Das Kindeswohl hat in der deutschen Rechtsordnung einen hohen Stellenwert. Die Identifizierung und Beseitigung von Kindeswohlgefährdung sind daher von großer Bedeutung für den Schutz der Rechte von Kindern und Jugendlichen. In diesem Beitrag werden wir die rechtlichen Fragen rund um die Kindeswohlgefährdung im Detail erörtern, inklusive der verschiedenen Erscheinungsformen, der Erkennung, der Intervention und den rechtlichen Rahmenbedingungen.

Zudem werfen wir einen Blick auf aktuelle Gerichtsentscheidungen und leiten praktische Handlungsempfehlungen ab.

Definition der Kindeswohlgefährdung

Eine Kindeswohlgefährdung ist eine gegenwärtige oder absehbar eingetretene Gefahr, die das körperliche, geistige oder seelische Wohl eines Kindes bzw. Jugendlichen erheblich beeinträchtigt. Dies umfasst sowohl die Vorenthaltung der notwendigen Versorgung durch die Eltern als auch die Ausübung von Gewalt oder Missbrauch gegen das Kind.

Die gesetzliche Definition findet sich in § 1666 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): „Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen durch missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, durch Vernachlässigung des Kindes, durch unverschuldetes Versagen der elterlichen Erziehungskraft oder durch das Verhalten eines Dritten gefährdet, so hat das Familiengericht, wenn die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden, die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen.“

Formen der Kindeswohlgefährdung

Kindeswohlgefährdung kann in verschiedenen Formen auftreten. Dazu zählen:

  • Kindesmisshandlung: Hierbei handelt es sich um physische Gewalt, zum Beispiel Schläge, Tritte oder das Verursachen von Verletzungen mit Schnitt- und Stichwaffen.
  • Emotionale Misshandlung: Diese tritt auf, wenn Kinder systematisch gedemütigt, eingeschüchtert oder zurückgewiesen werden.
  • Sexueller Missbrauch: Dies umfasst sexuelle Handlungen an Kindern, aber auch die Herstellung von kinderpornografischen Schriften (§ 184b StGB).
  • Vernachlässigung: Hierbei liegt eine unterlassene Fürsorge der Eltern vor, beispielsweise durch unzureichende Versorgung mit Nahrung, Kleidung und medizinischer Hilfe.

Erkennung der Kindeswohlgefährdung

Zum Schutz der betroffenen Kinder kommt der frühzeitigen Erkennung von Kindeswohlgefährdung eine große Bedeutung zu. Oft zeigen betroffene Kinder im Alltag Auffälligkeiten, die auf eine mögliche Gefährdung hindeuten können. Dazu gehören unter anderem:

  • Plötzliche Leistungsabfälle in der Schule
  • Auffälligkeiten im Sozialverhalten, wie Rückzug oder Aggressivität
  • Psychische Auffälligkeiten, wie Ängstlichkeit oder Depressionen
  • Verletzungen oder Schmerzen, die nicht durch normale Alltagsereignisse erklärt werden können
  • Offenkundige Vernachlässigung in Bezug auf Hygiene und Versorgung

Angehörige, Lehrer, Erzieher und andere Personen, die in direktem Kontakt mit dem Kind stehen, können durch aufmerksame Beobachtung zur frühzeitigen Erkennung einer Kindeswohlgefährdung beitragen. Wer selbst eine solche Gefährdung vermutet oder darauf aufmerksam gemacht wird, sollte nicht zögern, Unterstützung und Hilfe anzufordern.

