In diesem Beitrag werden wir uns ausführlich mit dem Zufluss- und Abflussprinzip in der Buchführung beschäftigen. Wir werden die rechtlichen Grundlagen erörtern, einschließlich der Gesetze und aktueller Gerichtsurteile, die das Verständnis des Zufluss- und Abflussprinzips erleichtern. Darüber hinaus werden wir Beispiele und FAQs nutzen, um das Thema praxisnah zu veranschaulichen und Ihnen ein fundiertes und umfassendes Wissen zu ermöglichen.
Gliederung:
- Einführung in das Zufluss- und Abflussprinzip
- Gesetzliche Grundlagen und Vorschriften
- Anwendung des Zufluss- und Abflussprinzips
- Aktuelle Gerichtsurteile und Entscheidungen
- Beispiele und FAQ
- Fazit
Einführung in das Zufluss- und Abflussprinzip
Das Zufluss- und Abflussprinzip, auch als „Soll- und Ist-Prinzip“ oder „Realisationsprinzip“ bezeichnet, stellt eine grundlegende Regel im deutschen Steuerrecht und der Buchführung dar. Es bestimmt, wann eine Einnahme oder Ausgabe im Rahmen der Einkunftsarten zu erfassen ist und damit der Besteuerung unterliegt. Je nachdem, um welche Einkunftsart und welches Buchführungsverfahren es sich handelt, variiert die Anwendung des Zufluss- und Abflussprinzips.
Gesetzliche Grundlagen und Vorschriften
Das Zufluss- und Abflussprinzip findet sich in verschiedenen Gesetzen wieder, die für die Buchführung und das Steuerrecht in Deutschland relevant sind. Im Folgenden werden die wichtigsten Regelungen erläutert.
Einkommensteuergesetz (EStG)
Das Einkommensteuergesetz (EStG) bildet die Grundlage für die Besteuerung von natürlichen Personen in Deutschland. Im § 11 EStG ist das Zufluss- und Abflussprinzip für Gewerbetreibende und Selbstständige, die nicht verpflichtet sind, Bücher zu führen und regelmäßige Abschlüsse zu machen (also bei Anwendung der Einnahmenüberschussrechnung), ausdrücklich genannt:
“Einnahmen sind innerhalb des Kalenderjahres bezogen, in dem sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind. […] Ausgaben sind abzusetzen, wenn sie geleistet worden sind.“
Abgabenordnung (AO)
Die Abgabenordnung (AO) ist das grundlegende Steuerverfahrensrecht für Deutschland und bildet den Rahmen für die Verwaltung des deutschen Steuerrechts. Auch in der AO kann man das Zufluss- und Abflussprinzip wiederfinden, wenn es um die steuerliche Erfassung von Einnahmen und Ausgaben geht. In § 38 AO heißt es beispielsweise:
”[…] eine Steuererstattung, die im laufenden Kalenderjahr endgültig festgesetzt und ausgezahlt wird, ist im selben Jahr zu erfassen.“
Handelsgesetzbuch (HGB)
Das Handelsgesetzbuch (HGB) regelt die rechtlichen Grundlagen für Kaufleute und Handelsunternehmen in Deutschland. Hier finden sich ebenfalls Anknüpfungspunkte für das Zufluss- und Abflussprinzip, insbesondere in den Vorschriften für die Buchführung und die Bilanzierung (§§ 238 ff. HGB).
Das HGB verpflichtet Kaufleute zur doppelten Buchführung und regelmäßigen Erstellung von Jahresabschlüssen (Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung). Bei der doppelten Buchführung werden Einnahmen und Ausgaben grundsätzlich nach dem Soll- und Ist-Prinzip erfasst, das heißt, sie werden berücksichtigt, sobald sie entstanden sind.
