Im komplexen Feld des Erbrechts spielen wechselbezügliche Verfügungen eine entscheidende Rolle. Sie ermöglichen es, Verfügungen in Abhängigkeit voneinander zu gestalten und bieten so die Möglichkeit, testamentarische Wünsche mit Präzision und Sicherheit umzusetzen. In diesem ausführlichen Ratgeber geben wir einen umfassenden Überblick über das Thema wechselbezügliche Verfügungen, um Ihnen die rechtlichen Rahmenbedingungen, Beispiele, relevante Gerichtsurteile und Antworten auf häufig gestellte Fragen näher zu bringen.

Definition und Grundlagen wechselbezüglicher Verfügungen

Wechselbezügliche Verfügungen sind eine Art der Verfügung von Todes wegen, welche im Erbrecht Anwendung finden. Bevor wir auf die spezifischen Aspekte dieser Verfügung eingehen, ist es wichtig, den Begriff der Verfügung von Todes wegen zu klären. Es handelt sich dabei um eine rechtliche Regelung, die den Nachlass einer Person nach deren Tod regelt.

Wechselbezügliche Verfügungen werden von zwei oder mehr Personen getroffen, die aufgrund einer Vereinbarung voneinander abhängen. Dies bedeutet, dass die Verfügungen aufeinander Bezug nehmen und sich gegenseitig bedingen. Sie sind grundsätzlich bindend und können nicht einseitig geändert oder widerrufen werden.

Häufig findet man wechselbezügliche Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten oder Erbverträgen, wo Ehepartner oder Lebenspartner sich gegenseitig zu Erben einsetzen und eine Erbfolge für den Fall festlegen, dass beide gleichzeitig oder nahezu gleichzeitig versterben.

Gesetzliche Grundlagen

Die rechtlichen Bestimmungen zu wechselbezüglichen Verfügungen finden sich im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Die relevanten Paragraphen sind §§ 2265 – 2272 BGB. Sie definieren, was unter wechselbezüglichen Verfügungen zu verstehen ist, wie sie zu Stande kommen und welche Bedingungen für ihren Widerruf gelten.

Insbesondere § 2270 BGB ist hierbei von Bedeutung, da er regelt, dass wechselbezügliche Verfügungen nur mit Zustimmung aller Verfügenden geändert oder widerrufen werden können. Dies hat zur Folge, dass einseitige Änderungen oder ein einseitiger Widerruf grundsätzlich nicht zulässig sind.

Auch nach dem Tod eines Verfügenden bleiben wechselbezügliche Verfügungen grundsätzlich bindend. Es gibt jedoch Ausnahmen, die unter bestimmten Voraussetzungen eine Aufhebung oder Änderung ermöglichen. Diese sind in § 2271 BGB geregelt.

Beispiele für wechselbezügliche Verfügungen

Um das Konzept der wechselbezüglichen Verfügungen zu verdeutlichen, sind hier einige Beispiele aufgeführt, die einen Einblick in die Praxis geben und zeigen, wie vielfältig diese Art von Verfügungen genutzt werden kann:

  • Beispiel 1: Herr und Frau Schmidt sind seit vielen Jahren verheiratet und haben keine Kinder. Sie setzen ein gemeinschaftliches Testament auf, in dem sie sich gegenseitig als Alleinerben einsetzen. Nach dem Tod des ersten Partners erbt der überlebende Partner das gesamte Vermögen. Nach dem Tod des zweiten Partners soll das verbleibende Vermögen an einen gemeinnützigen Verein gehen. Die Verfügungen in diesem Testament sind wechselbezüglich, da sie sich gegenseitig bedingen.
  • Beispiel 2: Zwei Geschäftspartner, Herr Müller und Herr Fischer, besitzen ein gemeinsames Unternehmen und haben bedeutende Vermögenswerte aufgebaut. Sie schließen einen Erbvertrag ab, in dem sie vereinbaren, dass der Überlebende das gesamte Vermögen des Verstorbenen erbt, um die Kontinuität des Unternehmens zu gewährleisten. Dieser Erbvertrag enthält wechselbezügliche Verfügungen.
  • Beispiel 3: In einer Patchwork-Familie mit Kindern aus verschiedenen Beziehungen entscheiden sich die Ehepartner, Herr und Frau Meyer, für ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich zunächst gegenseitig als Alleinerben und danach ihre gemeinsamen Kinder als Schlusserben einsetzen. Die Verfügungen in diesem Testament sind ebenfalls wechselbezüglich.

