Immer häufiger führt das Überbaurecht zu Kontroversen zwischen Nachbarn. Wenn Häuser dicht aneinander gebaut sind, besteht stets die Gefahr, dass Teile des Bauwerks auf das Grundstück des Nachbarn überragen. Solche Bauarbeiten sorgen oft für Streitigkeiten, die ohne juristische Hilfe schwer beizulegen sind. In diesem Blog werfen wir einen detaillierten Blick auf das Überbaurecht und erläutern, welche gesetzlichen Bestimmungen gelten, welche Rechte und Pflichten Grundstückseigentümer haben und wie Konflikte vermieden oder gelöst werden können.

Grundlagen des Überbaurechts

Das Überbaurecht ist in den §§ 912 bis 917 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§§ BGB) geregelt. Diese Bestimmungen klären, was geschieht, wenn ein Bauwerk über die Grundstücksgrenze hinausragt und damit den Boden eines anderen Grundstücks nutzt.

Dabei liegt ein Überbau vor, wenn der Bauherr eines Gebäudes oder eines Bauwerks mit einem Teil über die Grenze zum Nachbargrundstück hinausgeht. Das Überbaurecht dient dazu, Konflikte in solchen Fällen zu entschärfen und für Rechtsklarheit zu sorgen, um den Frieden zwischen den Grundstückseigentümern so weit wie möglich aufrechtzuerhalten.

Was ist ein Überbau?

Ein Überbau entsteht, wenn Teile eines Gebäudes oder Bauwerks über die Grundstücksgrenze hinaus auf das Nachbargrundstück ragen. Dies kann beispielsweise folgende Formen annehmen:

  • Dachvorsprünge
  • Balkone
  • Außentreppen
  • Unterkellerungen
  • Fassadenelemente

Im rechtlichen Sinne bezieht sich ein Überbau dabei nicht auf portable oder leicht entfernbare Konstruktionen wie Zäune oder Markisen, sondern auf feste Bestandteile eines Gebäudes.

Rechtsfolgen eines Überbaus

Handelt es sich um einen Überbau, stellt sich die Frage, welche Rechtsfolgen dies nach sich zieht. Hier differenziert das Gesetz zwischen gutgläubigem und bösgläubigem Überbau.

Der gutgläubige Überbau

Der gutgläubige Überbau liegt vor, wenn der Bauherr weder wusste noch wissen konnte, dass er über die Grenze gebaut hat (§ 912 BGB). In diesem Fall gilt Folgendes:

  • Der Eigentümer des betroffenen Grundstücks kann keine Entfernung des Überbaus verlangen.
  • Der Eigentümer des betroffenen Grundstücks hat jedoch einen Anspruch auf eine angemessene Geldrente für die Nutzung des Grundstücksanteils.

Der Gesetzgeber hat hiermit einen pragmatischen Weg gewählt, um den Abriss von Gebäudeteilen zu verhindern und stattdessen eine finanziell kompensatorische Lösung zu ermöglichen.

Der bösgläubige Überbau

Im Gegensatz dazu besteht beim bösgläubigen Überbau, das heißt, wenn der Bauherr wusste oder zumindest hätte wissen müssen, dass er über die Grenze baut, ein Beseitigungsanspruch für den Grundeigentümer (§ 1004 BGB).

  • Der betroffene Grundstückseigentümer kann darauf bestehen, dass der Überbau entfernt wird.
  • Zusätzlich können Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden, falls durch den Überbau Schäden entstanden sind.

Diese strengeren Regelungen sollen sicherstellen, dass eine willkürliche Überschreitung der Grundstücksgrenzen nicht belohnt wird.

Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch (§§ 906 ff. BGB)

Wenn der Überbau zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des betroffenen Grundstücks führt, beispielsweise durch Schattenwurf oder Regenwasserableitungen, können hieraus nachbarrechtliche Ausgleichsansprüche entstehen (§ 906 ff. BGB). Hierbei wird im Einzelfall geprüft, ob die Beeinträchtigung eine solche Intensität erreicht, dass eine Kompensation erforderlich ist.

