Der bedingte Vorsatz gehört zu den zentralen Begriffen des deutschen Strafrechts und ist von großer Bedeutung für die Beurteilung von strafbaren Handlungen. Häufig stellt sich vor Gericht die Frage, ob in einem konkreten Fall Vorsatz oder Fahrlässigkeit vorliegt. Diese Unterscheidung ist entscheidend, da sie Einfluss auf die Schuldfrage und die Strafzumessung hat. In diesem Blog-Beitrag werden wir ein umfassendes Verständnis des bedingten Vorsatzes im Strafrecht vermitteln und auf folgende Punkte eingehen:

  • Definition von bedingtem Vorsatz
  • Abgrenzung zum direkten Vorsatz und Rechtsfolgen
  • Rechtliche Einordnung und Bedeutung für verschiedene Tatbestände
  • Aktuelle Gerichtsurteile zur Verdeutlichung
  • FAQs und praxisnahe Beispiele
  • Bedingter Vorsatz zusammgengefasst

Definition von bedingtem Vorsatz

Unter Vorsatz versteht man im Strafrecht die Willensrichtung, mit der eine Person eine Straftat begeht. Vorsatz liegt vor, wenn der Täter die Tatbestandsverwirklichung zumindest für möglich hält und sie billigend in Kauf nimmt. Dabei unterscheidet man zwischen direktem Vorsatz (dolus directus) und bedingtem Vorsatz (dolus eventualis).

Der bedingte Vorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Eintritt eines bestimmten Erfolg zumindest für möglich hält, also die Gefahr des Erfolgseintritts erkennt, und diese Gefahr dennoch hinzunehmen bereit ist, auch wenn er den Erfolgseintritt nicht direkt anstrebt.

Ein Kriterium für bedingten Vorsatz ist die Prüfung, ob der Täter in einer konkreten Situation mit den möglichen Folgen seines Handelns rechnet und dennoch handelt, weil er die Folgen zumindest billigend in Kauf nimmt.

Die sog. Wesentlichkeitsprüfung

Ein Instrument zur Prüfung des bedingten Vorsatzes ist die in der Rechtsprechung entwickelte sog. Wesentlichkeitsprüfung. Nach dieser Prüfung ist bedingter Vorsatz gegeben, wenn der Täter den Erfolgseintritt als wesentlich hinnimmt, d.h., wenn die Gewichtung der möglichen Folgen seines Handelns so groß ist, dass er sie für den Fall ihres Eintritts in Kauf nimmt. Diese Vorgehensweise dient der Prüfung der inneren Einstellung des Täters und der Klärung, ob bedingter Vorsatz oder bloße Fahrlässigkeit vorliegt.

Abgrenzung zum direkten Vorsatz und Rechtsfolgen

Der direkte Vorsatz liegt vor, wenn der Täter den Erfolgseintritt als gewollt ansieht, d.h., wenn er den Erfolgseintritt direkt anstrebt. Der bedingte Vorsatz hingegen ist gegeben, wenn der Täter den Erfolgseintritt für möglich hält und ihn dennoch in Kauf nimmt.

Die Abgrenzung von direktem und bedingtem Vorsatz hat für die Rechtsfolgen erhebliche Bedeutung. Liegt direkter Vorsatz vor, wird meist eine höhere Strafe verhängt als bei bedingtem Vorsatz. Allerdings sind in einigen Fällen die Untersuchungen zwischen den beiden Vorsatzformen für die Strafzumessung unerheblich, da das Gesetz lediglich den generellen Vorsatz als Tatbestandsmerkmal erfordert.