Rechtliche Rahmenbedingungen

Die rechtlichen Rahmenbedingungen finden sich im deutschen Recht in verschiedenen Gesetzen und Regelungen, die dem Schutz des Kindeswohls dienen. Dazu zählen insbesondere:

  • Das Grundgesetz (GG): Art. 6 Abs. 1 GG garantiert Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder, während Art. 6 Abs. 2 GG festlegt, dass die staatliche Gemeinschaft bei Gefährdung des Kindeswohls wacht.
  • Strafrecht (StGB): Verschiedene strafrechtliche Normen sanktionieren Misshandlungen von Schutzbefohlenen, sexuellen Missbrauch, Nötigung und andere Verbrechen gegen das Kindeswohl.
  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): § 1666 BGB enthält die Regelungen zur gerichtlichen Intervention bei Gefährdung des Kindeswohls. Weitere Bestimmungen des BGB behandeln das Umgangs- und Sorgerecht sowie die Unterhaltspflicht der Eltern.
  • Sächsisches Gesetz zur Ausführung des Sozialgesetzbuches VIII (SächsAGSGB VIII)
  • Sozialgesetzbuch (SGB) VIII: Das Kinder- und Jugendhilfegesetz enthält Bestimmungen zur Prävention und Intervention bei Kindeswohlgefährdung, zum Beispiel in Form von Beratungsangeboten oder Hilfen zur Erziehung.

Intervention und Hilfsmaßnahmen

Je nach Form der Kindeswohlgefährdung können verschiedene Interventionen und Hilfsmaßnahmen erforderlich sein, um das Kind zu schützen und die Gefährdung abzuwenden. Dabei ist stets das Wohl des Kindes im Vordergrund zu sehen, und es gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – d. h., es sind nur die Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet und notwendig sind, um das Kindeswohl nachhaltig zu sichern.

Einige der möglichen Maßnahmen sind:

  • Beratungsangebote für Eltern und Kinder, zum Beispiel psychosoziale Beratung, Familientherapie oder Elternkurse
  • Hilfen zur Erziehung, wie z. B. Sozialpädagogische Familienhilfe, Ambulante Hilfen oder Erziehungsbeistandschaft
  • Inanspruchnahme von Kinderschutzdiensten und Jugendämtern
  • (Vorläufige) Inobhutnahme des Kindes durch das Jugendamt
  • Familiengerichtliche Maßnahmen, wie z. B. teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge, Umgangsregelung oder Sicherungsmaßnahmen (z. B. Wohnungsverweis oder Rückkehrverbot)
  • Strafrechtliche Verfolgung der Täter

Kooperation zwischen verschiedenen Institutionen

Die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Institutionen, wie Jugendämtern, Schulen, Kindertagesstätten, Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen, medizinischen Einrichtungen sowie der Polizei, ist von zentraler Bedeutung, um Kindeswohlgefährdung frühzeitig zu erkennen und effektiv zu intervenieren. Durch den Austausch von Informationen und Koordination der Interventionen können die beteiligten Akteure gemeinsam eine umfassende Unterstützung und Hilfe für betroffene Kinder sicherstellen.

Die Kooperationsanforderungen zwischen den verschiedenen Institutionen sind in verschiedenen Gesetzen und Vorschriften festgelegt, wie zum Beispiel in § 4 KKG (Bundeskinderschutzgesetz) und in den jeweiligen Landesgesetzen. Zu den Aufgaben der verschiedenen Institutionen zählen unter anderem die gemeinsame Erarbeitung von Interventionsplänen, die Durchführung von Gefährdungseinschätzungen, die Gewährleistung einer kontinuierlichen Hilfe und Beobachtung und das Einleiten von strafrechtlichen Verfahren, wenn erforderlich.

Präventionsarbeit zum Schutz von Kindern

Prävention im Bereich Kindeswohlgefährdung zielt darauf ab, Risikofaktoren, die zu Kindesmisshandlung oder Vernachlässigung führen können, zu minimieren und Schutzfaktoren zu stärken. Präventionsmaßnahmen können sich auf verschiedenen Ebenen abspielen:

  • Primäre Prävention: Hier wird versucht, Kindeswohlgefährdungen auf einer allgemeinen Ebene zu verhindern, bevor sie eintreten. Dazu gehört beispielsweise Aufklärungsarbeit für werdende Eltern, Elterntrainings und Bildungsangebote, die das Verständnis für die Bedürfnisse von Kindern fördern.
  • Sekundäre Prävention: Diese Maßnahmen richten sich an Familien oder Gruppen mit erhöhtem Risiko, um das Eintreten einer Kindeswohlgefährdung zu verhindern. Dazu zählen beispielsweise Frühe-Hilfen-Programme für belastete Familien, Nachsorgeangebote nach der Geburt oder sozialpädagogische Begleitung.
  • Tertiäre Prävention: Hier geht es darum, die negativen Folgen einer bereits eingetretenen Kindeswohlgefährdung zu begrenzen und die Situation der betroffenen Kinder zu verbessern. Dabei stehen ambulante und stationäre Hilfen zur Erziehung, Traumatherapieangebote oder rechtliche Maßnahmen zum Schutz des Kindeswohls im Vordergrund.

Umgang mit Falschbeschuldigungen

Falschbeschuldigungen von Kindeswohlgefährdung können weitreichende negative Auswirkungen auf die Betroffenen haben. Sie führen zu einer unnötigen Belastung für die Familien, für die Mitarbeiter der beteiligten Institutionen und letztendlich auch für die Kinder, insbesondere in Fällen von Trennung und Scheidung, wo mitunter auch strittige Sorgerechtsfragen im Raum stehen.

Der sorgfältige Umgang mit Verdachtsmomenten und die korrekte Einschätzung der Situation sind daher von großer Bedeutung. Alle beteiligten Institutionen müssen sich auf ihre professionelle Fachlichkeit verlassen und objektiv handeln können. Die Implementierung von gesetzlichen Regelungen, die sowohl das Wohl der Kinder schützen als auch die Rechte der Beschuldigten wahren, ist ein fortlaufender Prozess, der.Anpassungen und präzisere Definitionen erfordert.

Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen in Entscheidungsprozesse

Die Partizipation von Kindern und Jugendlichen in Entscheidungsprozessen, die ihr Leben und ihr Wohlergehen betreffen, ist ein zentrales Element der Kinderrechte nach der UN-Kinderrechtskonvention. Auch im Umgang mit Fällen von Kindeswohlgefährdung ist es wichtig, die Perspektive der betroffenen Kinder und Jugendlichen einzubeziehen und ihnen Raum für ihre Stimme zu geben.

Dies kann zum Beispiel durch Einbeziehung von Kinder- und Jugendlichenvertretungen, regelmäßige Befragungen und Rückmeldungen oder die Implementierung von Beschwerdemechanismen erfolgen. Auch bei rechtlichen Entscheidungen zum Schutz des Kindeswohls sollte das Gericht das Prinzip des „Best Interests of the Child“ berücksichtigen und den Kindern und Jugendlichen gegebenenfalls eine rechtliche Vertretung oder einen Verfahrensbeistand zur Verfügung stellen.

Internationale Zusammenarbeit zum Schutz von Kindern

Da Kindeswohlgefährdungen und Kinderrechte nicht an Ländergrenzen haltmachen, spielt auch die internationale Zusammenarbeit in diesem Bereich eine wichtige Rolle. International geltende Übereinkommen, wie die UN-Kinderrechtskonvention, bieten den rechtlichen Rahmen, um den Schutz von Kindern weltweit zu fördern und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Kindeswohlgefährdungen, insbesondere in Fällen von sexuellem Missbrauch, Kinderhandel und -ausbeutung, zu erleichtern.

