In einer pluralistischen Gesellschaft ist das Gemeinwohl ein zentrales und zugleich öfter umstrittenes Konzept. In diesem Blog-Beitrag werden wir die rechtlichen Grundlagen des Gemeinwohls untersuchen, die verschiedenen Dimensionen und Bereiche, in denen das Gemeinwohl relevant ist, erläutern und jüngste Gerichtsurteile sowie FAQs vorstellen. Unsere Mandanten erkennen somit die rechtlichen Implikationen und können bessere Entscheidungen treffen.

Rechtliche Grundlagen

Das Gemeinwohl ist ein rechtlicher Begriff, der im deutschen Grundgesetz verankert ist und sich auf den rechtlichen Rahmen für das Allgemeinwohl bezieht. Um eine sinnvolle Definition des Begriffs zu erarbeiten, muss er in rechtliche Bestimmungen eingeordnet werden:

Das Grundgesetz und das Gemeinwohl

Das Grundgesetz weist dem Staat das Mandat zu, das Gemeinwohl zu fördern (vgl. Art. 20 GG). Dabei schließt es auch den Schutz der individuellen Freiheitsrechte ein. Zu betonen ist, dass das Gemeinwohl nicht nur im Zusammenhang mit staatlichem Handeln steht, sondern auch aufgrund des Subsidiaritätsprinzips (vgl. Art. 28 Abs. 2 GG) von den Kommunen zu berücksichtigen ist.

Verwaltungsrecht und das Gemeinwohl

In vielen verwaltungsrechtlichen Regelungen kommt es zum Ausdruck. Insbesondere im Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) wird der Begriff verwendet, um Ermessensspielräume der Behörden bei der Vornahme von Verwaltungsakten zu definieren (vgl. § 40 Abs. 1 VwVfG). Hierbei sind sowohl die Interessen der Allgemeinheit als auch diejenigen der Betroffenen unter Einbeziehung des Gemeinwohls abzuwägen.

Planungsrecht und das Gemeinwohl

Die Berücksichtigung des Gemeinwohls ist insbesondere im Planungsrecht relevant. So sind im Raumordnungsgesetz (ROG) und im Baugesetzbuch (BauGB) zahlreiche Vorschriften enthalten, die den Gesichtspunkt des Gemeinwohls im Rahmen der planerischen Abwägung von Interessen berücksichtigen. Beispielsweise müssen in der Bauleitplanung die Belange des Gemeinwohls angemessen berücksichtigt werden (vgl. § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB).

Europäischer Kontext und das Gemeinwohl

Auch im europäischen Kontext spielt das Gemeinwohl eine Rolle. Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung das Konzept von „übergeordneten Gemeinwohlgründen“ entwickelt, die im Rahmen der Rechtfertigung von staatlichen Maßnahmen Beachtung finden können. Gemeinwohlerwägungen können demnach im Rahmen der Anwendung von EU-rechtlichen Grundsätzen und Vorgaben relevant sein.

Dimensionen und Bereiche

Es handelt sich um einen weitreichenden Begriff, der in verschiedenen rechtlichen Bereichen eine Rolle spielt. Im Folgenden werden einige der wesentlichsten aufgezeigt:

  • Umweltschutz
  • Städtebau und -planung
  • Infrastrukturprojekte und Energieversorgung
  • Wirtschaftsordnung und Wettbewerbsrecht
  • Sozialstaatsprinzip und soziale Gerechtigkeit

Umweltschutz und das Gemeinwohl

Der Schutz der Umwelt, der natürlichen Ressourcen und der biologischen Vielfalt ist ein wichtiges Gemeinwohlziel. Insbesondere das deutsche Verfassungsrecht weist dem Staat die Pflicht zu, die natürlichen Lebensgrundlagen und Tiere zu schützen (Art. 20a GG). Damit kommt dem Umweltschutz eine verfassungsrechtliche Dimension zu, die sich auf unterschiedliche rechtliche Bestimmungen erstreckt, wie z. B. das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) oder das Wasserhaushaltsgesetz (WHG).

Städtebau und -planung und das Gemeinwohl

Die Gestaltung des städtischen Raums und die Raumordnung sind weitere Bereiche, in denen es eine Rolle spielt. Die Bauleitplanung hat die Aufgabe, einen gerechten Interessenausgleich in Bezug auf die städtebaulichen Belange zu erreichen und das Gemeinwohl zu berücksichtigen (vgl. § 1 Abs. 6 BauGB). Die Ziele, die durch die Raumordnung verfolgt werden, sind vielfältig und umfassen u.a. einen umweltgerechten, sozialen und wirtschaftlichen Stadtentwicklungsprozess.

Infrastrukturprojekte und Energieversorgung und das Gemeinwohl

Die Errichtung und der Betrieb von Infrastruktureinrichtungen, wie z. B. Straßen, Bahnstrecken oder Stromnetze, sind wesentliche Elemente der Daseinsvorsorge und tragen zum gemeinen Wohl bei. Staatliche Entscheidungen bezüglich solcher Projekte müssen im Einklang mit verfassungsrechtlichen und spezialgesetzlichen Vorgaben, wie z. B. dem Raumordnungsgesetz, dem Planfeststellungsverfahren oder dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG), erfolgen.

Wirtschaftsordnung und Wettbewerbsrecht und das Gemeinwohl

Auch in der Wirtschaftsordnung ist es in gewisser Weise verankert. Artikel 12 GG garantiert die Berufsfreiheit, schränkt diese aber insofern ein, als der Gesetzgeber sie zugunsten des Gemeinwohls beschränken kann. Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch das Wettbewerbsrecht: Hier gilt es, den Wettbewerb als grundlegendes Instrument zur Sicherung des Gemeinwohls in der Marktwirtschaft zu schützen (vgl. § 1 GWB).

