EU zieht sich aus Energiechartavertrag zurück

Könnte das Komstroy-Urteil das definitive Ende des Investitionsschutzes in der EU bedeuten?

Am 2. September 2021 hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) im Fall „Komstroy“ geurteilt. Investoren-Staat-Schiedsverfahren, basierend auf dem Energiecharta-Vertrag (ECT), sind nicht mit EU-Recht vereinbar. Dies folgt dem Präzedenzfall des Achmea-Urteils von 2018.

Daraus ergibt sich, dass die EU sich vom Energiecharta-Vertrag zurückzieht. Die Schiedsgerichtsbarkeit des ECT widerspricht der Autonomie des EU-Rechts. Sie wird in der EU nicht mehr anerkannt. Dies beeinflusst stark die EU-Energiepolitik und den globalen Energiemarkt.

Wichtige Erkenntnisse

  • EuGH urteilte am 2. September 2021 zur Unvereinbarkeit des ECT mit EU-Recht.
  • Schiedsverfahren auf Grundlage des Energiecharta-Vertrags wurden als nicht anwendbar erklärt.
  • EU-Mitgliedstaaten kündigten ihre bilateralen Investitionsschutzverträge nach dem Achmea-Urteil.
  • Europaweite Auswirkungen auf den Investitionsschutz und die Energiepolitik sind zu erwarten.
  • Rechtsunsicherheit für Investoren und Herausforderungen für die Energieversorgungssicherheit.

Hintergrund des Energiecharta-Vertrags und seine Bedeutung

Im Dezember 1994 wurde der Energiecharta-Vertrag in Lissabon unterzeichnet und erlangte im April 1998 Gültigkeit. Er bezieht 53 Länder sowie die Europäische Gemeinschaft und EURATOM mit ein, um den Investitionsschutz im Energiesektor zu intensivieren. Durch den Vertrag ist es Investoren möglich, Staaten bei wahrgenommener ungerechtfertigter Verschlechterung ihrer Investitionsbedingungen vor speziellen Schiedsgerichten anzuklagen.

Energiecharta-Vertrag

Ziel des Energiecharta-Vertrags war es, Investitionen im Energiesektor zu fördern und abzusichern, vor allem in Ländern des ehemaligen Ostblocks. Die Regulierung im Energiesektor wurde durch diesen internationalen Vertrag auf eine neue Ebene gehoben. Trotz signifikanter Errungenschaften sieht sich der Vertrag schwerer Kritik ausgesetzt. Insbesondere Amandine Van Den Berghe, eine Anwältin bei ClientEarth, kritisiert, dass der ECT die europäische Energiewende sowie Klimaschutzbemühungen gefährdet, indem er Investitionen gegenüber demokratischen Entscheidungen schützt.

2015 verkündete Italien seinen Rückzug aus dem Vertrag, um finanzielle Ressourcen einzusparen. Investoren haben dennoch die Möglichkeit bis zum Jahr 2036, ihre Rechte über Schiedsgerichte zu wahren. Seitdem erklärten bis Oktober 2022 auch Spanien, die Niederlande, Polen, Frankreich und Slowenien ihren Austritt. Belgien zieht derzeit einen Austritt in Erwägung. Deutschland und Luxemburg traten im November 2022 aus, während das EU-Parlament am 24. November für den EU-Austritt stimmte. Kürzlich kündigte Portugal im Juli 2023 seinen Rückzug an.

Die jüngste Austrittswelle stellt den internationalen Energierecht vor erhebliche Herausforderungen, insbesondere bezüglich laufender und zukünftiger Verfahren. Aktuell sind 52 Verfahren unter Berufung auf den Energiecharta-Vertrag anhängig, wobei Einzelheiten zu lediglich 25 Verfahren öffentlich bekannt sind. Schätzungen zufolge könnten sich die potenziellen Kosten aus diesen Ansprüchen auf über 1,3 Billionen Euro bis zum Jahr 2050 summieren. Zudem weisen aktuelle Meta-Analysen darauf hin, dass der Energiecharta-Vertrag nur geringfügige Vorteile bei der Anziehung von Auslandsinvestitionen bietet.

Die Komstroy-Rechtsprechung des EuGH und ihre Folgen

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat Mitte September 2021 einen bedeutsamen Beschluss gefasst (Fall C-741/19). Dieser Beschluss verdeutlicht, dass private Schiedsverfahren im Rahmen des Energiecharta-Vertrags (ECT) innerhalb der EU gegen geltendes EU-Recht verstoßen. Durch diese Entscheidung wurde die bisherige Rechtsprechung, insbesondere das Achmea-Urteil von 2018, bestätigt. Letzteres Urteil erklärte die Intra-EU Schiedsklauseln in bilateralen Investitionsschutzabkommen für EU-rechtswidrig. Folglich unterstrich der EuGH, dass Schiedsgerichte nicht die Autorität besitzen, über Investitionsklagen innerhalb der EU zu urteilen.