Aktuelle Gerichtsentscheidungen

Im Folgenden werden einige aktuelle Gerichtsentscheidungen in Deutschland vorgestellt, die sich auf das Thema Kindeswohlgefährdung beziehen:

  1. Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 932/21 vom 09.12.2021: In dieser Entscheidung bestätigte das Bundesverfassungsgericht, dass die Verweigerung einer Impfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 bei gemeinschaftlicher elterlicher Sorge und medizinischer Indikation eine Kindeswohlgefährdung darstellen kann und in diesem Fall familiengerichtliche Maßnahmen nach § 1666 BGB zulässig sind.
  2. Oberlandesgericht Frankfurt am Main, 6 UF 204/19 vom 25.09.2020: Das Gericht entschied, dass ein fortgesetztes Weinen eines Säuglings in Gegenwart beider Eltern ohne erkennbaren Grund einer Kindeswohlgefährdung gleichkommt, wenn keine medizinischen Ursachen festgestellt werden können und die Eltern die Schuldzuweisung zwischen sich aufrechterhalten.
  3. Bundesgerichtshof, XII ZB 364/20 vom 24.02.2021: In dieser Entscheidung befasste sich der BGH mit der Frage, ob die schwerwiegenden Anschuldigungen eines Elternteils gegen den anderen Elternteil wegen sexuellen Missbrauchs des Kindes, welche sich im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens als unwahr herausstellen, eine Kindeswohlgefährdung darstellen und eine Entziehung der elterlichen Sorge nach § 1666 BGB rechtfertigen können.

FAQs

Im Folgenden finden Sie Antworten auf typische Fragen zum Thema Kindeswohlgefährdung:

Was kann ich tun, wenn ich eine Kindeswohlgefährdung vermute?

Verständigen Sie umgehend das zuständige Jugendamt, einen Kinderschutzdienst oder die Polizei. Das Wohl des Kindes hat Priorität und sollte bei Auffälligkeiten und Verdachtsmomenten im Mittelpunkt stehen.

Können auch andere Personen als die Eltern für eine Kindeswohlgefährdung verantwortlich sein?

Ja, auch wenn die Gefahr häufig von den Eltern ausgeht, können auch Dritte, z. B. Lehrer, Betreuer oder andere Familienmitglieder, eine Kindeswohlgefährdung verursachen. Betroffene Kinder sollten jedoch darauf hingewiesen werden, dass sie sich bei Problemen an eine vertrauenswürdige Person wenden können.

Bin ich als Lehrer oder Erzieher dazu verpflichtet, bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung aktiv zu werden?

Ja, nach § 8a SGB VIII sind Fachkräfte, die in der Kinder- und Jugendhilfe tätig sind, verpflichtet, bei Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung aktiv zu werden und die notwendigen Schritte zur Abwendung der Gefahr einzuleiten.

Was passiert, wenn Eltern sich nicht an gerichtliche Anordnungen zum Schutz des Kindeswohls halten?

Wenn Eltern gerichtliche Anordnungen zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung nicht befolgen, kann das Jugendamt die Durchsetzung der Maßnahmen erzwingen, z. B. durch Inobhutnahme des Kindes, die Entziehung der elterlichen Sorge oder die Anwendung von Zwangsmitteln (z. B. Zwangsgeld oder Zwangshaft).

Wirksame Maßnahmen zum Schutz von Kindern vor Kindeswohlgefährdung

Die Identifizierung und Intervention bei Kindeswohlgefährdung sind komplexe und gleichzeitig äußerst wichtige Themen, sowohl in rechtlicher als auch in sozialer Hinsicht. Der Schutz des Kindeswohls erfordert die effektive Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Institutionen, die frühzeitige Erkennung von Anzeichen einer Gefährdung und den Einsatz angemessener Maßnahmen zur Prävention und Intervention.

Insgesamt ist es entscheidend, das Wohl der betroffenen Kinder stets in den Vordergrund zu stellen und sich auf die Stärkung ihrer Rechte und Bedürfnisse zu konzentrieren. Dies umfasst die Schaffung von bewussten und kompetenten Gemeinschaften, die Förderung der internationalen Zusammenarbeit und die fortlaufende Anpassung von Gesetzen und Vorschriften, um Kinder effektiv vor Gefährdungen zu schützen und ihnen die bestmöglichen Lebensverhältnisse zu bieten.

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