Lebensversicherungen sind ein wichtiger Bestandteil vieler Vorsorgepläne und Finanzierungsstrategien. Zahlreiche Lebensversicherungsverträge wurden in Deutschland abgeschlossen, insbesondere während der sogenannten Policen-Ära von 1991 bis 2007. Doch in jüngster Zeit haben Verbraucher und Gerichte auf mögliche Missstände in der Lebensversicherungsbranche hingewiesen. Im Fokus: das sogenannte „ewige Widerspruchsrecht“ von Versicherungsnehmern in Bezug auf ihre Lebensversicherungsverträge.
In diesem Beitrag werden wir uns eingehend mit dem Bundesgerichtshof (BGH)-Urteil über das ewige Widerspruchsrecht bei Lebensversicherungen beschäftigen und ausführlich untersuchen, welche rechtlichen Grundlagen, wirtschaftlichen Auswirkungen und praktischen Konsequenzen dieses Urteil für Verbraucher und Versicherer hat.
Das ewige Widerspruchsrecht: Eine Einführung
Das „ewige Widerspruchsrecht“ bezieht sich auf die Möglichkeit für Versicherungsnehmer, ihre Lebensversicherungsverträge auch nach Ablauf der normalerweise vorgesehenen 14-tägigen Widerspruchsfrist zu widerrufen, sofern sie nicht ordnungsgemäß über ihr Widerspruchsrecht informiert wurden. Um die Tragweite dieses Rechts besser zu verstehen, ist es wichtig, seine gesetzlichen Grundlagen zu kennen.
Gesetzliche Grundlagen des Widerspruchsrechts
Die wesentlichen Vorschriften, die das Widerspruchsrecht und seine Ausübung regeln, finden sich im deutschen Versicherungsvertragsgesetz (VVG). Auch wenn das VVG im Laufe der Jahre einige Änderungen erfahren hat, bleiben einige Kernaspekte des Widerspruchsrechts unverändert.
Die relevanten Vorschriften sind:
- § 8 VVG: Begründet das Widerspruchsrecht für den Versicherungsnehmer und gibt die Voraussetzungen für dessen Ausübung an.
- § 5a VVG a.F. (in der Fassung bis 31.12.2007): Regelt das Widerspruchsrecht für Versicherungsverträge, die zwischen dem 29. Juli 1994 und dem 31. Dezember 2007 geschlossen wurden. Es sieht vor, dass das Widerspruchsrecht nur dann erlischt, wenn der Versicherungsnehmer ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt wurde.
- § 5c VVG a.F. (in der Fassung ab 1.1.2008): Regelt das Widerspruchsrecht für Versicherungsverträge, die ab dem 1. Januar 2008 geschlossen wurden. Die Vorschrift ähnelt § 5a VVG a.F., hat aber den Begriff „Widerspruch“ durch „Widerruf“ ersetzt.
Warum das Widerspruchsrecht „ewig“ ist
Die Bezeichnung „ewiges Widerspruchsrecht“ rührt daher, dass nach § 5a VVG a.F., wenn der Versicherungsnehmer nicht oder nicht ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht informiert wurde, das Widerspruchsrecht nicht erlischt und somit im Prinzip unbefristet ausgeübt werden kann. Da viele Versicherungsverträge in der Vergangenheit aufgrund unzureichender oder fehlerhafter Widerspruchsbelehrungen abgeschlossen wurden, erlangte das ewige Widerspruchsrecht in den letzten Jahren erhebliche praktische Bedeutung.
Das BGH-Urteil und seine Konsequenzen
Das Bundesgerichtshof (BGH) hat sich in mehreren Entscheidungen mit dem ewigen Widerspruchsrecht befasst und dabei klare Vorgaben gemacht, wann ein Widerspruch zulässig ist und welche Folgen dies für die Vertragsparteien hat. Die wichtigsten Entscheidungen, die wir im Folgenden näher erläutern werden, sind:
- Urteil vom 7. Mai 2014 – IV ZR 76/11: Begründete das ewige Widerspruchsrecht und stellte klar, dass die Versicherer die Prämien mit entsprechenden Nutzungen herausgeben müssen.
- Urteil vom 29. Juli 2015 – IV ZR 448/14: Legte fest, dass das Widerspruchsrecht auch dann noch wirksam ausgeübt werden kann, wenn der Versicherungsvertrag bereits gekündigt wurde und der Rückkaufswert ausgezahlt ist.
