Als erfahrener Rechtsanwalt habe ich unzählige Verfahren betreut und dabei immer wieder festgestellt, wie wichtig ein fundiertes Wissen über das Beweisverfahren für den Verfahrensausgang ist. In diesem ausführlichen Blog-Beitrag werde ich Ihnen einen Überblick über das Beweisverfahren geben, die umfassenden rechtlichen Hintergründe erläutern und praxisnahe Beispiele sowie aktuelle Gerichtsurteile einbeziehen. Ebenso gehe ich auf häufig gestellte Fragen meiner Mandanten ein und skizziere bewährte Strategien für einen erfolgreichen Verfahrensabschluss.

Inhalt:

  • Einführung ins Beweisverfahren: Bedeutung und Ziel
  • Die verschiedenen Arten von Beweisen
  • Ablauf des Beweisverfahrens: Schritt für Schritt
  • Beweisanträge: Form und Inhalt
  • Die ROLL-Regel und ihre Wirkung auf das Beweisverfahren
  • Aktuelle Gerichtsurteile und ihre Auswirkungen auf das Beweisverfahren
  • Beweisverwertung und strafrechtliche Konsequenzen
  • Beweisverfahren: FAQ

Einführung ins Beweisverfahren: Bedeutung und Ziel

Der Zweck eines Beweisverfahrens besteht darin, die in einem Rechtsstreit streitigen und entscheidungserheblichen Tatsachen aufzuklären, um eine richtige und gesetzeskonforme Entscheidung treffen zu können. Hierbei handelt es sich um eine bedeutende und komplexe Phase des Prozesses, insbesondere im deutschen Rechtssystem. Zentrale Aspekte des Beweisverfahrens sind die Beweislastverteilung, Beweisanträge sowie die Anerkennung und Auswertung von Beweisen.

Die verschiedenen Arten von Beweisen

Es gibt mehrere Arten von Beweisen, die in einem Beweisverfahren verwendet werden können. Nachfolgend sind die wichtigsten Kategorien aufgeführt:

Urkundenbeweis (§ 415 ZPO)

Urkunden sind Schriftstücke, die zur Veranschaulichung oder Bewirkung rechtlicher Tatsachen eine Beweis- und Garantiefunktion haben. Hierzu zählen Verträge, Protokolle, Testamente und amtliche Bescheinigungen.

 Zeugenbeweis (§ 373 ZPO)

Zeugen sind Personen, die über ihre Wahrnehmungen zu einer streitigen Tatsache aussagen können. Ihre Angaben werden in der mündlichen Verhandlung oder durch eidesstattliche Versicherungen zu Protokoll genommen. Die Glaubwürdigkeit der Zeugen ist ein zentrales Kriterium für die Beurteilung ihrer Aussagen.

Sachverständigenbeweis (§ 402 ZPO)

Sachverständige sind Personen mit besonderen Fachkenntnissen, die auf Anordnung des Gerichts oder auf Antrag einer Partei hin ein schriftliches oder mündliches Gutachten zu einem bestimmten Sachverhalt erstellen. Dabei sind sie unabhängig, objektiv und zur Wahrheit verpflichtet.

Augenscheinbeweis (§ 371 ZPO)

Der Augenscheinbeweis dient der unmittelbaren Wahrnehmung eines streitigen Sachverhalts durch das Gericht, z.B. bei einer Ortsbesichtigung, Demonstration oder Präsentation eines Gegenstandes. Das Ergebnis kann für die Entscheidungsfindung maßgeblich sein.

Parteivernehmung (§ 448 ZPO)

Parteien können als Partei oder notfalls auch auf Antrag der Gegenpartei vom Gericht als Zeugen gehört werden. Hierbei dürfen sie jedoch nicht über ihr Vorbringen im Verfahren hinausgehen. Im Gegensatz zur Zeugenbefragung, können sie sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen, wenn ihre Aussage zu einer möglichen Selbstbelastung führen würde.

Ablauf des Beweisverfahrens: Schritt für Schritt

Das Beweisverfahren gliedert sich in mehrere Phasen, die von der Anbahnung bis zum Abschluss reichen. Hierzu zählen unter anderem:

Darlegungs- und Beweislastverteilung

Bevor eine Partei zur Beweisführung angehalten wird, muss sie bestimmte Tatsachen substantiiert (genau und präzise) darlegen. Im Allgemeinen muss diejenige Partei die Beweislast für anspruchsbegründende Tatsachen tragen, die von der Gegenpartei bestritten werden. Hierbei spielen oftmals Vermutungen und Rückschlüsse im rechtlichen Rahmen eine Rolle.

