In diesem Beitrag werden wir uns eingehend mit einem wichtigen und häufig übersehenen Aspekt des deutschen Zivilrechts befassen – der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Als erfahrener und kompetenter Rechtsanwalt erkläre ich Ihnen anschaulich und detailliert die gesetzlichen Grundlagen, Voraussetzungen und Fristen der Wiedereinsetzung und gebe Ihnen hilfreiche Anwendungsbeispiele und Strategien an die Hand. Für ein besseres Verständnis finden Sie am Ende des Beitrags auch eine zusammengestellte Liste von häufig gestellten Fragen und Antworten.

Gesetzliche Grundlage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist in § 233 der deutschen Zivilprozessordnung (ZPO) geregelt. Grundgedanke dieser Vorschrift ist, dass niemand aufgrund eines unverschuldeten Versäumnisses eines Rechtsmittelverfahrens ausgeschlossen werden soll. Auszug aus dem Wortlaut des § 233 ZPO:

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumnis einer Notfrist kann einem Beteiligten auf Antrag gewährt werden, wenn er ohne Verschulden verhindert war, diese Frist einzuhalten.

Voraussetzungen für eine erfolgreiche Wiedereinsetzung

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist an verschiedene Voraussetzungen geknüpft, die im Folgenden näher erläutert werden.

  • Versäumung einer Notfrist: Die Wiedereinsetzung kann nur gewährt werden, wenn eine gesetzlich vorgeschriebene Notfrist (§ 222 ZPO) versäumt wurde. Eine solche Frist enthält eine unverlängerbare Ausschlussfrist – etwa die Berufungs- und Revisionsfrist (§§ 517, 548 ZPO) oder die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 544 Abs. 2 ZPO).
  • Kein Verschulden des Beteiligten: Es darf kein Verschulden des Beteiligten an der Versäumnis der Notfrist vorliegen. Verschulden liegt vor, wenn der Beteiligte die Fristversäumnis grob fahrlässig verursacht hat, insbesondere wenn er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt (rechts-)ausreichend außer Acht gelassen hat.
  • Antrag auf Wiedereinsetzung: Der Beteiligte muss einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellen. Der Antrag ist notwendig, weil das Gericht von Amts wegen keine Wiedereinsetzung gewähren darf.
  • Wiedereinsetzungsfrist: Der Antrag auf Wiedereinsetzung muss innerhalb von zwei Wochen (Wiedereinsetzungsfrist) nach Wegfall des Hindernisses gestellt werden (§ 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
  • Begründung der Wiedereinsetzung: Der Antragsteller muss die Tatsachen, die die Wiedereinsetzung begründen, innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist glaubhaft machen (§ 236 ZPO). Dazu zählt insbesondere die Darlegung des Hinderungsgrundes und dessen Aufhebung.
  • Nachholung der versäumten Handlung: Der Antragsteller muss die versäumte Handlung innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses nachholen (§ 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO).

Fristen und Fristberechnung bei der Wiedereinsetzung

Die Einhaltung der gesetzlichen Fristen ist bei der Wiedereinsetzung besonders wichtig. Die relevanten Fristen sind:

  • Wiedereinsetzungsfrist (§ 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO): Der Antrag auf Wiedereinsetzung muss innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses gestellt werden. Die Frist beginnt am ersten Werktag nach dem Tag des Hinderniswegfalls.
  • Nachholungsfrist (§ 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO): Die versäumte Handlung muss innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses nachgeholt werden. Die Frist beginnt ebenfalls am ersten Werktag nach dem Tag des Hinderniswegfalls.
  • Begründungsfrist (§ 236 ZPO): Die Tatsachen, die die Wiedereinsetzung begründen, müssen innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist glaubhaft gemacht werden. Damit bleibt es bei der zweiwöchigen Frist aus § 234 Abs. 1 ZPO.

Bei der Fristberechnung sind die allgemeinen Vorschriften des § 188 BGB zu beachten. Samstage, Sonn- und Feiertage zählen bei der Berechnung der zweiwöchigen Frist mit. Endet die Frist an einem Sonntag, einem gesetzlichen Feiertag oder an einem Samstag, so tritt an die Stelle eines solchen Tages der nächste Werktag (§ 222 Abs. 2 ZPO).

Anwendungsbeispiele und Strategien bei einer Wiedereinsetzung

Im Folgenden stelle ich Ihnen einige Anwendungsbeispiele und Strategien vor, die Ihnen dabei helfen sollen, Ihre Chancen auf eine erfolgreiche Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erhöhen.

Beispiel 1: Verschulden des Postdienstleisters

Ein häufiger Fall ist der, dass ein Schriftsatz rechtzeitig zur Post gegeben wurde, aber aufgrund eines Verschuldens des Postdienstleisters nicht rechtzeitig beim Gericht eingeht. In diesem Fall kann zumeist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfolgreich beantragt werden.

  • Strategie: Zunächst sollte man sich beim Postdienstleister eine Bestätigung über die fehlerhafte Zustellung einholen. Diese kann dann im Antrag auf Wiedereinsetzung verwendet werden, um glaubhaft zu machen, dass das Versäumnis nicht auf einem Verschulden des Beteiligten beruht.
  • Praxistipp: Um derartige Risiken zu minimieren, empfiehlt es sich, wichtige Schriftsätze per Einwurf-Einschreiben oder per Fax zu versenden und den Sendebericht aufzubewahren.

Beispiel 2: Verschulden des Prozessbevollmächtigten

Ein weiterer häufiger Grund für die Unpünktlichkeit gerichtlicher Schriftsätze ist das Fehlverhalten des eigenen Anwalts. In solchen Fällen kann die Wiedereinsetzung schwieriger zu erreichen sein, da das Verschulden des Prozessbevollmächtigten dem Beteiligten zugerechnet wird.