Umsatzsteuergesetz (UStG)
Auch für die Umsatzsteuer ist das Zufluss- und Abflussprinzip von Bedeutung. Für Unternehmer, die zur Umsatzsteuerpflichtigen gehören, gilt das Zufluss- und Abflussprinzip bei der Ermittlung der Umsatzsteuer. Im § 13 UStG ist festgelegt, dass die Umsatzsteuer entsteht,
”[…] sobald der Umsatz ausgeführt worden ist. […] Bei bestimmten Leistungen, wie z. B. Dauerleistungen, tritt die Steuerentstehung mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums ein, in dem die Leistung als ausgeführt gilt.“
Anwendung des Zufluss- und Abflussprinzips
Bei der Anwendung des Zufluss- und Abflussprinzips ist zwischen zwei Buchführungsmethoden zu unterscheiden: der Einnahmenüberschussrechnung (EÜR) und der Bilanzierung.
Einnahmenüberschussrechnung (EÜR)
Die Einnahmenüberschussrechnung (EÜR) ist insbesondere für Freiberufler, kleine Gewerbetreibende und Selbstständige relevant, die nicht zur doppelten Buchführung verpflichtet sind. Bei der EÜR werden Einnahmen und Ausgaben ausschließlich im Zeitpunkt ihres tatsächlichen Zu- oder Abflusses erfasst. Ein wesentliches Merkmal der EÜR ist also die Anwendung des Zufluss- und Abflussprinzips:
- Einnahmen werden erfasst, sobald sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind (z. B. Zahlungseingang auf dem Bankkonto).
- Ausgaben werden erfasst, sobald sie vom Steuerpflichtigen geleistet wurden (z. B. Zahlungsausgang, Überweisung).
Bilanzierung
Bei der Bilanzierung, also der doppelten Buchführung, wird das Zufluss- und Abflussprinzip modifiziert angewendet. Hier werden Einnahmen und Ausgaben grundsätzlich nach dem Soll- und Ist-Prinzip erfasst, das heißt, sie werden berücksichtigt, sobald sie entstanden sind – unabhängig davon, ob sie tatsächlich zugeflossen sind oder nicht.
Allerdings gibt es auch in der Bilanzierung Ausnahmen, die einer Anwendung des Zufluss- und Abflussprinzips entsprechen, etwa:
- Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten (§ 249 Abs. 1 HGB): Hier wird eine Verbindlichkeit erst erfasst, wenn die Auszahlung wahrscheinlich ist und der Betrag geschätzt werden kann.
- Aktive Rechnungsabgrenzungsposten (ARAP): Hier werden bereits gezahlte Beträge als Ausgaben erfasst, obwohl die Leistung erst im Folgejahr erbracht werden soll.
- Passive Rechnungsabgrenzungsposten (PRAP): Hier werden bereits erhaltene Einnahmen erst dann erfasst, wenn die entsprechende Leistung erbracht wurde.
Aktuelle Gerichtsurteile und Entscheidungen
Auch die Rechtsprechung befasst sich regelmäßig mit der Anwendung des Zufluss- und Abflussprinzips. Im Folgenden werden einige relevante Entscheidungen aufgeführt.
Bundesfinanzhof (BFH)
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in zahlreichen Urteilen das Zufluss- und Abflussprinzip betont und präzisiert. Einige beispielhafte Entscheidungen sind:
- BFH-Urteil vom 27.09.2011 (IX R 67/10): Der BFH entschied, dass Darlehensrückzahlungen von Angehörigen, die vom Steuerpflichtigen als Schenkung gewertet werden, nicht als negative Einnahmen im Rahmen einer EÜR berücksichtigt werden können.
- BFH-Urteil vom 08.11.2011 (IX R 32/11): Das Gericht stellte klar, dass beim Verkauf eines Grundstücks die Veräußerungsgewinne im Zeitpunkt der wirtschaftlichen Verfügungsmacht entstehen und zu erfassen sind, auch wenn der Verkaufspreis erst später tatsächlich zugeflossen ist.
