AU-Bescheinigung am ersten Tag verlangen? Ihre Rechte erklärt

AU-Bescheinigung am ersten Tag verlangen: Die Frage, ob Arbeitgeber die Vorlage einer AU-Bescheinigung am ersten Tag der Krankmeldung verlangen können, führt immer wieder zu Unklarheiten und Missverständnissen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Diese Fragestellung ist nicht nur rechtlich, sondern auch ethisch und medizinisch zu betrachten.

In diesem Blog-Beitrag möchten wir Ihnen als Rechtsanwaltskanzlei einen umfassenden Einblick in die rechtlichen Rahmenbedingungen geben, Ihre Rechte und Pflichten als Arbeitnehmer und Arbeitgeber aufzeigen und durch Praxisbeispiele, Checklisten sowie FAQs einen praktischen Leitfaden bieten.

Inhaltsverzeichnis:

  1. Rechtliche Grundlagen und Rahmenbedingungen
  2. Arbeitnehmerrechte und -pflichten bei Krankmeldung
  3. Arbeitgeberrechte und -pflichten bei Krankmeldung
  4. Ausnahmeregelungen und Besonderheiten
  5. Anonymisierte Mandantengeschichten und Praxisbeispiele
  6. Checklisten für Arbeitnehmer und Arbeitgeber
  7. Rechtliche Konsequenzen bei Fehlverhalten
  8. FAQs zur AU-Bescheinigung am ersten Tag

Rechtliche Grundlagen und Rahmenbedingungen

Um die Frage, ob eine AU-Bescheinigung am ersten Tag der Krankmeldung verlangt werden kann, rechtlich zu beurteilen, müssen wir uns die gesetzlichen Regelungen in Deutschland genauer ansehen. Die maßgeblichen Vorschriften finden sich insbesondere im Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG) sowie im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB).

Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG)

Die zentrale Regelung zur AU-Bescheinigung findet sich in § 5 Abs. 1 EntgFG. Diese lautet:

„(1) Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, hat der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens am darauffolgenden Arbeitstag vorzulegen.“

Daraus ergibt sich grundsätzlich, dass die Vorlage der AU-Bescheinigung erst nach dem dritten Kalendertag der Arbeitsunfähigkeit erforderlich ist. Allerdings enthält das Gesetz auch die Möglichkeit für Arbeitgeber, eine solche Bescheinigung früher zu verlangen.

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

Des Weiteren ist im BGB eine Regelung zur Treuepflicht des Arbeitnehmers zu finden, die ebenfalls relevant für die Frage ist. § 616 BGB besagt:

„Der zur Dienstleistung Verpflichtete hat das Recht, für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit die Dienstleistung zu verweigern, wenn er durch Krankheit oder einen in seiner Person liegenden sonstigen Grund ohne sein Verschulden verhindert wird.“

Aus dieser Regelung ergibt sich die Pflicht des Arbeitnehmers zur Treue und Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber. Dies kann in bestimmten Fällen dazu führen, dass der Arbeitnehmer seiner Pflicht, die AU-Bescheinigung am ersten Tag vorzulegen, nachkommen muss.

Arbeitnehmerrechte und -pflichten bei Krankmeldung

Im Rahmen der Krankmeldung ist der Arbeitnehmer zu verschiedenen Handlungen verpflichtet:

  • Er muss seine Arbeitsunfähigkeit unverzüglich dem Arbeitgeber mitteilen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EntgFG).
  • Die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit ist ebenfalls unverzüglich mitzuteilen.
  • Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, eine AU-Bescheinigung (ärztliches Attest) vorzulegen, wenn die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage andauert. Die Vorlage muss spätestens am darauffolgenden Arbeitstag erfolgen (§ 5 Abs. 1 Satz 2 EntgFG).

