Anrechnungen und Ausgleichungen
  • Konkrete Fallstudien aus der Praxis
  • Checkliste: Vermächtnis oder Pflichtteil?
  • FAQ: Häufig gestellte Fragen zu Vermächtnis und Pflichtteil

Die Definition: Vermächtnis und Pflichtteil

Um die Frage nach dem Vorrang von Vermächtnis oder Pflichtteil beantworten zu können, ist es zunächst notwendig, beides zu definieren:

  • Vermächtnis: Ein Vermächtnis ist eine Verfügung von Todes wegen, in der der Erblasser einer oder mehreren Personen einen bestimmten Vermögenswert oder eine Geldsumme zukommen lässt, ohne sie zu Erben zu machen. Im Gegensatz zur Erbschaft, die eine Gesamtrechtsnachfolge begründet, handelt es sich hierbei um eine Einzelrechtsnachfolge.
  • Pflichtteil: Nach § 2303 BGB hat der Pflichtteilsberechtigte, der durch ein Testament oder einen Erbvertrag von der Erbfolge ausgeschlossen wurde, einen Anspruch auf Zahlung eines Geldbetrages in Höhe der Pflichtteilsquote. Pflichtteilsberechtigt sind die nächsten Angehörigen des Erblassers, also seine Abkömmlinge (Kinder, Enkel, Urenkel), der Ehegatte oder Lebenspartner sowie die Eltern des Erblassers, sofern sie zur Zeit des Erbfalls noch leben.

Der grundsätzliche Vorrang des Pflichtteils

Grundsätzlich hat der Pflichtteil Vorrang gegenüber dem Vermächtnis, wenn ein Pflichtteilsberechtigter seinen Anspruch gegenüber dem Erben geltend macht. Demnach wird zuerst der Pflichtteil aus dem Nachlass befriedigt und erst danach das Vermächtnis ausbezahlt. Dies ergibt sich aus der gesetzlichen Regelung in § 2305 BGB. Der Gedanke dahinter ist der Schutz der gesetzlichen Mindestbeteiligungslast der nahen Familienangehörigen am Erbe. Bei der Geltendmachung des Pflichtteils ist der Erbe dazu verpflichtet, auch Vermächtnisse auszukehren, sollte dies für die Erfüllung des Pflichtteils notwendig sein.

Wann hat ein Vermächtnis Vorrang?

In bestimmten Fällen kann jedoch auch ein Vermächtnis Vorrang vor dem Pflichtteil haben. Der Erblasser hat die Möglichkeit, in seinem Testament oder Erbvertrag Regelungen zu treffen, die einen solchen Vorrang begründen. Dazu muss er jedoch klar und eindeutig angeben, dass das Vermächtnis bei der Pflichtteilsermittlung unberücksichtigt bleiben soll. Er kann zudem Anordnungen treffen, die die Befriedigung des Vermächtnisses sichern, etwa die Hinterlegung einer Sicherheit bei der Erteilung des Vermächtnisses. Auch kann der Erblasser das Vermächtnis unter der Bedingung das Pflichtteilsverzichts des Begünstigten anordnen, wodurch der Pflichtteil freiwillig aufgegeben wird.

Die rechtlichen Besonderheiten bei der Geltendmachung von Pflichtteil und Vermächtnis

Undurchsichtig wird es, wenn sowohl Pflichtteil als auch Vermächtnis geltend gemacht werden. Hier stellen sich zahlreiche rechtliche Fragen, zum Beispiel:

  • Wie werden Pflichtteil und Vermächtnis gegenüber dem Erben durchgesetzt?
  • Müssen Pflichtteil und Vermächtnis aus demselben Vermögenswert berücksichtigt werden, etwa dem Familienschmuck?
  • Wie verhalten sich Pflichtteil und Vermächtnis im Rahmen von Erbauseinandersetzungen unter mehreren Erben?
  • Welche Verjährungsfristen gelten für die Geltendmachung von Pflichtteil und Vermächtnis?