Komstroy-Rechtsprechung

Wichtige Urteile: Achmea und Komstroy

Das Komstroy-Urteil sowie das Achmea-Urteil beeinflussen Schiedsgerichtsverfahren tiefgreifend. RWE und Uniper fochten etwa den Kohleausstieg der Niederlande bis 2030 juristisch an. RWE betreibt seit 2015 ein Kraftwerk in Eemshaven, Uniper seit 2016 eines in Maasvlakte. Beide Unternehmen machen geltend, das Abschalten der Kraftwerke beschere ihnen erhebliche finanzielle Einbußen.

Der Fall LLC Komstroy gegen die Republik Moldau ist besonders beachtenswert: Dem Unternehmen wurden 46,5 Millionen US-Dollar Schadensersatz zugesprochen. Dennoch erklärte das EuGH-Urteil das zugehörige Schiedsverfahren für nichtig. Dies erschwert die Anerkennung ähnlicher Urteile innerhalb der EU beträchtlich.

Reaktionen der Mitgliedstaaten und nationaler Gerichte

Die Reaktionen auf diese Gerichtsurteile variieren unter den Mitgliedstaaten und nationalen Gerichten. Nach der rechtlichen Klarstellung durch die Komstroy-Rechtsprechung lehnen sich die nationalen Gerichte verstärkt an die EU-Rechtsprechung an. Der Bundesgerichtshof in Deutschland etwa bestätigte, dass gegen EU-Recht verstoßenden Intra-EU Schiedsverfahren einer gerichtlichen Prüfung unterzogen werden können.

Mehrere EU-Staaten haben den Energiecharta-Vertrag mittlerweile verlassen. Frankreich trat am 8. Dezember 2023 aus, Deutschland am 20. Dezember 2023 und Polen am 29. Dezember 2023. Trotz dieser Austritte bleibt der Schutz bestehender Investitionen durch die „Sunset Clause“ im Artikel 47(3) des Vertrages für zwanzig weitere Jahre bestehen. Dies betrifft sowohl nationale Gerichte als auch internationale Exekutivorgane. Davon unabhängig haben manche Staaten, wie die Vereinigten Staaten und Australien, verschärfte Maßnahmen gegen die Durchsetzung von Urteilen, die EU-Recht widersprechen, ergriffen.

Die Entwicklung und Folgen von Komstroy-Rechtsprechung, Achmea-Urteil und nationalen Reaktionen verdeutlichen die komplexe Veränderung im Bereich des Schiedsgerichtswesens innerhalb der EU. Diese Gerichtsentscheidungen führen zu umfangreichen Reformforderungen und Anpassungen im europäischen Investitionsschutz und Schiedsverfahren. Es steht fest, dass die aktuellen Herausforderungen im Schiedsverfahrenskontext weiterhin von EU-Recht und sich verändernden politischen Rahmenbedingungen der Union beeinflusst werden.

Warum die EU sich aus dem Energiechartavertrag zurückzieht

Die Entscheidung der EU, sich vom Energiechartavertrag zurückzuziehen, reflektiert einen Konflikt zwischen den Vertragsbestimmungen und der Einhaltung des EU-Rechts. Ziel war es, die Vorherrschaft des EU-Rechts zu bewahren. Dies schränkte zugleich die Möglichkeiten privater Investoren ein, Mitgliedstaaten vor internationalen Schiedsgerichten anzuklagen.

Der Energiechartavertrag wurde im Dezember 1994 unterzeichnet und trat vier Jahre später in Kraft. Er betrifft alle Energieformen sowie sämtliche Stufen ihrer Erzeugung und Verwendung. Anstatt Konflikte zu minimieren, führte er jedoch zu erhöhten Spannungen durch verschiedene Schiedsverfahren.

„Russland gehörte zu den Erstunterzeichnerstaaten des Energiechartavertrags, ratifizierte diesen jedoch nie und trat 2009 aus dem Vertrag aus, während Italien vor Kurzem ebenso den Austritt vollzog.“

Die EU und ihre Entscheidungsträger haben sich bewusst vom Vertrag gelöst, um energiepolitische und klimabezogene Unabhängigkeit zu fördern. Die Europäische Kommission spielt eine zentrale Rolle im Energiechartaprozess. Sie vertritt die Interessen der Union auf der Energiechartakonferenz. Es ist erwähnenswert, dass trotz der aktiven Beteiligung keine Mehrheit der Mitgliedstaaten eine einheitliche Position bezüglich des Umgangs mit Glyphosat zeigt.

