Die Frage der Hilfebedürftigkeit ist für die Gewährung von Sozialleistungen von entscheidender Bedeutung. Hierbei geht es um die Feststellung, inwieweit jemand nicht in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt selbst sicherzustellen und deshalb auf staatliche Unterstützung angewiesen ist. In diesem Blogbeitrag werde ich als erfahrener, kompetenter Rechtsanwalt auf die rechtlichen Grundlagen der Hilfebedürftigkeit eingehen, auf Beispiele und das Zusammenspiel verschiedener Sozialleistungssysteme, wie beispielsweise Arbeitslosengeld II (ALG II) und Sozialhilfe, aber auch auf aktuelle Gerichtsurteile sowie allgemeine FAQs in diesem Zusammenhang. Darüber hinaus enthält dieser Beitrag Informationen über Voraussetzungen und Zuständigkeiten bei der Antragsstellung.

Gesetzliche Grundlagen der Hilfebedürftigkeit

Für die Definition von Hilfebedürftigkeit sind in Deutschland verschiedene Gesetze maßgeblich, die insbesondere im Sozialgesetzbuch (SGB) enthalten sind. Drei wichtige gesetzliche Regelungen möchte ich hier nennen:

  • Sozialgesetzbuch II (SGB II): Hier geht es vor allem um die Hilfebedürftigkeit im Rahmen des Arbeitslosengeld II (ALG II), auch als „Hartz IV“ bekannt, für erwerbsfähige Hilfebedürftige und deren Familienangehörige. Dies ist im engen Zusammenhang mit der Eingliederung in Arbeit zu sehen, sodass § 7 Abs. 1 SGB II neben der Hilfebedürftigkeit auch eine Erwerbsfähigkeit und eine persönliche Arbeitslosigkeit voraussetzt.
  • Sozialgesetzbuch XII (SGB XII): In diesem Teil des Sozialgesetzbuches geht es um die Leistungen der Sozialhilfe und somit um die Hilfebedürftigkeit für Personen, die nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten und nicht von anderen, insbesondere Angehörigen, unterstützt werden können. Hier wird im § 9 Abs. 1 SGB XII festgelegt, dass jemand hilfebedürftig ist, wenn er seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Bedarf an beständiger Pflege nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften sicherstellen kann.
  • Bundessozialhilfegesetz (BSHG): Dieses Gesetz ist zwar mittlerweile durch das SGB XII weitestgehend abgelöst, aber einige Regelungen gelten immer noch ergänzend, insbesondere für Personen, die vor dem Inkrafttreten des SGB XII am 1. Januar 2005 bereits Sozialhilfe bezogen haben. Die Hilfebedürftigkeit ist hier insbesondere in § 1 Abs. 1 Nr. 4 BSHG definiert.

Im Folgenden werde ich ausführlich auf die Einzelheiten dieser gesetzlichen Regelungen zur Hilfebedürftigkeit eingehen und dabei typische Anwendungsfragen klären sowie aktuelle Gerichtsurteile betrachten.

Arbeitslosengeld II und Erwerbsfähigkeit

Als erwerbsfähig gilt nach § 8 Abs. 1 SGB II, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden pro Tag erwerbstätig sein kann und nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit, mindestens jedoch sechs Monate, daran gehindert ist. Damit ein Anspruch auf ALG II besteht, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

  • Erwerbsfähigkeit gemäß § 8 SGB II
  • Hilfebedürftigkeit gemäß § 9 SGB II
  • Angemessene Eigenbemühungen zur Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit

In Bezug auf die Hilfebedürftigkeit bedeutet dies, dass die Betroffenen ihren Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen oder durch die Inanspruchnahme von Leistungen anderer Sozialleistungsträger bestreiten können.

Beispiele für Einkommen und zu berücksichtigendes Vermögen

  • Einkommen: Löhne, Gehälter, Renten, Unterhaltszahlungen, sonstige Einnahmen, ausländische Sozialleistungen
  • Vermögen: Bankguthaben, Wertpapiere, Immobilien, Kraftfahrzeuge, Lebensversicherungen, Riester-Rente, verfügbare Bausparverträge

Von besonderer Bedeutung ist dabei der Begriff des „angemessenen Vermögens“. Nach § 12 SGB II sind Vermögenswerte unter bestimmten Freibeträgen anrechnungsfrei, beispielsweise 150 Euro pro vollendetem Lebensjahr, mindestens aber 3.850 Euro sowie ein zusätzlicher Freibetrag von 750 Euro für notwendige Anschaffungen.