Es zeigt sich, dass die tatsächliche Umsetzung von Pflichtteil und Vermächtnis sich als rechtliche Herausforderung darstellt und fachkundige Beratung oftmals unumgänglich ist.

Wie wird der Pflichtteil ermittelt?

Zur Ermittlung des Pflichtteils sind folgende Schritte notwendig:

  1. Bestimmung des Nachlasswertes: Der Wert des Nachlasses ergibt sich aus der Summe aller Vermögensgegenstände und Schulden des Erblassers zum Zeitpunkt des Erbfalls.
  2. Pflichtteilssatz ermitteln: Je nach Verwandtschaftsgrad zum Erblasser gelten unterschiedliche Pflichtteilssätze. Bei Abkömmlingen beträgt der Pflichtteil gemäß § 2303 Abs. 1 BGB die Hälfte des gesetzlichen Erbanteils, beim Ehegatten oder Lebenspartner mindestens ein Viertel (§ 1371 BGB).
  3. Berechnung der Pflichtteilsquote: Nach Gesetzeslage und Pflichtteilssatz erfolgt die Berechnung der jeweiligen Pflichtteilsquote.
  4. Auskehrung des Pflichtteils: Der Pflichtteil ist grundsätzlich als Geldforderung gegenüber dem Erben geltend zu machen.

Anrechnungen und Ausgleichungen

Beachten Sie, dass sowohl beim Vermächtnis als auch beim Pflichtteil diverse Regelungen zu Anrechnungen und Ausgleichungen bestehen. Diese betreffen vor allem den Fall, wenn der Erblasser dem Pflichtteilsberechtigten oder Vermächtnisnehmer zu Lebzeiten bereits Vermögensgegenstände zugewendet hat. Hier kann eine Anrechnung auf den Pflichtteil oder das Vermächtnis erfolgen, es sei denn, der Erblasser hat ausdrücklich eine Anrechnung ausgeschlossen.

Konkrete Fallstudien aus der Praxis

Um Ihnen einen besseren Einblick in die Thematik „Vermächtnis oder Pflichtteil“ bieten zu können, stellen wir Ihnen zwei anonymisierte Fallstudien aus unserer Anwaltspraxis vor:

  1. Fall 1: Die Erblasserin hinterlässt ein Testament, in dem ihre beiden Söhne, A und B, als Erben eingesetzt werden, und setzt zusätzlich ihrer Tochter C ein Vermächtnis in Höhe von 150.000 Euro aus. Der Nachlass hat einen Wert von 400.000 Euro. C möchte jedoch den Pflichtteil geltend machen. In diesem Fall hat der Pflichtteil Vorrang und C erhält einen Pflichtteilsanspruch. Sollte jedoch der Pflichtteil geringer ausfallen als das Vermächtnis, hätte C einen Anspruch auf die Differenz zwischen Pflichtteil und Vermächtnis.
  2. Fall 2: Der Erblasser verfasst ein Testament und setzt seinen Enkel X als Erben ein. Seinen Sohn Y schließt er ausdrücklich von der Erbschaft aus, legt aber fest, dass Y ein Vermächtnis in Höhe von 200.000 Euro erhält, „ungeachtet etwaiger Pflichtteilsansprüche“. In diesem Fall hat das Vermächtnis Vorrang vor dem Pflichtteil, sodass Y zuerst sein Vermächtnis erhält und anschließend prüfen muss, ob sein Pflichtteil hierdurch bereits gedeckt ist oder noch weitere Ansprüche bestehen.

Checkliste: Vermächtnis oder Pflichtteil?