Als Arbeitnehmer haben Sie jedoch auch gewisse Rechte im Zusammenhang mit der Krankmeldung:

  • Sie haben das Recht auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für bis zu sechs Wochen (§ 3 Abs. 1 EntgFG).
  • Sie sind nicht verpflichtet, dem Arbeitgeber eine Diagnose oder medizinische Details zu Ihrer Krankheit mitzuteilen.
  • Die Vorlage einer AU-Bescheinigung am ersten Tag kann nur in Ausnahmefällen vom Arbeitgeber verlangt werden.

Arbeitgeberrechte und -pflichten bei Krankmeldung

Auch für Arbeitgeber ergeben sich aus der Gesetzgebung einige Rechte und Pflichten bei Krankmeldungen:

  • Der Arbeitgeber hat das Recht, unverzüglich über die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer informiert zu werden (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EntgFG).
  • Er hat das Recht, eine AU-Bescheinigung vom Arbeitnehmer zu verlangen, wenn die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage dauert (§ 5 Abs. 1 Satz 2 EntgFG).
  • In besonderen Fällen kann der Arbeitgeber die Vorlage einer AU-Bescheinigung bereits am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit verlangen.

Die Pflichten des Arbeitgebers beziehen sich vor allem auf die Entgeltfortzahlung:

  • Der Arbeitgeber ist verpflichtet, im Krankheitsfall das Entgelt des Arbeitnehmers für bis zu sechs Wochen weiterzuzahlen (§ 3 Abs. 1 EntgFG).

Ausnahmeregelungen und Besonderheiten

Obwohl das Entgeltfortzahlungsgesetz die Vorlage einer AU-Bescheinigung am ersten Tag grundsätzlich nicht vorsieht, gibt es Ausnahmefälle und besondere Umstände, in denen der Arbeitgeber diese trotzdem verlangen kann. Diese können beispielsweise sein:

  • Verdacht auf wiederholtes „Blaumachen“ des Arbeitnehmers;
  • Arbeitsunfähigkeit am ersten oder letzten Tag eines Urlaubs;
  • Besondere betriebliche Erfordernisse, die eine schnellere Entscheidungsgrundlage erfordern;
  • Oder wenn in einem Arbeits- oder Tarifvertrag eine solche Regelung getroffen ist.

Anonymisierte Mandantengeschichten und Praxisbeispiele

Im Folgenden möchten wir Ihnen einige anonymisierte Mandantengeschichten und Praxisbeispiele vorstellen, die Ihnen einen Einblick dafür geben, wie die Frage der AU-Bescheinigung am ersten Tag in der Praxis gehandhabt wird.

Fall 1: Arbeitnehmer mit häufigen Kurzerkrankungen

Herr A ist seit zwei Jahren in einem Unternehmen beschäftigt und fällt durch häufige Kurzerkrankungen auf, die meist nur ein oder zwei Tage dauern. Der Arbeitgeber hat zunehmend den Verdacht, dass Herr A diese Kurzerkrankungen nutzt, um lange Wochenenden zu haben oder Termine wahrzunehmen, ohne Urlaub zu nehmen.

In dieser Situation ist es für den Arbeitgeber nachvollziehbar und rechtlich zulässig, von Herrn A die Vorlage einer AU-Bescheinigung am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit zu verlangen.

Fall 2: Krankmeldung am ersten Tag eines Urlaubs

Frau B hat sich für zwei Wochen Urlaub eingetragen. Am ersten Tag ihres Urlaubs meldet sie sich krank, ohne konkrete Angaben zur Art ihrer Erkrankung oder deren voraussichtlichen Dauer zu machen. Aufgrund dieser Umstände möchte der Arbeitgeber sicherstellen, dass der Urlaubsanspruch von Frau B aufgrund ihrer Krankmeldung nicht wieder aufgeladen wird.

In diesem Fall kann der Arbeitgeber ebenfalls die Vorlage einer AU-Bescheinigung am ersten Tag der Krankmeldung verlangen, um eine schnelle Klärung der Situation zu erreichen und die Urlaubsplanung anpassen zu können.

