In diesem umfassenden Blog-Beitrag werden wir uns mit einem komplexen und oftmals missverstandenen Aspekt des deutschen Erbrechts befassen: dem Verschollenheitsgesetz. Als erfahrener Rechtsanwalt im Bereich Erbrecht werde ich Ihnen die rechtlichen Grundlagen sowie aktuelle Gerichtsurteile und häufige Fragen im Zusammenhang mit dem Verschollenheitsgesetz und Erbschaften näherbringen. Dabei wird dieser Artikel in folgende Hauptthemen gegliedert:

Was ist das Verschollenheitsgesetz?

Die Regelungen des Verschollenheitsgesetzes

Anwendung des Verschollenheitsgesetzes im Erbrecht

Aktuelle Gerichtsurteile zum Verschollenheitsgesetz

Häufige Fragen zum Verschollenheitsgesetz

Bevor wir uns den einzelnen Abschnitten widmen, möchte ich zunächst einen allgemeinen Überblick über das Verschollenheitsgesetz und seine Bedeutung im Erbrecht geben.

Was ist das Verschollenheitsgesetz?

Das Verschollenheitsgesetz regelt, unter welchen Umständen eine Person als verschollen gilt und welche rechtlichen Folgen sich daraus ergeben. Im Erbrecht spielt das Verschollenheitsgesetz insbesondere dann eine Rolle, wenn es darum geht, ob und wann eine verschollene Person als tot anzusehen ist und welche Auswirkungen dies auf die Erbfolge hat.

Die Regelungen des Verschollenheitsgesetzes sind in den §§ 1 – 25 des Gesetzes über das Verschollenheitsverfahren (VerschG) enthalten. Im Folgenden werde ich näher auf die wichtigsten Regelungen eingehen.

Die Regelungen des Verschollenheitsgesetzes

Das Verschollenheitsgesetz unterscheidet grundsätzlich zwischen zwei Arten von Verschollenheit: der gewöhnlichen Verschollenheit und der qualifizierten Verschollenheit.

Gewöhnliche Verschollenheit

Eine Person gilt nach § 1 VerschG als gewöhnlich verschollen, wenn ihr Aufenthalt während eines Jahres unbekannt ist und keine Nachricht von ihr eingegangen ist. Eine gewöhnliche Verschollenheit hat zunächst keine unmittelbaren rechtlichen Folgen, insbesondere wird die verschollene Person nicht als tot behandelt. Allerdings kann auf Antrag ein Betreuer für die verschollene Person bestellt werden, um ihre Vermögensangelegenheiten zu regeln.

Qualifizierte Verschollenheit

Eine Person gilt nach § 2 VerschG als qualifiziert verschollen, wenn sie sich in einer Lebensgefahr befunden hat und seit einem Jahr keine Nachricht von ihr eingegangen ist oder wenn sie sich in einer bestimmten Situation befunden hat, in der der Tod wahrscheinlich ist und seit fünf Jahren keine Nachricht von ihr eingegangen ist.

Beispiele für Situationen, in denen der Tod wahrscheinlich ist, sind:

  • das Ausbleiben einer Nachricht von einer Person, die sich in einem Kriegsgebiet aufgehalten hat,
  • das Ausbleiben einer Nachricht von einer Person, die sich auf einer Seereise befunden hat und deren Schiff als vermisst gemeldet wurde,
  • das Ausbleiben einer Nachricht von einer Person, die bei einem Unglücksfall verschüttet wurde.

Die qualifizierte Verschollenheit kann auf Antrag beim zuständigen Amtsgericht zur Todeserklärung der verschollenen Person führen. Die Todeserklärung hat zur Folge, dass die verschollene Person als tot gilt und damit das Erbrecht zur Anwendung kommt.

Anwendung des Verschollenheitsgesetzes im Erbrecht

Wie bereits erwähnt, spielt das Verschollenheitsgesetz im Erbrecht insbesondere im Zusammenhang mit der Frage eine Rolle, ob und wann eine verschollene Person als tot anzusehen ist und welche Auswirkungen dies auf die Erbfolge hat.

Eintritt der Erbfolge bei qualifizierter Verschollenheit

Die Erbfolge tritt nach § 1922 BGB grundsätzlich mit dem Tod des Erblassers ein. Bei einer qualifizierten Verschollenheit und einer daraufhin erfolgten Todeserklärung gilt die verschollene Person als tot, sodass die Erbfolge eintritt. Dabei gilt der Zeitpunkt der rechtskräftigen Todeserklärung als Zeitpunkt des Todes (§ 3 Abs. 1 VerschG).

Rechtsfolgen der Todeserklärung im Erbrecht

Die Todeserklärung hat zur Folge, dass die verschollene Person als tot gilt und damit das Erbrecht zur Anwendung kommt. Dies hat unter anderem folgende Rechtsfolgen:

  • Die Erben werden Eigentümer des Nachlasses (§ 1922 BGB).
  • Die Erben haften für die Nachlassverbindlichkeiten (§ 1967 BGB).
  • Eventuelle Pflichtteilsansprüche von Pflichtteilsberechtigten entstehen (§§ 2303 ff. BGB).
  • Testamentarische Verfügungen des Erblassers treten in Kraft.

Wichtig ist, dass die Todeserklärung einer verschollenen Person nicht endgültig ist. Sollte die verschollene Person nach der Todeserklärung wieder auftauchen, hat dies Auswirkungen auf das Erbrecht.