Die strategische Entscheidung der EU unterstreicht die Priorisierung von Klimaschutz und nachhaltiger Energiepolitik. Dadurch rücken nicht länger die Interessen privater Investoren, sondern das Gemeinwohl in den Vordergrund. Dieser Schritt untermauert die zunehmende Bedeutung von Umwelt- und Klimaschutz in Übereinstimmung mit dem EU-Recht. Er markiert ebenso eine Loslösung von internationalen Handelsverträgen, die nun als Beeinträchtigung gesehen werden.

Auswirkungen auf den internationalen Energiemarkt und die EU-Energiepolitik

Mit dem Rückzug der EU aus dem Energiechartavertrag ergeben sich bedeutende Veränderungen. Diese beeinflussen den internationalen Energiemarkt und die Energiepolitik der EU tiefgreifend. Artikel 26 des ECT erlaubte Investoren, Staaten vor internationalen Schiedsgerichten zu klagen. Diese Möglichkeit führte zu weitreichenden rechtlichen Herausforderungen.

Rechtliche Konsequenzen für Investoren und Mitgliedstaaten

Die Beendigung des ECT auf EU-Ebene hat erhebliche rechtliche Folgen. Investoren verlieren den bisherigen Schutz des Investitionsschutzes. Sie stehen einer neuen rechtlichen Realität gegenüber. Bisher war es möglich, Schadensersatzforderungen in Milliardenhöhe zu stellen, exemplifiziert durch RWE’s Forderung von 1,4 Milliarden Euro im Kontext der niederländischen Kohleausstiegspläne.

Die EU-Vertragsaustritte ermöglichen es den Mitgliedstaaten, weniger Angriffsfläche für Schiedsverfahren zu bieten. Dies erlaubt die Förderung von Investitionen ohne die vorigen Risiken. Österreich, seit 1994 Vertragspartei des ECT, könnte nun Investitionsklagen, die auf EU-Recht basieren, vermeiden.

Einfluss auf die Energieversorgungssicherheit und den Energiemarkt

Der EU-Austritt aus dem ECT verändert die Energiemärkte und die Sicherheit der Energieversorgung. Die bisherige Struktur, die auch fossile Energieinvestitionen schützte, wird hinfällig. Es entstehen neue Anreize für erneuerbare Energien, was den Klimaneutralitätszielen der EU entgegenkommt.

Obwohl Österreich seit 1995 Mitglied der WTO ist und sich an internationale Handelsregeln hält, eröffnet der ECT-Austritt neue Möglichkeiten. Mehr als 50 Staaten sind derzeit an den ECT gebunden, vor allem in Europa und Asien. Doch Kritiken an den Investitionsschutzstandards und den Schiedsverfahren werfen Zweifel auf die Zukunft des Vertrags auf.

Fazit

Die Entscheidung der Europäischen Union, sich vom Energiechartavertrag (ECT) zurückzuziehen, stellt eine Wendung in ihrer Energiepolitik dar. Damit zielt die EU auf größere Rechtssicherheit im Energiemarkt und möchte ihre Klima- und Energiepolitik eigenständiger formen. Der Ausstieg ist besonders in Anbetracht der über 50 offenen Verfahren gegen Spanien von Belang, die mit Investitionsschutzabkommen zusammenhängen. Die mögliche Belastung durch Schadenersatzzahlungen könnte rund 95 Millionen Euro erreichen.

Des Weiteren könnte die Summe der Entschädigungsforderungen, die auf Basis des ECT erhoben werden, bis zum Jahr 2050 die Marke von 1,3 Billionen Euro überschreiten. Dies unterstreicht die finanziellen Risiken, die mit dem Verbleib im Vertrag verbunden sind. Der Ausstieg mehrerer EU-Länder, darunter das Vereinigte Königreich, Spanien und Portugal, spiegelt den wachsenden Wunsch nach einer souveränen Energiepolitik wider. Diese Staaten streben danach, sich von den Fesseln der Schiedsverfahren zu lösen, die ihre Energiepolitik behindern.