Beweisanträge und deren Prüfung

Parteien können Beweisanträge stellen, um die Beweisaufnahme durch das Gericht zu ermöglichen. Diese Anträge müssen bestimmte inhaltliche Anforderungen erfüllen und dürfen sich nur auf streitige, entscheidungserhebliche Tatsachen beziehen. Gegebenenfalls können sie auch auf zulässige Hilfstatsachen gestützt sein. Das Gericht prüft die Anträge auf Schlüssigkeit, Relevanz und Zulässigkeit und entscheidet über die Beweiszulassung.

Durchführung der Beweisaufnahme

Das Gericht leitet die Beweisaufnahme ein und leitet sie in der Regel im Rahmen der mündlichen Verhandlung. Hierzu kann es Zeugen, Sachverständige und Parteien vernehmen, Urkunden vorlegen oder sonstige Beweismittel einholen.

Beweiswürdigung und Entscheidungsfindung

Nach Abschluss der Beweisaufnahme wertet das Gericht die Beweise aus und gelangt auf dieser Grundlage zu einer abschließenden Würdigung. Dabei kann es die Beweise nach freier Überzeugung gemäß § 286 ZPO bewerten und muss seine Entscheidung auf eine lückenlose Beweiskette stützen. In eingangs erwähnten Fällen (z.B. der Zeugenaussage) kann das Gericht eine geringere Beweisanforderungen akzeptieren, dies muss jedoch entsprechend begründet werden.

Verwertung der Beweise und Verfahrensabschluss

Schließlich nutzt das Gericht die gewonnenen Beweise, um den streitigen Sachverhalt zu klären und eine Entscheidung zu treffen. Dies kann zu einem Urteil, Vergleich oder einer anderen Verfahrensbeendigung führen.

Beweisanträge: Form und Inhalt

Ein wirksamer Beweisantrag muss in der Regel schriftlich gestellt werden, kann aber auch mündlich in der Verhandlung abgegeben werden. Darüber hinaus müssen Beweisanträge bestimmte formale und inhaltliche Anforderungen erfüllen, um zulässig zu sein:

Bestimmtheit

Der Antrag muss die streitige Tatsache sowie das vorgeschlagene Beweismittel klar und eindeutig benennen.

Substantiierung

Die beweispflichtige Partei muss die streitige Tatsache hinreichend konkret und nachvollziehbar darlegen und darf sich nicht auf bloße Behauptungen oder Spekulationen stützen.

Relevanz

Der Beweisantrag muss sich auf eine Tatsache beziehen, die für den Ausgang des Verfahrens entscheidungserheblich ist und deren Klärung zur Aufgabe des Gerichts gehört.

Zulässigkeit des Beweismittels

Der Antrag muss ein zulässiges Beweismittel vorschlagen, das sich für die Aufklärung der streitigen Tatsache eignet (siehe oben genannte Beweismittel).

Die ROLL-Regel und ihre Wirkung auf das Beweisverfahren

In bestimmten Fällen kann das Gericht den Parteien die Pflicht zur Darlegung und vor allem zur Beweisführung abnehmen. Dies wird als ROLL-Regel (Rückschluss aus objektiven Umständen, Lebenserfahrung und Logik) bezeichnet und leitet sich aus der freien Beweiswürdigung des Gerichts nach § 286 ZPO her. Dadurch können Parteien unter Umständen von ihrer Beweislast und Darlegungslast entlastet werden, wenn die Voraussetzungen der ROLL-Regel erfüllt sind, indem das Gericht aus objektiven Umständen, Lebenserfahrung und logischen Zusammenhängen auf streitige Tatsachen schließt.