Beispiel: Die Unterscheidung von Vorsatz und Fahrlässigkeit

Ein klassisches Beispiel zur Verdeutlichung der Unterscheidung von Vorsatz und Fahrlässigkeit ist der sogenannte Flaschenwurf:

    • Ein Fußballfan wirft während eines Spiels nach Beleidigungen durch gegnerische Fans eine Flasche in den benachbarten Fanblock, um seiner Wut Ausdruck zu verleihen. Dabei trifft er einen Zuschauer am Kopf und verletzt ihn schwer (bedingter Vorsatz).
    • Ein Fußballfan wirft im Freudentaumel über ein Tor eine Flasche in die Luft, die zufällig auf den Kopf eines anderen Fans fällt und diesen verletzt (Fahrlässigkeit).

In beiden Fällen sind die Rechtsfolgen unterschiedlich: Im ersten Fall handelt es sich um gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 Strafgesetzbuch (StGB) mit einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten bis zu fünf Jahren. In zweiten Fall liegt fahrlässige Körperverletzung nach § 229 StGB vor, welche mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bewehrt ist.

Rechtliche Einordnung und Bedeutung für verschiedene Tatbestände

Der bedingte Vorsatz spielt in vielen strafrechtlichen Tatbeständen eine entscheidende Rolle und ist oftmals das entscheidende Kriterium zwischen Strafbarkeit und Straffreiheit oder zwischen verschiedenen Straftatbeständen bzw. -graden. Im Folgenden werden einige Beispiele für die rechtliche Relevanz des bedingten Vorsatzes in verschiedenen Deliktsarten dargestellt:

Tötungsdelikte

Die unterschiedlichen Varianten von Vorsatz sind auch bei Tötungsdelikten von erheblicher Bedeutung. So ist für die Unterscheidung zwischen Mord (§ 211 StGB) und Totschlag (§ 212 StGB) entscheidend, ob der Täter mit bedingtem oder direktem Vorsatz handelt. Totschlag liegt vor, wenn der Täter einen Menschen vorsätzlich tötet, ohne dass dabei die besonderen Mordmerkmale (z.B. Heimtücke, niedrige Beweggründe) erfüllt sind.

  • Ein Täter erschlägt sein Opfer im Stadtpark mit einer Eisenstange am Kopf. Sein Ziel ist es, das Opfer lediglich schwer zu verletzen und zu berauben, aber er nimmt den möglichen Tod in Kauf (bedingter Vorsatz). Fall von Totschlag nach § 212 StGB.

Körperverletzungsdelikte

Auch im Bereich der Körperverletzungsdelikte ist der bedingte Vorsatz von großer Relevanz. Ob ein Täter beispielsweise wegen gefährlicher Körperverletzung nach § 224 StGB oder wegen vorsätzlicher Körperverletzung nach § 223 StGB verurteilt wird, ist maßgeblich davon abhängig, ob er die Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs oder die Herbeiführung der Verletzung mit bedingtem oder direktem Vorsatz verübte.

Eigentumsdelikte

Auch bei Eigentumsdelikten, wie Diebstahl, Unterschlagung, Raub oder Erpressung, hat der bedingte Vorsatz erhebliche rechtliche Konsequenzen. Insbesondere bei der Abgrenzung von Unterschlagung und Diebstahl (§§ 242, 246 StGB) kommt es darauf an, ob der Täter eine Sache „in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen“ (§ 242 StGB) oder sie lediglich „sich oder einem Dritten rechtswidrig bereichert“ (§ 246 StGB).

Aktuelle Gerichtsurteile zur Verdeutlichung

Die Frage des bedingten Vorsatzes stellt sich immer wieder vor Gericht, wobei zahlreiche Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) und anderer Gerichte für eine differenzierte Betrachtung sorgen. Im Folgenden werden einige aktuelle Gerichtsurteile aufgeführt, die zum Verständnis des bedingten Vorsatzes beitragen:

BGH, Urteil vom 16. Januar 2018 – 4 StR 358/17

In diesem Fall verurteilte der BGH einen Täter wegen Totschlags, obwohl er zunächst nicht die Tötung beabsichtigt hatte. Der Täter hatte sein Opfer jedoch mit heftigen Schlägen gegen den Kopf verletzt, sodass das Gericht von einem bedingten Tötungsvorsatz ausging.