Obwohl das Arbeits- und Wirtschaftsministerium in Österreich diese Schritte unterstützt, kollidieren die damit verbundenen Kosten und Risiken mit den energiepolitischen Zielen der EU. Die EU plant nun, im Herbst 2024 ihre Mitglieder über mögliche Modernisierungen des ECT abstimmen zu lassen. Diese Abstimmung ist entscheidend. Denn ohne grundlegende Reformen würde der ECT weiterhin fossile Brennstoffe begünstigen. Im Zeitraum von 2013 bis 2018 flossen beispielsweise nur 20 Prozent der Investitionen in erneuerbare Energien, während 56 Prozent auf fossile Brennstoffe entfielen.

Der Rückzug aus dem Energiechartavertrag kann daher als essenzieller Schritt gesehen werden. Er fördert die Hinwendung zu erneuerbaren Energien. Dies ist für die Erreichung der EU-Klimaziele unerlässlich.

FAQ

Warum zieht sich die EU aus dem Energiechartavertrag (ECT) zurück?

Die EU-Entscheidung, sich vom ECT zu distanzieren, folgt dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Fall „Komstroy“. Das Gericht fand, dass Schiedsverfahren nach dem ECT im Konflikt mit EU-Recht stehen. Dies veranlasste grundlegende Maßnahmen, um die Unabhängigkeit und übergeordnete Stellung des EU-Rechts zu gewährleisten.

Was ist die Komstroy-Rechtsprechung des EuGH?

Im Urteil des EuGH vom 2. September 2021 zu Komstroy, wurde klargestellt, dass ECT-basierte Investoren-Staat-Schiedsverfahren nicht mit EU-Recht übereinstimmen. Diese Entscheidung bekräftigte die Auffassung, dass solche Verfahren die essenziellen Prinzipien der Autonomie und der primären Geltung von EU-Recht beeinträchtigen.

Wie hat der EuGH in der Vergangenheit zu ähnlichen Fällen geurteilt?

Mit dem Urteil im „Achmea“-Fall 2018 betonte der EuGH, dass Schiedsverfahren in Investitionsschutzabkommen zwischen EU-Mitgliedern unzulässig sind. Die Konsequenz ist eine konsequente Fortführung der Jurisprudenz zum Schutz der Autonomie des EU-Rechts.

Welche Reaktionen gab es von Seiten der EU-Mitgliedstaaten und nationalen Gerichte?

In Reaktion auf die EuGH-Urteile implementierten EU-Mitgliedstaaten und nationale Gerichte entsprechende Anpassungen. Der Bundesgerichtshof beispielsweise bestärkte den Rechtsschutz innerhalb Deutschlands gegen EU-rechtswidrige Schiedsverfahren.

Was bedeutet der Rückzug der EU aus dem ECT für Investoren?

Für Investoren manifestiert der EU-Rückzug aus dem ECT eine neue Risikolage: Die Möglichkeit, Mitgliedstaaten international zu verklagen, entfällt. Dies necessitiert Anpassungen in Investitionsansätzen und vertraglichen Arrangements.

Wie beeinflusst der Rückzug die Energieversorgungssicherheit in der EU?

Indem der EU-Ausstieg aus dem ECT die Verwirklichung von Klimaneutralitätszielen unterstützt und den Schutz fossiler Brennstoffinvestitionen verringert, könnte sich dies positiv auf die Energieversorgungssicherheit auswirken. Diese Entwicklung begünstigt diverse Energiequellen sowie den Ausbau erneuerbarer Energietechnologien.

Welche rechtlichen Konsequenzen hat der Rückzug der EU aus dem ECT?

Rechtlich bedingt der Austritt aus dem ECT, dass Schiedsbeschlüsse innerhalb der EU nicht länger vollstreckbar sind, was Autonomie und Handlungsrahmen der EU-Mitgliedstaaten gegenüber Investoren schützt. Dies mindert das Risiko von Klagen durch private Investoren und sichert EU-Rechtskonformität.

Welche Bedeutung hat der Energiecharta-Vertrag (ECT) ursprünglich?

Ursprünglich zielte der ECT darauf ab, Investitionen im Energiesektor zu fördern, insbesondere in Ländern des ehemaligen Ostblocks. Er ermöglichte es Investoren, Entschädigungsklagen gegen Staaten bei wahrgenommenen Verschlechterungen ihrer Investitionsbedingungen anzustrengen.

Was sind die politischen Gründe für den Rückzug der EU aus dem ECT?

Politische Beweggründe für den EU-Rückzug umfassen das Ziel, die Handlungsfähigkeit und Selbstbestimmung in Energie- und Klimafragen zu stärken. Damit soll verhindert werden, dass Investitionsschutzmechanismen gegen demokratisch getroffene Entscheidungen und klimapolitische Maßnahmen verwendet werden.

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