- Urteil vom 29. April 2015 – IV ZR 402/14: Stellte klar, dass auch Versicherungsvermittler für fehlerhafte Widerspruchsbelehrungen haften können.
BGH-Urteil vom 7. Mai 2014 – IV ZR 76/11
Das Urteil des BGH vom 7. Mai 2014 war bahnbrechend für das ewige Widerspruchsrecht, da es die Problematik von fehlerhaften Widerspruchsbelehrungen und die damit verbundenen Rechtsfolgen erstmals klar und deutlich ansprach.
In diesem Fall hatte der Kläger im Jahr 2002 eine fondsgebundene Lebensversicherung abgeschlossen und seiner Meinung nach keine ordnungsgemäße Belehrung über sein Widerspruchsrecht erhalten. Er widersprach daher dem Vertrag im Jahr 2011. Der BGH bestätigte das ewige Widerspruchsrecht und sprach dem Kläger die Rückzahlung seiner eingezahlten Prämien sowie die auf diese geleisteten Nutzungen zu.
BGH-Urteil vom 29. Juli 2015 – IV ZR 448/14
In seinem Urteil vom 29. Juli 2015 präzisierte der BGH die Konsequenzen eines wirksam ausgeübten Widerspruchsrechts und entschied, dass dieses Recht auch dann noch greift, wenn der Versicherungsnehmer den Vertrag bereits gekündigt hat und den Rückkaufswert erhalten hat. Er hat somit Anspruch auf die Differenz zwischen dem Rückkaufswert und den geleisteten Prämien plus Nutzungen.
BGH-Urteil vom 29. April 2015 – IV ZR 402/14
Das BGH-Urteil vom 29. April 2015 erweiterte die Haftung für fehlerhafte Widerspruchsbelehrungen auch auf Versicherungsvermittler und nicht nur auf die Versicherer selbst. Somit können unter bestimmten Umständen auch Vermittler in Regress genommen werden, wenn dem Versicherungsnehmer Ansprüche aufgrund eines wirksam ausgeübten ewigen Widerspruchsrechts zustehen.
Auswirkungen des BGH-Urteils auf Versicherungsnehmer und Versicherungsunternehmen
Die Entscheidungen des BGH zum ewigen Widerspruchsrecht haben erhebliche Auswirkungen auf Versicherungsnehmer und Versicherungsunternehmen, sowohl in wirtschaftlicher als auch in rechtlicher Hinsicht.
Auswirkungen für Versicherungsnehmer
Für Versicherungsnehmer, die von einer fehlerhaften Widerspruchsbelehrung betroffen sind und somit das ewige Widerspruchsrecht ausüben können, ergeben sich folgende Vorteile:
- Rückzahlung der eingezahlten Prämien sowie der auf diese gezahlten Nutzungen
- Keine Stornogebühren bei Vertragsauflösung
- Möglichkeit der Nachverhandlung oder Neuanlage in günstigere Versicherungsprodukte
- Finanzieller Ausgleich bei bereits gekündigten Verträgen
Allerdings müssen Versicherungsnehmer auch mögliche Nachteile in Betracht ziehen, wie zum Beispiel den Verlust von Steuervorteilen, die im Zusammenhang mit ihrer Lebensversicherung genossen wurden, oder die Notwendigkeit eines neuen Versicherungsvertrags, um die gewünschte Vorsorge sicherzustellen.
Auswirkungen für Versicherungsunternehmen
Für Versicherungsunternehmen bedeutete das BGH-Urteil zum ewigen Widerspruchsrecht erhebliche finanzielle und rechtliche Belastungen, vor allem in Bezug auf:
- Die Rückzahlung großer Summen an eingezahlten Prämien und Nutzungen an zahlreiche betroffene Kunden
- Eine umfassende Überprüfung der internen Vorgänge und Dokumentationen in Bezug auf die Widerspruchsbelehrungen, um potenzielle Haftungsrisiken zu identifizieren und zu minimieren
- Den möglichen Verlust von Kunden und Geschäftsvolumen aufgrund von Vertragsauflösungen und dem damit verbundenen schlechten Image
- Die Notwendigkeit, sich im Fall von Regressforderungen auf Versicherungsvermittler einzulassen, um Verluste zu kompensieren
Lehrreiches FAQ zum ewigen Widerspruchsrecht
Bin ich als Versicherungsnehmer von der BGH-Entscheidung betroffen?
