Vermächtnisgegenstand nicht mehr vorhanden – Es ist eine häufige Situation im Erbrecht: Der Erblasser hat ein Vermächtnis zugunsten eines bestimmten Vermächtnisnehmers bestimmt, doch zum Zeitpunkt des Erbfalls ist der betreffende Gegenstand nicht mehr vorhanden. In diesem Beitrag werden wir untersuchen, welche Ansprüche Vermächtnisnehmer in solchen Fällen haben können und was zu beachten ist, um rechtliche Stolpersteine zu vermeiden. Hierbei werden wir sowohl auf gesetzliche Regelungen als auch auf relevante Gerichtsentscheidungen verweisen.

Inhaltsverzeichnis:

  • Grundlagen des Vermächtnisses: Rechtslage und Definition
  • Warum der Vermächtnisgegenstand nicht mehr vorhanden sein kann
  • Ansprüche des Vermächtnisnehmers bei fehlendem Vermächtnisgegenstand
  • Die Rolle des Erben in Bezug auf das Vermächtnis
  • Praktische Beispiele und Fallstricke im Zusammenhang mit nicht vorhandenen Vermächtnisgegenständen
  • Wichtige Urteile und ihre Auswirkungen auf die Ansprüche der Vermächtnisnehmer
  • Handlungsempfehlungen für Vermächtnisnehmer, Erben und Testamentsvollstrecker

Grundlagen des Vermächtnisses: Rechtslage und Definition

Im deutschen Erbrecht ist das Vermächtnis gemäß §§ 1939 ff. BGB geregelt und stellt eine Zuwendung dar, die der Erblasser einer Person – dem Vermächtnisnehmer – durch letztwillige Verfügung (Testament oder Erbvertrag) zukommen lässt, ohne diese Person zum Erben zu bestellen. Der Vermächtnisnehmer erhält dadurch einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den oder die Erben, der oder die zur Leistung – also zur Herausgabe des Vermächtnisgegenstandes – verpflichtet sind. Der Anspruch entsteht mit dem Erbfall, kann jedoch unter gewissen Voraussetzungen angefochten werden.

Warum der Vermächtnisgegenstand nicht mehr vorhanden sein kann

In der Praxis kann es vorkommen, dass der Vermächtnisgegenstand zum Zeitpunkt des Erbfalls aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr vorhanden ist. Die Hauptursachen hierfür sind:

  • Der Erblasser hat den Gegenstand vor seinem Tod verschenkt, verkauft oder anderweitig übertragen.
  • Der Gegenstand ist während der Lebenszeit des Erblassers verloren gegangen, zerstört oder wesentlich verändert worden.
  • Der Gegenstand befindet sich im Nachlass, wurde aber vom Erben in gutem Glauben veräußert oder aufgebraucht, bevor der Vermächtnisanspruch geltend gemacht wurde.

In solchen Fällen stellt sich die Frage, ob und welche Ansprüche dem Vermächtnisnehmer trotzdem zustehen und ob der Erbe verpflichtet ist, Ersatz zu leisten.

Ansprüche des Vermächtnisnehmers bei fehlendem Vermächtnisgegenstand

Wenn der Vermächtnisgegenstand nicht mehr vorhanden ist, so kann sich der Anspruch des Vermächtnisnehmers auf Grundlage mehrerer gesetzlicher Regelungen dennoch verwirklichen:

  • § 2174 BGB – Fehlt beim Erbfall ein zu vermachender Gegenstand, so gilt die Zuwendung als nicht erfolgt, es sei denn, aus den Umständen ergibt sich, dass der Erblasser für diesen Fall auf das Vermächtnis nicht verzichten wollte.
  • § 2175 BGB – Hat der Erblasser einen anderen Gegenstand oder einen anderen Betrag als denjenigen, den er vermachen wollte, vermacht oder hat er sich bei der Bezeichnung des Vermächtnisgegenstands geirrt, so sind die §§ 2067, 2068 entsprechend anzuwenden.