Beispielhafte Rechtsprechung

In der Praxis führen Überbaustreitigkeiten oft zu gerichtlichen Auseinandersetzungen. Ein anschauliches Beispiel aus der Rechtsprechung ist der Fall eines Carports, der zu nah an der Grundstücksgrenze errichtet wurde und dessen Dachüberstand auf das Nachbargrundstück ragte. Hier entschied das Gericht zugunsten des betroffenen Eigentümers, der die Entfernung des Dachüberstands verlangen konnte, da der Bauherr grob fahrlässig gehandelt hatte.

  • Az.: 5 C 1483/17
  • Urteil vom 15.05.2018
  • Bayerisches Oberstes Landesgericht
  • Tenor: Der Überbau ist zu entfernen und durch den Bauherrn ist Schadensersatz für die Beeinträchtigung zu leisten.

Solche Urteile verdeutlichen die Bedeutung präziser Bauplanung und sorgfältiger Grenzprüfung vor Beginn der Bauarbeiten.

Präventionsmaßnahmen zum Schutz vor Überbau

Schon im Vorfeld eines Bauvorhabens können Schritte unternommen werden, um sicherzustellen, dass kein Überbau eintritt. Hier sind einige entscheidende Maßnahmen, die Bauherren und Grundstückseigentümer ergreifen können:

Grundstücksvermessung

Die genaue Vermessung des Grundstücks durch einen qualifizierten Vermesser ist essenziell, um die genauen Grenzen zu kennen. Nur so kann sichergestellt werden, dass alle baulichen Maßnahmen innerhalb der Grenzen erfolgen.

  • Beauftragung eines amtlich anerkannten Vermessungsingenieurs.
  • Klärung von Grenzverläufen mittels Grenznachweis.
  • Gegebenenfalls Einbeziehung des örtlichen Katasteramts.

Bauplanung und Bauüberwachung

Bei der Planung und während der Bauphase sollte stets die Grundstücksgrenze im Auge behalten werden:

  • Exakte und regelmäßige Kontrolle der Baugrenzen während der Bauarbeiten.
  • Engagieren eines Bauleiters, der die Einhaltung der Planungen überwacht.
  • Regelmäßiger Abgleich der Baupläne mit den tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort.

Einholung von Baugenehmigungen

Ganz gleich, ob ein kleines oder großes Bauvorhaben geplant ist, die Einholung einer Baugenehmigung von der zuständigen Behörde ist obligatorisch:

  • Einreichung der Baupläne zur Genehmigung bei der Baudirektion.
  • Einholung etwaiger nötiger Zustimmungserklärungen von Nachbarn.
  • Beachtung von Abstandsflächen und sonstigen baurechtlichen Vorgaben.

Durch diese Maßnahmen kann das Risiko eines Überbaus erheblich verringert werden.

Intervention und Konfliktlösungsmechanismen im Überbaurecht

Wenn ein Überbau bereits eingetreten ist oder ein solcher bevorsteht, können diverse Interventions- und Konfliktlösungsmechanismen in Betracht gezogen werden:

Direkte Nachbarschaftsgespräche

Ein direktes Gespräch mit dem Nachbarn kann oft dazu beitragen, eine gütliche Einigung zu finden. Hier können beispielsweise Kompensationen oder Nachbesserungen vereinbart werden:

  • Konstruktive Kommunikationsansätze und Mediationsverfahren.
  • Vertragsgestaltungen zur Regelung der Nutzung des Überbaues.
  • Vergleichsvereinbarungen, um gerichtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden.

Mediation

Die Hinzuziehung eines neutralen Mediators kann helfen, den Konflikt außergerichtlich beizulegen und eine für beide Seiten faire Lösung zu finden:

  • Mediation als alternative Streitbeilegung.
  • Schaffung einer Win-Win-Situation durch beidseitige Interessenberücksichtigung.
  • Vermeidung von langwierigen und kostspieligen Gerichtsverfahren.

Gerichtliche Auseinandersetzung

Wenn keine außergerichtliche Einigung erzielt werden kann, bleibt oft nur der Gang vor Gericht. Hierbei sollte stets eine juristische Vertretung in Anspruch genommen werden, um die eigenen Interessen bestmöglich zu verteidigen:

  • Einreichung einer Klage gemäß §§ 912 BGB und 1004 BGB.
  • Darlegung und Beweisführung bezüglich des Überbaus und seiner Rechtsfolgen.
  • Vertretung der eigenen Ansprüche durch fachkundige anwaltliche Vertretung.