BGH, Urteil vom 5. Dezember 2017 – 1 StR 524/17

Ein Täter, der nach einer tätlichen Auseinandersetzung mit einer Eisenstange auf einen bereits am Boden liegenden Menschen einschlägt und diesen dadurch schwer verletzt, handelt nach Ansicht des BGH mit bedingtem Vorsatz und macht sich der gefährlichen Körperverletzung strafbar.

BGH, Urteil vom 14. März 2018 – 2 StR 576/17

Ein notorischer Raser, der mit überhöhter Geschwindigkeit in der Innenstadt einen tödlichen Verkehrsunfall verursacht, kann wegen bedingtem Tötungsvorsatz auch des Mordes verurteilt werden. Der BGH entschied in diesem Fall, dass Mordmerkmale erfüllt seien, weil der Täter in der Verkehrssituation mit einer Tötung rechnete und den Tod billigend in Kauf nahm.

FAQs und praxisnahe Beispiele

Zur weiteren Verdeutlichung des bedingten Vorsatzes im Strafrecht werden im Folgenden einige häufig gestellte Fragen und praxisnahe Beispiele behandelt:

Warum ist die Unterscheidung von direktem und bedingtem Vorsatz wichtig?

Die Unterscheidung von direktem und bedingtem Vorsatz ist wichtig, weil sie Einfluss auf die Schuldfrage und die Strafzumessung hat. Die Abgrenzung kann maßgeblich darüber entscheiden, ob ein Täter wegen einer bestimmten Straftat verurteilt wird oder nicht, und welche Strafe im Falle einer Verurteilung verhängt wird.

Gibt es eine klare Grenze zwischen bedingtem Vorsatz und Fahrlässigkeit?

Die Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und Fahrlässigkeit ist in der Rechtsprechung und der juristischen Literatur oft schwierig und umstritten. Entscheidend ist die innere Einstellung des Täters und seine Bereitschaft, den möglichen Erfolgseintritt in Kauf zu nehmen. In der Praxis ist es oftmals eine Frage der richterlichen Beweiswürdigung, ob bedingter Vorsatz oder Fahrlässigkeit vorliegt.

Kann ein bedingter Vorsatz auch bei sogenannten Unterlassungsdelikten vorliegen?

Ja, bedingter Vorsatz kann auch bei sogenannten Unterlassungsdelikten vorliegen. Dabei handelt es sich um Straftaten, die dadurch begangen werden, dass der Täter eine gebotene Handlung unterlässt. Beispiele hierfür sind die unterlassene Hilfeleistung (§ 323c StGB) oder die Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht (§ 171 StGB). Auch bei diesen Delikten kann bedingter Vorsatz vorliegen, wenn der Täter die Verwirklichung des Tatbestandes billigt oder zumindest für möglich hält und in Kauf nimmt.

Beispiel: Bedingter Vorsatz im Rahmen einer Trunkenheitsfahrt

Ein Autofahrer fährt in stark alkoholisiertem Zustand und verursacht einen Verkehrsunfall, bei dem ein Passant getötet wird. In diesem Fall kann von bedingtem Vorsatz ausgegangen werden, wenn der Täter die Gefährlichkeit seines Verhaltens erkannte und den Tod des Passanten billigend in Kauf nahm.

Bedingter Vorsatz zusammgengefasst

Der bedingte Vorsatz ist ein zentraler Begriff im deutschen Strafrecht und hat erhebliche Auswirkungen auf die Beurteilung von strafbaren Handlungen. Die Abgrenzung zwischen direktem und bedingtem Vorsatz sowie zwischen bedingtem Vorsatz und Fahrlässigkeit ist oftmals schwierig und entscheidet maßgeblich über Schuld und Strafmaß. Die Kenntnis der rechtlichen Grundlagen und Rechtsprechung zum bedingten Vorsatz ist daher für die Beurteilung von Straftaten von großer Bedeutung.

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