Diese Regelungen verweisen darauf, dass der Vermächtnisnehmer in bestimmten Umständen Ersatz verlangen kann, wenn aus den Umständen oder der letztwilligen Verfügung des Erblassers hervorgeht, dass dieser bei fehlendem Vermächtnisgegenstand den Anspruch des Vermächtnisnehmers dennoch verwirklichen wollte. In anderen Fällen bleibt das Vermächtnis nichtig und der Vermächtnisnehmer geht leer aus.

Die Rolle des Erben in Bezug auf das Vermächtnis

Der Erbe darf in seiner Eigenschaft als Vermächtnispflichtiger das Vermächtnis nicht schmälern oder beeinträchtigen. Er ist grundsätzlich verpflichtet, den Vermächtnisgegenstand an den Vermächtnisnehmer herauszugeben, es sei denn, er hat triftige Gründe, die Herausgabe zu verweigern.

  • Ein triftiger Grund kann beispielsweise sein, dass der Erbe aufgrund einer Anfechtung des Vermächtnisses bzw. der gesamten letztwilligen Verfügung berechtigt ist, die Leistung an den Vermächtnisnehmer zu verweigern.
  • Auch wenn der Erbe nicht wusste, dass der Vermächtnisgegenstand durch den Erblasser vermacht wurde, kann er in gutem Glauben handeln und den Vermächtnisgegenstand anderweitig verwenden (z. B. verkaufen, aufbrauchen), ohne schadensersatzpflichtig zu werden.

In solchen Fällen kann der Vermächtnisnehmer möglicherweise Schadensersatz vom Erben verlangen, wenn dieser den Gegenstand leichtfertig oder in widerrechtlicher Bereicherung veräußert oder aufgebraucht hat.

Praktische Beispiele und Fallstricke im Zusammenhang mit nicht vorhandenen Vermächtnisgegenständen

Im Folgenden werden einige Praxisbeispiele und anonymisierte Mandantengeschichten vorgestellt, die die Komplexität und Rechtsschwierigkeiten im Zusammenhang mit nicht vorhandenen Vermächtnisgegenständen verdeutlichen:

  1. Ein Erblasser hat seiner Nichte ein wertvolles Gemälde vermacht. Vor seinem Tod hat er jedoch das Gemälde verkauft und den Erlös verbraucht. In diesem Fall hat die Nichte grundsätzlich keinen Anspruch auf das Gemälde, es sei denn, der Erblasser hat in seiner letztwilligen Verfügung ausdrücklich bestimmt, dass die Nichte trotzdem etwas erhalten soll. Im letzteren Fall kann die Nichte einen Wertersatz in Höhe des Verkaufserlöses verlangen.
  2. Ein Erblasser hat einem Freund eine wertvolle Münzsammlung vermacht, die im Nachlass jedoch nicht mehr auffindbar ist. Der Erbe behauptet, von der Münzsammlung nichts gewusst zu haben und diese im guten Glauben an jemanden weitergegeben zu haben. In diesem Fall kann der Freund möglicherweise Schadensersatz vom Erben in Höhe des Wertes der Münzsammlung verlangen, wenn nachgewiesen werden kann, dass der Erbe leichtfertig oder in widerrechtlicher Bereicherung gehandelt hat.

Wichtige Urteile und ihre Auswirkungen auf die Ansprüche der Vermächtnisnehmer

Die Rechtsprechung zur Auslegung der gesetzlichen Regelungen und zu den Ansprüchen der Vermächtnisnehmer bei nicht vorhandenen Vermächtnisgegenständen ist vielfältig und teils kontrovers. Beispielsweise entschied das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3.11.2016, Az. 3 Wx 191/16), dass der Vermächtnisnehmer bei unbekanntem Aufbewahrungsort eines Vermächtnisgegenstands gegen den Erben nur einen Anspruch auf Auskunft, jedoch keinen Herausgabeanspruch zusteht.