Um zu beurteilen, ob Sie als Versicherungsnehmer von der BGH-Entscheidung und dem damit verbundenen ewigen Widerspruchsrecht betroffen sind, sollten Sie prüfen, ob Ihr Vertrag in der Policen-Ära (zwischen 1991 und 2007) geschlossen wurde und ob Ihre Widerspruchsbelehrung fehlerhaft ist oder Ihnen nicht ordnungsgemäß zugegangen ist. Hierbei kann die Hilfe eines Fachanwalts für Versicherungsrecht von Vorteil sein, um die Sachlage klar zu beurteilen.
Was sind typische Fehler in einer Widerspruchsbelehrung?
Einige typische Fehler in Widerspruchsbelehrungen, die laut BGH zur Aufrechterhaltung des ewigen Widerspruchsrechts führen, sind:
- Unzureichende Informationen über die Frist zur Ausübung des Widerspruchsrechts
- Fehlerhafte Angaben zur Belehrungsadresse oder zum Belehrungstext
- Missverständliche Formulierungen oder fehlende Passagen
- Fehlender Hinweis auf die Widerspruchsfolgen (z.B. Rückabwicklung oder Zahlung von Nutzungen)
Wie kann ich mein ewiges Widerspruchsrecht ausüben?
Um Ihr ewiges Widerspruchsrecht auszuüben, müssen Sie zunächst sicherstellen, dass Ihre Widerspruchsbelehrung fehlerhaft ist oder Ihnen nicht ordnungsgemäß zugegangen ist. Anschließend sollten Sie Ihren Versicherer schriftlich über Ihren Widerspruch informieren und gegebenenfalls die von Ihnen geforderten Leistungen (z.B. Rückzahlung von Prämien und Nutzungen) einfordern. Hierbei kann die Hilfe eines Fachanwalts für Versicherungsrecht sinnvoll sein, um Ihre Rechte effektiv durchzusetzen.
Gibt es Fristen, die ich bei meinem ewigen Widerspruchsrecht beachten muss?
Das wesentliche Merkmal des ewigen Widerspruchsrechts ist, dass es grundsätzlich unbefristet ausgeübt werden kann, solange der Versicherungsnehmer nicht oder nicht ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt wurde. Allerdings könnten Fristen im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen oder Regressforderungen relevant sein.
Welche rechtlichen Ansprüche habe ich, wenn ich mein ewiges Widerspruchsrecht ausüben möchte?
Wenn Sie Ihr ewiges Widerspruchsrecht ausüben möchten, haben Sie je nach Umständen und Vertragsgestaltung grundsätzlich folgende rechtliche Ansprüche:
- Rückzahlung der eingezahlten Prämien
- Erstattung der auf die Prämien geleisteten Nutzungen (z.B. Zinsen, Dividenden oder sonstige Wertsteigerungen)
- Schadenersatz- oder Regressansprüche gegenüber Ihrem Versicherungsvermittler, wenn dieser für die fehlerhafte Belehrung verantwortlich ist
Da die jeweilige Sachlage und die konkreten Ansprüche im Einzelfall unterschiedlich sein können, empfiehlt es sich, die Hilfe eines Fachanwalts für Versicherungsrecht in Anspruch zu nehmen.
Fazit
Das BGH-Urteil zum ewigen Widerspruchsrecht bei Lebensversicherungen hat weitreichende Auswirkungen für Versicherungsnehmer und Versicherungsunternehmen. Es führt zu einer Rückabwicklung fehlerhafter Lebensversicherungsverträge und ermöglicht Versicherungsnehmern, möglicherweise erhebliche Summen an Prämien und Nutzungen zurückzufordern. Auch wenn das ewige Widerspruchsrecht grundsätzlich unbefristet gilt, sollten Betroffene dennoch keine Zeit verlieren und ihre Verträge zeitnah prüfen lassen, um gegebenenfalls Ansprüche geltend zu machen. Dabei kann die Hilfe eines erfahrenen Fachanwalts für Versicherungsrecht von großem Nutzen sein.
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Arthur Wilms | Rechtsanwalt | Associate
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