Aktuelle Gerichtsurteile zur Hilfebedürftigkeit und Arbeitslosengeld II

Die Rechtsprechung zur Hilfebedürftigkeit bei ALG II ist in ständiger Entwicklung. Im Folgenden werden einige aktuelle Entscheidungen zur Hilfebedürftigkeit bei Arbeitslosengeld II vorgestellt:

  1. Bundessozialgericht, Urteil vom 22. März 2018 – B 14 AS 13/17 R: Eine teilweise Erwerbsminderung (aufgrund von Krankheit oder Behinderung) führt nicht zwangsläufig zur Hilfebedürftigkeit, wenn die betroffene Person noch mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein kann und ihr Einkommen für den Lebensunterhalt ausreicht.
  2. Bundessozialgericht, Urteil vom 4. Juni 2019 – B 4 AS 16/18 R: Eine Volljährigkeit oder vollendete Schulausbildung allein führt nicht automatisch zur Hilfebedürftigkeit eines jungen Menschen im ALG II-Bezug; es müssen auch die übrigen Voraussetzungen vorliegen, insbesondere eine Erwerbsfähigkeit und eine grundsätzliche Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung.
  3. Bundessozialgericht, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 12/13 R: Bei Ehegatten oder Lebenspartnern in einer Bedarfsgemeinschaft ist jeder für sich erwerbsfähig und hilfebedürftig zu betrachten. Es genügt nicht, wenn nur einer der beiden Partner erwerbsfähig ist, während der andere die Hilfebedürftigkeit begründet.

FAQ zur Hilfebedürftigkeit bei Arbeitslosengeld II

Kann jemand gleichzeitig ALG II und ALG I beziehen?
Ja, in bestimmten Fällen ist ein ergänzender Bezug von Arbeitslosengeld II („Aufstockung“) möglich, wenn das ALG I nicht ausreicht, um den Lebensunterhalt zu bestreiten.
Wie lange kann ich Arbeitslosengeld II beziehen?
Es gibt grundsätzlich keine zeitliche Begrenzung für den Bezug von ALG II, solange die Voraussetzungen der Hilfebedürftigkeit, Erwerbsfähigkeit und Mitwirkungspflichten erfüllt sind.
Sind meine Ersparnisse in Gefahr, wenn ich Arbeitslosengeld II beantrage?
Wie bereits erwähnt, bleiben Vermögenswerte unter bestimmten Freibeträgen (siehe § 12 SGB II) anrechnungsfrei. Das bedeutet, dass in der Regel geschützte Beträge nicht zur Finanzierung des Lebensunterhalts herangezogen werden müssen.

Sozialhilfe und Nichterwerbsfähigkeit

Die Sozialhilfe ist für Personen gedacht, die nicht erwerbsfähig sind und daher keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II haben. Dabei können unterschiedliche Hilfebedürftigkeiten vorliegen:

  • Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 27-40 SGB XII), zum Beispiel für ältere oder dauerhaft kranke Menschen
  • Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (§§ 41-46 SGB XII), etwa für Personen, die vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind
  • Hilfe in besonderen Lebenslagen (§§ 70-74 SGB XII), zum Beispiel für Mütter nach der Geburt eines Kindes oder für Menschen in besonderen Notlagen
  • Hilfe in anderen Formen (§§ 75-77 SGB XII), zum Beispiel für Personen, die vorübergehend von ihrer Lebensgrundlage abgeschnitten sind, aber keine anderen Sozialleistungen in Anspruch nehmen können

Wichtig ist hierbei, dass die Hilfebedürftigkeit grundsätzlich unabhängig von einer Erwerbstätigkeit besteht. Ausnahmen bilden jedoch bestimmte Sachverhalte, in denen eine Erwerbstätigkeit zu einer Hilfebedürftigkeit führen kann, beispielsweise bei Alleinerziehenden oder Menschen mit Behinderungen.

Aktuelle Gerichtsurteile zur Hilfebedürftigkeit und Sozialhilfe

Die Rechtsprechung zur Hilfebedürftigkeit bei Sozialhilfe ist ebenfalls vielschichtig und unterliegt Veränderungen. Hier einige aktuelle Urteile zu diesem Bereich:

  1. Bundessozialgericht, Urteil vom 20. Mai 2015 – B 8 SO 12/14 R: Ein verwitweter Elternteil von Kindern, die in einer gemeinsamen Haushaltsgemeinschaft leben, aber keine eigene Bedarfsgemeinschaft bilden, ist grundsätzlich hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB XII und hat Anspruch auf Sozialhilfe, wenn er seinen Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln bestreiten kann.
  2. Bundessozialgericht, Urteil vom 1. März 2018 – B 8 SO 33/16 R: Voraussetzung für einen Anspruch auf Hilfe in besonderen Lebenslagen (hier: Heimunterbringung) ist, dass der Hilfebedürftige alle zumutbaren Möglichkeiten zur Selbsthilfe ausgeschöpft hat und keine andere Hilfe zur Verfügung steht.
  3. Bundessozialgericht, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 8 SO 19/12 R: Werden notwendige Aufwendungen für Unterkunft und Heizung von einem Dritten getragen (z.B. im Rahmen einer Pflegschaft), liegt keine Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 9 SGB XII und damit kein Anspruch auf Sozialhilfe vor.