In einem weiteren Fall entschied das Oberlandesgericht Köln (OLG Köln, Urteil vom 21.10.2011, Az. 10 U 52/11), dass der Vermächtnisnehmer bei einem nicht mehr vorhandenen Vermächtnisgegenstand, dessen Verbleib ungeklärt ist, gegen den Erben einen Zurückbehaltungsanspruch hat, solange die fehlende Herausgabe des Gegenstandes nicht auf einer Pflichtverletzung des Erben beruht.

Handlungsempfehlungen für Vermächtnisnehmer, Erben und Testamentsvollstrecker

Aus den dargestellten Grundlagen und Beispielen ergeben sich verschiedene Handlungsempfehlungen und Tipps für Vermächtnisnehmer, Erben und Testamentsvollstrecker, um rechtliche Probleme und Streitigkeiten im Zusammenhang mit nicht vorhandenen Vermächtnisgegenständen zu vermeiden oder zu lösen:

  • Vermächtnisnehmer sollten den Vermächtnisgegenstand und dessen Verbleib genau dokumentieren und sich über die rechtlichen Rahmenbedingungen und Ansprüche informieren.
  • Erben sollten bei Kenntnis von Vermächtnissen genau prüfen, ob der Vermächtnisgegenstand noch vorhanden ist, und sich im Zweifel rechtlich beraten lassen, um ihre Pflichten und Haftungsrisiken zu erkennen und zu minimieren.
  • Testamentsvollstrecker sollten darauf achten, dass Vermächtnisgegenstände im Rahmen ihrer Nachlassverwaltung korrekt behandelt und herausgegeben werden, um Konflikte zwischen Erben und Vermächtnisnehmern zu vermeiden.
  • Erblasser sollten bei der Errichtung ihrer letztwilligen Verfügung klar und präzise formulieren, was im Falle der Nichtverfügbarkeit eines Vermächtnisgegenstandes geschehen soll; dies kann beispielsweise durch die Bestimmung von Wertersatz oder die Einsetzung eines Ersatzvermächtnisgegenstandes erfolgen.
  • Sowohl Vermächtnisnehmer als auch Erben sollten im Falle von Unstimmigkeiten oder rechtlichen Auseinandersetzungen über das Vermächtnis einen im Erbrecht erfahrenen Rechtsanwalt hinzuziehen, um ihre Ansprüche und Abwehrmöglichkeiten durchzusetzen und rechtssichere Lösungen zu erreichen.

Abschließende Gedanken zum Thema Vermächtnisgegenstand nicht vorhanden

Abschließend lässt sich festhalten, dass die Thematik rund um einen nicht vorhandenen Vermächtnisgegenstand komplex und vielschichtig ist. Die Rechtslage und die daraus resultierenden Ansprüche können von verschiedenen Faktoren abhängen, wie beispielsweise der letztwilligen Verfügung des Erblassers, den Umständen des Einzelfalls oder der Rolle des Erben in Bezug auf das Vermächtnis.

Ein klarer und präziser formuliertes Testament kann helfen, Unklarheiten und Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit Vermächtnissen zu vermeiden. Sollte es dennoch zu Auseinandersetzungen oder rechtlichen Fragestellungen kommen, ist die Beratung durch einen im Erbrecht spezialisierten Rechtsanwalt empfehlenswert. Dieser kann sowohl Vermächtnisnehmern als auch Erben dabei unterstützen, ihre Rechte und Pflichten zu klären und eine tragfähige Lösung im Interesse aller Beteiligten zu finden. Somit sollte jeder, der in einer solchen Situation ist, sich an einen erfahrenen Rechtsbeistand wenden, um individuellen Rat und Unterstützung zu erhalten.

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Wolfgang Herfurtner | Rechtsanwalt | Geschäftsführer | Gesellschafter

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