Wiederkehr der verschollenen Person nach Todeserklärung

Sollte die verschollene Person nach der Todeserklärung wieder auftauchen, erlöschen die Rechtsfolgen der Todeserklärung rückwirkend (§ 21 VerschG). Dies hat insbesondere folgende Auswirkungen auf das Erbrecht:

  • Die Erben müssen das geerbte Vermögen an die wiederkehrte Person herausgeben (§ 2018 BGB).
  • Die Erben haften für Wertverluste und Verschlechterungen des Nachlasses (§ 2019 BGB).
  • Gegebenenfalls müssen empfangene Pflichtteilszahlungen zurückgezahlt werden.
  • Testamentarische Verfügungen des wiederkehrten Erblassers sind unwirksam geworden.

Aktuelle Gerichtsurteile zum Verschollenheitsgesetz

Im Folgenden stelle ich Ihnen einige aktuelle Gerichtsurteile vor, die die Anwendung des Verschollenheitsgesetzes im Erbrecht betreffen und wichtige Hinweise für die Praxis geben.

BGH, Beschluss vom 16.01.2019 – XII ZB 364/18: Anforderungen an die Todeserklärung

Der Bundesgerichtshof hatte in diesem Fall über die Anforderungen an die Todeserklärung einer verschollenen Person zu entscheiden. Das Gericht stellte klar, dass die Todeserklärung nur dann erfolgen darf, wenn die Voraussetzungen des § 2 VerschG erfüllt sind. Insbesondere muss eine Situation vorliegen, in der der Tod wahrscheinlich ist, und seit mindestens fünf Jahren keine Nachricht von der verschollenen Person eingegangen sein. Eine bloße Vermutung des Todes genügt nicht.

OLG Hamm, Beschluss vom 21.07.2017 – 15 W 92/17: Beweislast für die Verschollenheit

Das Oberlandesgericht Hamm hatte sich mit der Frage zu befassen, wer die Beweislast für die Verschollenheit einer Person trägt. Das Gericht entschied, dass grundsätzlich derjenige, der sich auf die Verschollenheit beruft, die Beweislast trägt. Dies bedeutet insbesondere, dass ein Erbe, der von der Verschollenheit des Erblassers profitiert, die Voraussetzungen der Verschollenheit nachweisen muss.

OLG Köln, Beschluss vom 20.03.2015 – 2 Wx 82/15: Pflichtteilsansprüche bei Wiederkehr der verschollenen Person

Das Oberlandesgericht Köln hatte darüber zu entscheiden, ob Pflichtteilsansprüche, die nach der Todeserklärung einer verschollenen Person entstanden sind, bei Wiederkehr der verschollenen Person zurückgezahlt werden müssen. Das Gericht stellte klar, dass Pflichtteilsansprüche, die aufgrund der Todeserklärung entstanden sind, bei Wiederkehr der verschollenen Person rückwirkend entfallen. Die Pflichtteilsberechtigten müssen die erhaltenen Zahlungen daher zurückzahlen.

Häufige Fragen zum Verschollenheitsgesetz

Abschließend möchte ich auf einige häufige Fragen eingehen, die sich im Zusammenhang mit dem Verschollenheitsgesetz und dem Erbrecht ergeben.

Kann man eine verschollene Person ohne Todeserklärung beerben?

Nein, eine verschollene Person kann nicht ohne Todeserklärung beerbt werden. Die Erbfolge tritt erst mit dem Tod des Erblassers ein, und bei einer verschollenen Person gilt diese erst als tot, wenn die Todeserklärung rechtskräftig ist.

Wie lange dauert es, bis eine verschollene Person für tot erklärt wird?

Die Dauer bis zur Todeserklärung einer verschollenen Person hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Bei qualifizierter Verschollenheit ist eine Todeserklärung frühestens nach Ablauf von einem Jahr (in Lebensgefahr) oder fünf Jahren (bei Todwahrscheinlichkeit) möglich. Die Dauer des gerichtlichen Verfahrens zur Todeserklärung kann jedoch variieren.

Was passiert, wenn die verschollene Person nach der Todeserklärung wieder auftaucht?

Wenn die verschollene Person nach der Todeserklärung wieder auftaucht, erlöschen die Rechtsfolgen der Todeserklärung rückwirkend. Dies hat insbesondere zur Folge, dass die Erben das geerbte Vermögen an die wiederkehrte Person herausgeben müssen und für Wertverluste und Verschlechterungen des Nachlasses haften. Eventuell müssen auch empfangene Pflichtteilszahlungen zurückgezahlt werden.

Gibt es besondere Regelungen für verschollene Personen im Zusammenhang mit dem Pflichtteil?

Nein, das Verschollenheitsgesetz enthält keine besonderen Regelungen für verschollene Personen im Zusammenhang mit dem Pflichtteil. Pflichtteilsansprüche entstehen grundsätzlich mit dem Tod des Erblassers. Bei einer verschollenen Person entstehen Pflichtteilsansprüche daher erst nach der Todeserklärung. Bei Wiederkehr der verschollenen Person entfallen die Pflichtteilsansprüche rückwirkend.

Fazit

Das Verschollenheitsgesetz im Erbrecht ist ein komplexes Thema, das viele rechtliche Fragestellungen aufwirft. In diesem umfassenden Artikel haben wir die wichtigsten Regelungen des Verschollenheitsgesetzes sowie deren Anwendung im Erbrecht erläutert und aktuelle Gerichtsurteile sowie häufige Fragen behandelt. Es zeigt sich, dass das Verschollenheitsgesetz insbesondere im Zusammenhang mit der Erbfolge und der Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen erhebliche rechtliche Konsequenzen haben kann. Betroffene sollten sich daher in jedem Fall von einem erfahrenen Rechtsanwalt im Erbrecht beraten lassen.

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