Sinn und Zweck des Überbaurechts

Der hohe Stellenwert, den das Überbaurecht im deutschen Gesetzeswerk genießt, hat seinen Grund: Es dient in erster Linie dem Schutz des Eigentums und dem Ausgleich gegenseitiger Interessen. Hier die wichtigsten Zwecke im Überblick:

  • Vermeidung von Grenzstreitigkeiten: Durch klare Regelungen werden Konflikte vorgebeugt.
  • Klarheit und Rechtssicherheit: Grundstückseigentümer wissen über ihre Rechte und Pflichten Bescheid.
  • Ausgleichsgedanke: Es werden pragmatische Lösungen wie die Zahlung einer Geldrente statt umfangreicher Bauarbeiten bevorzugt.
  • Schutz des Eigentums: Ein starkes Instrumentarium, um das eigene Grundstück gegen unbefugte Überbauung zu verteidigen.

Praxisbeispiele eines Überbaus

Um die Praxisrelevanz des Überbaurechts zu verdeutlichen, sollen im Folgenden einige konkrete Beispiele geschildert werden:

Beispiel 1: Der fehlerhafte Wintergarten

Ein Grundstückseigentümer baut einen Wintergarten an sein Haus an, ohne die genaue Grundstücksgrenze zu prüfen. Ein Jahr später merkt der Nachbar, dass das Fundament des Wintergartens etwa 30 cm auf sein Grundstück ragt. Da der Bauherr gutgläubig handelte, kommt hier § 912 BGB zur Anwendung, und der betroffene Nachbar hat Anspruch auf eine jährliche Geldrente.

Beispiel 2: Illegale Terrassenverlängerung

Ein anderer Fall betrifft die Erweiterung einer Terrasse, die bewusst und in Kenntnis der Grundstücksgrenzen erfolgte. Der überbaute Teil der Terrasse ragt gut einen Meter auf das Nachbargrundstück und beeinträchtigt die Nutzung des benachbarten Gartens maßgeblich. Der Nachbar erwirkt eine gerichtliche Verfügung zur Entfernung der überbauten Teile gemäß § 1004 BGB, da der Bauherr bösgläubig gehandelt hat.

Checkliste zum Schutz vor und Umgang mit Überbau

Abschließend hilft eine Checkliste dabei, das Thema Überbau umfassend zu verstehen und sicherzustellen, dass Sie bei Ihrem nächsten Bauvorhaben nichts aus den Augen verlieren:

Vor dem Bau

  • Beauftragung einer Grundstücksvermessung durch einen amtlichen Vermesser.
  • Prüfung von Grenzverläufen und Einholung eines Grenznachweises.
  • Kontrolle der Grundstücksgrenzen vor Beginn der Bauarbeiten.
  • Einholung aller notwendigen Baugenehmigungen und Abgleich mit örtlichem Baurecht.
  • Rücksprache mit Nachbarn bei geplantem Grenzbebauung.

Während des Baus

  • Regelmäßige Kontrolle der Baugrenzen durch einen Bauleiter.
  • Einhalten der genehmigten Baupläne und Berücksichtigung von Grenzabständen.
  • Dokumentation der Bauphasen, insbesondere in Grenznähe.
  • Aktives Eingreifen bei Abweichungen von genehmigten Plänen.

Nach dem Bau

  • Überprüfung der fertigen Bauausführung auf Einhaltung der Grundstücksgrenzen.
  • Ansprechen eventueller Unklarheiten oder Einsprüche mit dem Nachbarn.
  • Regelungklarer Vereinbarungen im Falle eines gutgläubigen Überbaus.

Durch das Befolgen dieser Checkliste können unnötige Konflikte mit den Nachbarn vermieden werden, und Sie haben die Gewissheit, dass Ihr Bauvorhaben rechtssicher und in Übereinstimmung mit den geltenden Vorschriften durchgeführt wird.

Das Überbaurecht ist ein komplexes Gebiet, das weitreichende Konsequenzen für alle Beteiligten haben kann. Daher ist es wichtig, sich gründlich zu informieren, alle relevanten gesetzlichen Bestimmungen zu berücksichtigen und bei Bedarf rechtlichen Beistand zu suchen. So können nicht nur Streitigkeiten vermieden, sondern auch langfristig gute Nachbarschaftsbeziehungen gepflegt werden.

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