- BFH-Urteil vom 22.08.2016 (IX B 65/16): Der BFH entschied, dass Umsatzsteuervorauszahlungen im Jahr der tatsächlichen Leistungserbringung als Betriebsausgaben abziehbar sind, auch wenn sie nach einer Betriebsaufgabe gezahlt wurden.
Finanzgericht (FG)
Auch die Finanzgerichte haben sich mehrfach mit dem Zufluss- und Abflussprinzip auseinandergesetzt. Beispiele dafür sind:
- FG Düsseldorf, Urteil vom 23.05.2017 (13 K 1218/15 E): Das Gericht entschied, dass Kosten für einen befristeten Arbeitsraum als Ausgaben im Jahr der Zahlungsverpflichtung abzugsfähig sind, auch wenn die Nutzung erst im Folgejahr stattfindet.
- FG Münster, Urteil vom 06.04.2018 (4 K 743/16 E): Das Finanzgericht vertrat die Auffassung, dass die Zahlung einer sogenannten „Exit Tax“ im Zusammenhang mit der Veräußerung einer Kapitalgesellschaft durch den inländischen Anteilseigner im Jahr der tatsächlichen Zahlung als Betriebsausgabe abzuziehen ist.
Europäischer Gerichtshof (EuGH)
Auch der EuGH hat sich in einzelnen Fällen mit der Anwendung des Zufluss- und Abflussprinzips befasst, insbesondere im Zusammenhang mit dem Umsatzsteuerrecht. Ein Beispiel hierfür ist:
- EuGH, Urteil vom 21.02.2006 (C-255/02): Der EuGH stellte fest, dass der Zeitpunkt der tatsächlichen Entgeltvereinnahmung maßgeblich für die Steuerentstehung ist, sofern der Steuerpflichtige den Sollbesteuerungsmodus auf Antrag verlassen und zur Ist-Besteuerung übergegangen ist.
Beispiele und FAQ
Im Folgenden finden Sie einige Beispiele und häufig gestellte Fragen zum Zufluss- und Abflussprinzip:
Beispiele
Beispiel 1: Ein Freiberufler erbringt im Dezember eine Leistung, für die er im Januar des Folgejahres den Rechnungsbetrag erhält. Bei einer EÜR wird die Einnahme erst im Folgejahr erfasst, da hier das Zuflussprinzip gilt und der Betrag erst im Januar zugeflossen ist.
Beispiel 2: Ein Gewerbetreibender hat im Dezember eine Rechnung erhalten, für die er mit einer Zahlungsfrist von 30 Tagen erst im Januar des Folgejahres zahlen muss. Bei der EÜR wird die Ausgabe erst im Folgejahr erfasst, da hier das Abflussprinzip gilt und der Betrag erst im Januar geleistet wurde.
Beispiel 3: Ein bilanzierender Kaufmann erbringt im Dezember eine Leistung, für die er im Januar des Folgejahres den Rechnungsbetrag erhält. Die Einnahme wird bereits im Dezember des Vorjahres erfasst, da hier das Soll- und Ist-Prinzip greift und die Forderung bereits entstanden ist.
FAQ
Frage: Wie wirkt sich der Zufluss eines Darlehens auf die EÜR aus?
Antwort: Ein Darlehen stellt keine Einnahme im Sinne des EStG dar, da es sich um eine Fremdfinanzierung handelt, die zurückgezahlt werden muss. Daher führt der Zufluss eines Darlehens nicht zu einer Erhöhung des steuerlichen Gewinns und wird nicht in der EÜR erfasst.
Frage: Wie werden Schenkungen bei der EÜR erfasst?
Antwort: Schenkungen werden nicht als steuerbare Einnahmen gewertet, da sie keine Gegenleistung für eine erbrachte Leistung darstellen. Sie werden daher nicht in der EÜR erfasst. Zu beachten ist jedoch, dass Schenkungen gegebenenfalls der Schenkungsteuer unterliegen können.