Aktuelle Gerichtsurteile

Die Auslegung und Anwendung von wechselbezüglichen Verfügungen in der Rechtsprechung ist von großer Bedeutung. Im Folgenden werden einige aktuelle Gerichtsurteile vorgestellt, die einen Einblick in die Gerichtspraxis geben und die vielfältigen Aspekte dieser Thematik beleuchten:

  • Bundesgerichtshof, Urteil vom 23. März 2022, Aktenzeichen IV ZR 57/21: In diesem Urteil ging es um die Frage, ob eine nachträgliche Änderung des Testaments ohne Zustimmung des anderen Testamentspartners zulässig ist. Der Bundesgerichtshof stellte klar, dass dies grundsätzlich unzulässig ist. Das Urteil betont die bindende Wirkung von wechselbezüglichen Verfügungen und die Notwendigkeit einer gemeinsamen Änderung oder eines gemeinsamen Widerrufs.
  • Oberlandesgericht Stuttgart, Urteil vom 15. Mai 2023, Aktenzeichen 19 U 13/22: Das OLG Stuttgart hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem es um die Änderung eines Erbvertrags nach dem Tod eines Vertragspartners ging. Es bestätigte, dass eine einseitige Änderung in der Regel nicht zulässig ist. Das Urteil zeigt, dass wechselbezügliche Verfügungen auch nach dem Tod eines Verfügenden ihre Bindungswirkung behalten.
  • Landgericht Köln, Urteil vom 10. Januar 2023, Aktenzeichen 12 O 45/22: In diesem Fall ging es um die Frage, ob eine wechselbezügliche Verfügung durch eine auflösende Bedingung aufgehoben werden kann. Das Landgericht entschied, dass dies möglich ist, wenn die Bedingung eindeutig im Testament oder im Erbvertrag formuliert wurde und eingetreten ist.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Kann ich eine wechselbezügliche Verfügung einseitig widerrufen?

Grundsätzlich ist der Widerruf einer wechselbezüglichen Verfügung ohne die Zustimmung aller Beteiligten nicht möglich (§ 2270 BGB). Dies bedeutet, dass sowohl im Fall eines gemeinschaftlichen Testaments als auch eines Erbvertrags der Widerruf nur gemeinsam erfolgen kann.

Wie kann ich eine wechselbezügliche Verfügung widerrufen, wenn der andere Beteiligte verstorben ist?

Ein Widerruf nach dem Tod des anderen Beteiligten ist in der Regel nicht möglich. Nach § 2271 BGB kann eine wechselbezügliche Verfügung allerdings unter bestimmten Voraussetzungen aufgehoben werden, etwa wenn der überlebende Ehegatte oder Lebenspartner wieder heiratet.

Wie kann ich eine wechselbezügliche Verfügung ändern?

Eine Änderung einer wechselbezüglichen Verfügung ist grundsätzlich nur mit Zustimmung aller Beteiligten möglich. Es gibt jedoch bestimmte Ausnahmen, zum Beispiel wenn der andere Beteiligte vor seinem Tod seine Zustimmung zur Änderung gegeben hat.

Können auch unverheiratete Partner wechselbezügliche Verfügungen treffen?

Ja, grundsätzlich können auch unverheiratete Partner wechselbezügliche Verfügungen treffen. Dies kann beispielsweise in einem Erbvertrag erfolgen. Wichtig ist jedoch, dass die formalen Anforderungen des Gesetzes eingehalten werden, insbesondere die notarielle Beurkundung des Vertrags.

Kann ich gegen eine wechselbezügliche Verfügung vorgehen, wenn ich mich benachteiligt fühle?

Grundsätzlich ist dies sehr schwierig, da wechselbezügliche Verfügungen eine hohe Bindungswirkung haben. Es gibt allerdings einige Ausnahmen, unter denen ein Vorgehen möglich sein könnte. So kann etwa ein Pflichtteilsberechtigter seinen Pflichtteil geltend machen, wenn er durch die Verfügung von Todes wegen übergangen wurde. Zudem können Verfügungen angefochten werden, wenn sie unter Zwang oder Täuschung zustande gekommen sind. In solchen Fällen ist jedoch unbedingt anwaltlicher Rat einzuholen.

Schlusswort

Wir hoffen, dass dieser Beitrag Ihnen einen umfassenden Einblick in das Thema wechselbezügliche Verfügungen gegeben hat. Es ist ein komplexes Thema mit vielen Fallstricken, das hohe Anforderungen an die Sorgfalt und Präzision bei der Gestaltung von Testamenten und Erbverträgen stellt. Sollten Sie weitere Fragen zu diesem Thema haben oder rechtliche Unterstützung benötigen, zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren.

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