  • Überprüfen Sie das Testament oder den Erbvertrag auf Regelungen bezüglich Vermächtnissen und Pflichtteilen
  • Haben Sie als naher Angehöriger einen Pflichtteilsanspruch? Wenn ja, prüfen Sie, ob dieser durch das Vermächtnis gedeckt ist oder ob eine Aufstockung notwendig ist.
  • Berücksichtigen Sie bei der Berechnung des Pflichtteils auch eventuelle Anrechnungen oder Ausgleichungen, die aufgrund von Zuwendungen zu Lebzeiten relevant sein könnten
  • Stellen Sie Ihren Pflichtteilsanspruch innerhalb der gesetzlichen Verjährungsfrist von drei Jahren geltend und beachten Sie dabei die Formalitäten (z.B. schriftliche Anforderung)
  • Holen Sie sich bei Unklarheiten rechtlichen Rat von einem Spezialisten im Erbrecht ein, um sicherzustellen, dass Ihre Ansprüche korrekt ermittelt und durchgesetzt werden können

FAQ: Häufig gestellte Fragen zu Vermächtnis und Pflichtteil

Untenstehend finden Sie eine Übersicht über die am meisten gestellten Fragen und deren Antworten.

  • Wie kann ich mein Vermächtnis oder Pflichtteil durchsetzen? – Wenden Sie sich zunächst an die Erben und stellen Sie Ihre Ansprüche schriftlich gegenüber diesen. Sollten die Erben nicht kooperieren, kann die Einschaltung eines Anwalts und gegebenenfalls ein gerichtliches Verfahren notwendig sein.
  • Was passiert, wenn der Erblasser keine Regelung zu Vermächtnis oder Pflichtteil getroffen hat? – In diesem Fall greift die gesetzliche Erbfolge, welche die Vermögensaufteilung nach Verwandtschaftsgrad vorsieht. Pflichtteilsberechtigte haben dennoch ihre Ansprüche, die sie gegenüber den Erben geltend machen können.
  • Kann ich auf mein Vermächtnis oder meinen Pflichtteil verzichten? – Ja, eine Person kann sowohl auf ein Vermächtnis als auch auf den gesetzlichen Pflichtteil verzichten. Der Verzicht auf den Pflichtteil sollte in einem notariellen Vertrag festgehalten werden, um rechtskräftig zu sein.
  • Ist eine Rückforderung von Vermächtnissen oder Pflichtteilen möglich? – In bestimmten Fällen, wie z.B. bei arglistiger Täuschung oder Wegfall des Bedürfnisses, kann ein Vermächtnis oder Pflichtteil zurückgefordert werden. Eine Rückforderung sollte jedoch immer auf rechtlichem Wege geschehen und sorgfältig geprüft werden.

Fazit: Vermächtnis oder Pflichtteil – Wissen, was Ihnen zusteht

Die Frage, ob das Vermächtnis oder der Pflichtteil Vorrang hat, ist von zentraler Bedeutung im Erbrecht. Grundsätzlich hat der Pflichtteil Vorrang, aber in bestimmten Fällen kann auch das Vermächtnis privilegiert werden, etwa durch Anordnungen des Erblassers im Testament oder im Erbvertrag. Es ist essenziell, sowohl Pflichtteil als auch Vermächtnis richtig zu berechnen und gegebenenfalls Anrechnungen oder Ausgleichungen zu berücksichtigen. In manchen Situationen kann es sinnvoll sein, dass Pflichtteilsberechtigte ihr Vermächtnis in Anspruch nehmen, in anderen Fällen kann die Geltendmachung des Pflichtteils vorteilhafter sein.

Das Erbrecht ist komplex und im Falle von Unklarheiten sollten Sie stets fachkundigen Rat suchen. Eine erfahrene Anwaltskanzlei im Bereich Erbrecht kann Ihnen dabei helfen, Ihre individuellen Ansprüche im Hinblick auf Vermächtnis und Pflichtteil korrekt zu ermitteln und durchzusetzen. Denn eines sollte im Vordergrund stehen: Ihr Recht auf Ihren angemessenen Teil des Erbes eines geliebten Menschen.

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Wolfgang Herfurtner | Rechtsanwalt | Geschäftsführer | Gesellschafter

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