FAQ zur Hilfebedürftigkeit bei Sozialhilfe

Ist die Sozialhilfe eine subsidiäre Leistung?
Ja, die Sozialhilfe ist eine sogenannte subsidiäre Leistung, das heißt, sie wird erst dann gewährt, wenn keine anderen Sozialleistungen oder sonstigen Hilfen zur Verfügung stehen, wie zum Beispiel Arbeitslosengeld II, Renten oder Unterhaltszahlungen.
Müssen meine Kinder für meine Sozialhilfe aufkommen?
Prinzipiell besteht eine Unterhaltspflicht von Kindern gegenüber ihren bedürftigen Eltern. Allerdings gibt es verschiedene gesetzliche Regelungen, die eine Inanspruchnahme der Kinder begrenzen. So sind die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Kinder ausschlaggebend, und es gelten bestimmte Freibeträge und Schonvermögen.
Wie schnell muss ein Antrag auf Sozialhilfe bearbeitet werden?
Grundsätzlich sollte die Bearbeitung eines Antrags auf Sozialhilfe zügig erfolgen, jedoch gibt es keine konkrete gesetzliche Frist. Die Entscheidung sollte jedoch innerhalb angemessener Zeit erfolgen, um existenzielle Notlagen abzuwenden. Bei etwaigen Verzögerungen kann eine einstweilige Anordnung beim zuständigen Sozialgericht erwirkt werden.

Antragsstellung und Zuständigkeiten

Ein Antrag auf Sozialleistungen aufgrund von Hilfebedürftigkeit ist in der Regel bei der zuständigen Stelle (Jobcenter oder Sozialamt) des Wohnortes zu stellen. Dort erhalten die Antragsteller auch entsprechende Beratung und Informationen zu den erforderlichen Antragsunterlagen und Nachweisen. Hilfeempfänger sollten darauf achten, ihre Unterlagen vollständig und korrekt einzureichen, um Verzögerungen zu vermeiden oder fehlerhafte Bescheide zu verhindern.

Antragsvoraussetzungen und Nachweise

Um einen Antrag auf ALG II, Sozialhilfe oder sonstige Sozialleistungen zu stellen, müssen in der Regel folgende Voraussetzungen ggf. nachgewiesen werden:

  • Persönliche Identifikation (Personalausweis, Reisepass, Meldebescheinigung)
  • Wohnsitz im Zuständigkeitsbereich der beantragenden Stelle
  • Hilfebedürftigkeit (ausführliche Darlegung der persönlichen und finanziellen Verhältnisse)
  • Erwerbsfähigkeit oder Nichterwerbsfähigkeit (ärztliche Bescheinigungen, Rentenbescheide o.ä.)
  • Selbsthilfeversuche (z.B. Bewerbungsbemühungen bei Arbeitslosengeld II)
  • Kein oder geringes Einkommen und Vermögen (Bescheide, Kontoauszüge, Verträge, Policen, Nachweise über vorhandenes Vermögen usw.)
  • Notwendigkeit der Beanspruchung weiterer Leistungen, wie z.B. besondere Bedarfe oder Anpassungen der Unterkunft

Zusammenarbeit mit anderen Behörden

Die Stellen, die über die Hilfebedürftigkeit und die entsprechenden Leistungen entscheiden, arbeiten oftmals mit anderen Behörden zusammen, etwa mit kommunalen Ämtern, der Agentur für Arbeit oder den Rentenversicherungsträgern. Daher ist es wichtig, dass die Antragsteller auch bei diesen Behörden eventuell erforderliche Unterlagen abgeben, um eine zügige und sachgerechte Bearbeitung ihres Anliegens zu gewährleisten.

Fazit

Die Feststellung der Hilfebedürftigkeit ist ein komplexer Prozess, der von zahlreichen Faktoren und gesetzlichen Regelungen abhängig ist. Sowohl die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit als auch die Anwendung unterschiedlicher Sozialleistungssysteme spielen eine wesentliche Rolle bei der Entscheidung über die Gewährung von Sozialleistungen. Um den individuellen Ansprüchen gerecht zu werden, ist es unerlässlich, sich in diesem Themenbereich umfassend zu informieren und gegebenenfalls fachlichen Rat einzuholen. Die hier dargelegten rechtlichen Ausführungen, Beispiele, Gesetze und aktuelle Gerichtsurteile bieten dabei einen fundierten Überblick über die unterschiedlichen Aspekte der Hilfebedürftigkeit und sollen ein besseres Verständnis der Materie sowie als erste Orientierung dienen.

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