Frage: Wie werden steuerfreie Einnahmen bei der EÜR behandelt?
Antwort: Steuerfreie Einnahmen sind im Rahmen der EÜR grundsätzlich zu erfassen, da sie zunächst als steuerbare Einnahmen gelten. Sie können jedoch im Rahmen der Gewinnermittlung von der Summe der steuerbaren Einnahmen abgezogen werden, sofern sie den im EStG genannten Freibeträgen entsprechen.
Frage: Muss ich als Freiberufler das Zufluss- und Abflussprinzip anwenden?
Antwort: Als Freiberufler sind Sie in der Regel nicht zur doppelten Buchführung verpflichtet und wenden daher das Zufluss- und Abflussprinzip im Rahmen der EÜR an. Das bedeutet, Einnahmen und Ausgaben werden jeweils in dem Jahr erfasst, in dem sie tatsächlich zugeflossen sind bzw. geleistet wurden.
Fazit
Das Zufluss- und Abflussprinzip stellt eine grundlegende Regelung in der Buchführung und im deutschen Steuerrecht dar. Es bestimmt, wann Einnahmen und Ausgaben erfasst werden und damit der Besteuerung unterliegen. Die Anwendung des Zufluss- und Abflussprinzips ist abhängig von der Art der Einkunftsart und dem verwendeten Buchführungsverfahren, wobei insbesondere das EStG, die AO, das HGB und das UStG wichtige Regelungen vorgeben.
Gerichtliche Entscheidungen, insbesondere des BFH, FG und EuGH, haben das Zufluss- und Abflussprinzip in verschiedenen Kontexten präzisiert und dessen Anwendung klargestellt. Mit Hilfe von Beispielen und FAQs können die Grundlagen des Zufluss- und Abflussprinzips besser verstanden und in der Praxis angewendet werden.
Als Rechtsanwalt mit Erfahrung im Steuerrecht und in der Buchführung empfiehlt es sich, stets auf dem Laufenden in Bezug auf Gesetzesänderungen, Rechtsprechung und aktuelle Entwicklungen zu bleiben, um Mandanten kompetent beraten und vertreten zu können.
Unsere Rechtsanwälte stehen Ihnen bundesweit und im deutschsprachigen Ausland zur Verfügung.
Arthur Wilms | Rechtsanwalt | Associate
Philipp Franz | Rechtsanwalt | Associate
Wolfgang Herfurtner | Rechtsanwalt | Geschäftsführer | Gesellschafter
Aktuelle Beiträge aus dem Rechtsgebiet Zivilrecht
Vertragsübertragung: Rechtliche Voraussetzungen zur Übertragung von Verträgen
Entdecken Sie mit uns die rechtlichen Grundlagen und notwendigen Schritte für eine reibungslose Vertragsübertragung in Deutschland.
Reisevertrag: Rechte und Pflichten bei der Vertragsgestaltung im Reiserecht
Erfahren Sie alles über Ihre Rechte und Pflichten im Rahmen eines Reisevertrags sowie wichtige Aspekte des Reiserechts in Deutschland.
Sicherungsrecht: Schutz von Forderungen durch Sicherungsrechte
Erfahren Sie, wie Sicherungsrecht effektiv Forderungen schützt und welche Rechte Gläubiger im Insolvenzfall besitzen.
Offenlegungspflicht: Welche Informationen offengelegt werden müssen
Erfahren Sie, welche Informationen durch Offenlegungspflicht in Deutschland transparent gemacht werden müssen, um den Richtlinien zu entsprechen.
Folgen der Nichteinhaltung: Rechtliche Konsequenzen bei Vertragsverstößen
Wir erörtern die rechtlichen Konsequenzen und Folgen der Nichteinhaltung von Verträgen, einschließlich Haftung und Schadenersatzansprüche.