  • Strategie: Der Beteiligte muss nachweisen, dass er selbst alle notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen getroffen hat, um die Frist zu wahren. Dazu gehören beispielsweise das rechtzeitige Aufsuchen eines Anwalts, die Erteilung aller notwendigen Informationen sowie die regelmäßige Kontrolle des Fortgangs des Verfahrens.
  • Praxistipp: Achten Sie auf die Wahl eines zuverlässigen und qualifizierten Anwalts und suchen Sie diesen rechtzeitig auf. Dokumentieren Sie die Kommunikation mit Ihrem Anwalt und stellen Sie sicher, dass dieser über alle erforderlichen Informationen verfügt.

Beispiel 3: Krankheitsbedingte Fristversäumnis

Eine Frist kann auch aufgrund plötzlicher und unvorhersehbarer Umstände, wie etwa einer Krankheit, versäumt werden.

  • Strategie: In diesem Fall sollte der Antragsteller nachweisen, dass die Krankheit unvorhersehbar und schwerwiegend war und ihm ein rechtzeitiges Tätigwerden unmöglich gemacht hat. Glaubhaft machen kann man dies durch Vorlage eines ärztlichen Attests oder einer Krankenhausaufnahmebescheinigung.
  • Praxistipp: Sollte eine Frist während der eigenen Urlaubsabwesenheit ablaufen, muss man gegebenenfalls für eine Vertretung sorgen, die die Frist für einen wahren kann.

Aktuelle Gerichtsentscheidungen zur Wiedereinsetzung

In dieser Rubrik werden einige aktuelle Gerichtsentscheidungen vorgestellt, die für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Bedeutung sind.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26. März 2019 – VI ZB 55/18

Das Verschulden einer Rechtsanwaltsfachangestellten an einer Fristversäumnis ist dem Prozessbevollmächtigten zuzurechnen, sodass die Versäumung als eigenes Verschulden des Prozessbevollmächtigten gilt. Dies gilt selbst dann, wenn der Prozessbevollmächtigte die Einhaltung der Frist überwacht hatte und die Rechtsanwaltsfachangestellte die Versäumung allein versursacht hat.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. Juni 2018 – 3 AZN 903/17

Ein Wiedereinsetzungsgrund liegt nicht vor, wenn ein Prozessbevollmächtigter die einzig angegebenen Gründe für die Fristversäumnis nicht einmal mindestens konkludent und pauschal bestreitet.

FAQs – Häufig gestellte Fragen zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

In diesem Abschnitt beantworte ich einige häufig gestellte Fragen zum Thema Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Wie sicher ist der Erfolg einer Wiedereinsetzung?

Die Erfolgsaussichten einer Wiedereinsetzung hängen von verschiedenen Faktoren ab, insbesondere von der Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen und dem Verschulden des Beteiligten. Eine pauschale Prognose ist daher nicht möglich.

Kann ich auch eine Wiedereinsetzung beantragen, wenn ich selbst kein Verschulden an der Fristversäumnis trage, aber mein Anwalt dies verschuldet hat?

Grundsätzlich wird das Verschulden des Prozessbevollmächtigten dem Beteiligten zugerechnet. Daher kann eine Wiedereinsetzung in solchen Fällen schwieriger zu erreichen sein. Die genauen Umstände und Strategien sollten daher mit einem erfahrenen Rechtsanwalt besprochen werden.

Wie sollte ich vorgehen, wenn ich eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erwäge?

Zunächst sollte man sicherstellen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung erfüllt sind. Anschließend ist es ratsam, sich frühzeitig an einen erfahrenen und kompetenten Rechtsanwalt zu wenden, der die Erfolgsaussichten einschätzen und die notwendigen Schritte einleiten kann.

Was passiert, wenn mein Antrag auf Wiedereinsetzung abgelehnt wird?

Wird der Antrag auf Wiedereinsetzung abgelehnt, bleibt es bei der Versäumung der Notfrist und somit bei den rechtlichen Folgen dieser Fristversäumnis, beispielsweise dem Verlust des Rechtsmittels. In diesem Fall sollte man prüfen lassen, ob eine Nachprüfung der Entscheidung durch das Gericht oder ein weiteres Rechtsmittel sinnvoll ist.

Was sind die Kosten einer Wiedereinsetzung?

Die Kosten einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand richten sich nach dem erfolgten Verfahren, dem Streitwert und der Tätigkeit des Anwalts. Im Erfolgsfall ist der Gegner verpflichtet, die Kosten zu erstatten. Bei Ablehnung des Antrags trägt der Antragsteller jedoch die Kosten selbst. Es empfiehlt sich, im Vorfeld mit dem Anwalt die möglichen Kostenrisiken und Erfolgschancen abzuklären.

Fazit

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bietet eine letzte Möglichkeit, nach Versäumnis einer Notfrist dennoch am rechtlichen Verfahren teilzunehmen und sein Recht durchzusetzen. Allerdings ist eine Wiedereinsetzung an zahlreiche gesetzliche Voraussetzungen geknüpft und sollte daher stets gut durchdacht und gründlich vorbereitet werden. Eine kompetente rechtliche Unterstützung ist dabei nicht nur empfehlenswert, sondern in vielen Fällen unabdingbar, um die Erfolgschancen einer Wiedereinsetzung zu maximieren.

In diesem Blog-Beitrag habe ich Ihnen als erfahrener Rechtsanwalt die wesentlichen Aspekte der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erläutert, hilfreiche Anwendungsbeispiele und Strategien vorgestellt und aktuelle Gerichtsentscheidungen präsentiert. Wenn Sie weitere Fragen zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand haben oder juristischen Beistand benötigen, zögern Sie nicht, mich zu kontaktieren.

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