Aktuelle Gerichtsurteile und ihre Auswirkungen auf das Beweisverfahren

Im Laufe der Zeit haben zahlreiche Gerichtsurteile das Beweisverfahren beeinflusst und weiterentwickelt, z.B. bezüglich der Beweislastverteilung, Beweisanforderungen und Beweisverwertung. Eine Auswahl von wichtigen Urteilen der letzten Jahre:

Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.01.2019 – VII ZR 86/17

Der BGH hat entschieden, dass Beweisthemen, für die das Gericht keine Beweisaufnahme durchgeführt hat, im Rahmen des § 286 ZPO gleichwohl Berücksichtigung finden können, sofern die Parteien Gelegenheit hatten, sich zu den entsprechenden Aspekten zu äußern.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 10.04.2018 – XI ZR 449/16

Der BGH hat klargestellt, dass der vage Vortrag einer Partei nicht automatisch zu einer sekundären Darlegungslast führt. Vielmehr muss die beweisbelastete Partei zunächst die Voraussetzungen der ROLL-Regel darlegen und beweisen.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 20.11.2014 – 1 BvR 2457/14

Das BVerfG hat betont, dass das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) auch im Rahmen des Beweisausschließungsrechts beachtet werden muss. Insbesondere darf das Gericht in bestimmten Fällen nicht ohne weiteres auf ein Beweisverwertungsverbot zurückgreifen, um damit dieartigen Anforderungen zu entgehen.

Beweisverwertung und strafrechtliche Konsequenzen

In bestimmten Fällen können Beweise aufgrund rechtlicher Vorgaben unter Umständen nicht verwertet werden. Dies ist etwa der Fall, wenn Beweise aufgrund von Verstößen gegen das Verfahrensrecht oder Grundrechte unzulässig oder unverwertbar sind. Ein Beispiel hierfür ist die Unverwertbarkeit von Zeugenaussagen aufgrund von Vernehmungsfehlern (z.B. Verletzung des rechtlichen Gehörs) oder das Verbot zur Verwertung von Beweisen aus illegalen Abhörmaßnahmen. Solche Beweisverwertungsverbote können zu erheblichen strafrechtlichen Konsequenzen führen, etwa zur Unverwertbarkeit belastender Beweise oder sogar zur Einstellung eines Verfahrens. Es ist daher entscheidend, genauestens auf die Rechtmäßigkeit der Beweisgewinnung sowie deren ordnungsgemäße Darlegung und Dokumentation im Verfahren zu achten.

Beweisverfahren: FAQ

Im Folgenden beantworte ich einige häufig gestellte Fragen meiner Mandanten zum Beweisverfahren.

Wer trägt die Kosten für das Beweisverfahren?

Die Kosten für das Beweisverfahren (z.B. Sachverständigenhonorar, Zeugenaufwandsentschädigungen) sind in der Regel von der unterliegenden Partei zu tragen. Jedoch kann das Gericht auch eine Kostenteilung anordnen, wenn dies aus Gründen der Billigkeit geboten erscheint.

Kann ich Beweise auch außerhalb des Beweisverfahrens verwenden?

Grundsätzlich sind Beweise, die nicht im Rahmen des Beweisverfahrens gewonnen wurden, für das Verfahren ohne Wert. Allerdings kann das Gericht unter bestimmten Voraussetzungen auch Beweise berücksichtigen, die außerhalb des Beweisverfahrens gewonnen wurden, etwa wenn sie später in das Verfahren eingeführt und ordnungsgemäß dokumentiert werden.

Was passiert, wenn Beweise erst nach Abschluss des Beweisverfahrens gefunden werden?

Werden Beweise erst nach Abschluss des Beweisverfahrens gefunden, können sie grundsätzlich nur dann noch Berücksichtigung finden, wenn sie zuvor trotz angemessener Sorgfalt nicht ermittelt werden konnten und das Gericht sie für ausreichend relevant hält. In solchen Fällen kann das Gericht das Beweisverfahren wiedereröffnen oder, unter Umständen, das Urteil nachträglich ändern.

Zusammenfassung

Das Beweisverfahren ist eine zentrale und komplexe Phase des Rechtsstreits, deren erfolgreiche Bewältigung entscheidend für den Verfahrensausgang sein kann. Dieser Beitrag hat Ihnen die wichtigsten Aspekte des Beweisverfahrens dargestellt und verdeutlicht, worauf es bei der Anbahnung, Durchführung und Abschluss des Beweisverfahrens ankommt. Ebenso sind aktuelle Gerichtsurteile, die maßgeblichen Gesetze und häufig gestellte Fragen aus der Praxis einbezogen worden, um Ihnen den bestmöglichen Überblick über das Beweisverfahren und die damit einhergehenden Herausforderungen und Chancen zu bieten. Im Zweifel sollten Sie jedoch stets den Rat eines erfahrenen Rechtsanwalts einholen, um Ihre jeweilige Situation und die möglichen rechtlichen Schritte individuell bewerten und planen zu lassen.

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