Sozialstaatsprinzip und soziale Gerechtigkeit und das Gemeinwohl

Das deutsche Grundgesetz verpflichtet den Staat zum Sozialstaatsprinzip (vgl. Art. 20 Abs. 1 GG, Art. 28 Abs. 1 GG). Das bedeutet, dass der Staat das materielle Gemeinwohl unter anderem durch eine sozial ausgewogene Gestaltung der politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen gewährleisten muss. Soziale Gerechtigkeit, soziale Sicherheit und die Förderung der Teilhabe der Bürger am gesellschaftlichen Leben sind hierbei zentrale Anliegen des Gemeinwohls.

Aktuelle Gerichtsurteile

Im Folgenden stellen wir einige jüngere Gerichtsurteile vor, die sich auf das Thema beziehen:

  • BVerwG, Urteil vom 09.11.2017 – 4 C 4.16: In diesem Urteil stellte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) klar, dass die Errichtung eines Windenergieparks in einem militärischen Übungsgebiet nur dann zulässig ist, wenn keine Beeinträchtigung des Gemeinwohls und der Sicherheit für die Allgemeinheit gegeben ist. Das Gericht wies darauf hin, dass die Interessen der Energieerzeugung aus erneuerbaren Quellen gegen die Interessen der Verteidigungspolitik abzuwägen sind.
  • BVerfG, Beschluss vom 03.09.2019 – 1 BvQ 55/19: Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschied, dass das Verbot zur Durchführung eines Demonstrationszugs zulässig sein kann, wenn die Veranstaltung eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellt. Das Gericht betonte, dass die Grundrechte aus Art. 8 GG (Versammlungsfreiheit) die Belange des Gemeinwohls berücksichtigen müssen.
  • BVerwG, Urteil vom 10.07.2019 – 9 C 3.18: In diesem Urteil bekräftigte das BVerwG die Bedeutung der Sozialverträglichkeit von Mietobergrenzen bei der Belegung von Wohnungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Die Behörden müssen bei der Festlegung von angemessenen Mieten auch das Gemeinwohl berücksichtigen.

Häufig gestellte Fragen

Hier finden Sie Antworten auf einige häufig gestellte Fragen zum Thema:

Was ist unter dem Gemeinwohl zu verstehen?

Das Gemeinwohl bezeichnet das Wohl der Gesellschaft als Ganzes und umfasst verschiedene Dimensionen wie Umwelt, Soziales, Wirtschaft und Sicherheit. Dabei geht es darum, einen Ausgleich zwischen individuellen Freiheiten und gesellschaftlichen Belangen herzustellen.

Können Grundrechte eingeschränkt werden, um dem Gemeinwohl zu dienen?

Grundrechte können durch Gesetze oder aufgrund von Gesetzen eingeschränkt werden, wenn dies dem Gemeinwohl dient und die verfassungsrechtlichen Vorgaben – insbesondere die Verhältnismäßigkeit – eingehalten werden. Eine solche Einschränkung ist nur zulässig, wenn sie notwendig und angemessen ist, um übergeordnete Gemeinwohlbelange zu schützen.

Wer entscheidet, welche Maßnahmen im Interesse des gemeinen Wohls liegen?

In der Regel sind die zuständigen Behörden, insbesondere die Verwaltungsbehörden, dafür verantwortlich, zu entscheiden, welche Maßnahmen im Interesse des Gemeinwohls stehen. Diese Entscheidungen unterliegen jedoch der gerichtlichen Kontrolle durch die Verwaltungsgerichte, die die Rechtmäßigkeit und Angemessenheit von Maßnahmen im Hinblick auf das Gemeinwohl überprüfen können.

Kann das Gemeinwohl auch in der Privatwirtschaft ein relevantes Thema sein?

In gewissen Bereichen kann es auch für privatwirtschaftliche Akteure relevant sein, z. B. im Wettbewerbsrecht oder bei öffentlich-privaten Partnerschaften. Hier kann sich die Verpflichtung ergeben, bestimmte Gemeinwohlbelange bei unternehmerischen Entscheidungen zu berücksichtigen. Insbesondere tragen Unternehmen durch ihre Corporate Social Responsibility (CSR) dazu bei, soziale, ökologische und wirtschaftliche Verantwortung wahrzunehmen und damit zum Gemeinwohl beizutragen.

Fazit

Das Gemeinwohl ist ein bedeutendes rechtliches Konzept, das in verschiedenen rechtlichen Bereichen, wie dem Verfassungs-, Verwaltungs- und Planungsrecht sowie in aktuellen Gerichtsurteilen von Bedeutung ist. Im Rechtsstaat gilt es, das Gemeinwohl verantwortungsvoll und im Einklang mit individuellen Freiheitsrechten zu gestalten. Wir als Anwaltskanzlei stehen Ihnen dabei zur Seite und unterstützen Sie bei der Wahrnehmung Ihrer Rechte und Pflichten.

Unsere Rechtsanwälte stehen Ihnen bundesweit und im deutschsprachigen Ausland zur Verfügung.

Rechtsanwalt Arthur Wilms - Kanzlei Herfurtner

Arthur Wilms | Rechtsanwalt | Associate

Philipp Franz Rechtsanwalt

Philipp Franz | Rechtsanwalt | Associate

Anwalt Wolfgang Herfurtner Hamburg - Wirtschaftsrecht

Wolfgang Herfurtner | Rechtsanwalt | Geschäftsführer | Gesellschafter

Kundenbewertungen & Erfahrungen zu Herfurtner Rechtsanwälte. Mehr Infos anzeigen.

Aktuelle Beiträge aus dem Rechtsgebiet Zivilrecht