Fall 3: Betriebliche Erfordernisse

Herr C arbeitet in einem kleinen Betrieb mit nur wenigen Mitarbeitern. Sein Fehlen hat starke Auswirkungen auf die Arbeitsabläufe und kann dazu führen, dass wichtige Aufträge nicht rechtzeitig erfüllt werden. Da die Unternehmensleitung hier schnell reagieren und gegebenenfalls einen Ersatz organisieren muss, verlangt sie bereits am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit die Vorlage einer AU-Bescheinigung.

Auch hier kann eine solche Regelung als vertretbar angesehen werden, da die betrieblichen Erfordernisse eine schnelle Entscheidungsgrundlage erforderlich machen.

Checkliste für Arbeitgeber

  • Überprüfen Sie, ob in Arbeits- oder Tarifverträgen Regelungen getroffen wurden, die das Verlangen einer AU-Bescheinigung am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit erleichtern.
  • Sicherstellung, dass das Fehlen einer AU-Bescheinigung bei Kurzerkrankungen nicht dazu führt, dass der Arbeitnehmer unzulässig negativ benachteiligt wird.
  • Bleiben Sie in engem Kontakt mit dem Arbeitnehmer und hole bei Unklarheiten schnell Informationen ein, um etwaige Missverständnisse zu klären.
  • Seie n Sich sich der gesetzlichen Grundlagen bewusst und nutzen Sie Ihr Recht auf Vorlage einer AU-Bescheinigung am ersten Tag nur in begründeten Ausnahmefällen.

Rechtliche Konsequenzen bei Fehlverhalten

Die Nichteinhaltung der gesetzlichen Regelungen und arbeitsrechtlichen Pflichten im Zusammenhang mit Krankmeldungen und der Vorlage von AU-Bescheinigungen können für Arbeitnehmer und Arbeitgeber rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen:

Für Arbeitnehmer

  • Bei Weigerung, einer berechtigten Aufforderung zur Vorlage einer AU-Bescheinigung nachzukommen, kann dies eine Abmahnung und im Wiederholungsfall sogar eine verhaltensbedingte Kündigung zur Folge haben.
  • Wenn ein Arbeitnehmer trotz Arbeitsunfähigkeit ohne triftigen Grund keine AU-Bescheinigung vorlegt, können Entgeltfortzahlungsansprüche gekürzt oder entfallen.
  • Ein wiederholtes unentschuldigtes Fehlen vom Arbeitsplatz kann zu einer Kündigung führen.

Für Arbeitgeber

  • Bei ungerechtfertigtem Verlangen einer AU-Bescheinigung am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit kann dies einen Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers darstellen und Schadensersatzforderungen zur Folge haben.
  • Ein Arbeitgeber, der trotz gesetzlicher Pflicht keine Entgeltfortzahlung leistet, kann zu Nachzahlungen verpflichtet werden.
  • Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot können zu Schadensersatzforderungen und Reputationsschädigungen führen.

FAQs zur AU-Bescheinigung am ersten Tag aus Arbeitgebersicht

1. Kann ich als Arbeitgeber die Vorlage einer AU-Bescheinigung am ersten Tag generell verlangen?

Grundsätzlich sieht das Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG) eine Pflicht zur Vorlage einer AU-Bescheinigung erst nach dem dritten Kalendertag der Arbeitsunfähigkeit vor. In besonderen Fällen und unter bestimmten Voraussetzungen können Sie jedoch als Arbeitgeber die Vorlage einer AU-Bescheinigung bereits am ersten Tag verlangen. Zum Beispiel bei wiederholten Kurzerkrankungen, Arbeitsunfähigkeit während des Urlaubs oder wenn eine entsprechende Regelung im Arbeits- oder Tarifvertrag besteht.

2. Was muss ich als Arbeitgeber beachten, wenn ein Arbeitnehmer sich krankmeldet?

Als Arbeitgeber müssen Sie zunächst über die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer informiert werden. Wichtig ist, dass Sie die gesetzlich vorgeschriebene Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall einhalten, die für bis zu sechs Wochen gewährt wird. Sollte die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage dauern, haben Sie das Recht, vom Arbeitnehmer eine AU-Bescheinigung zu verlangen.

3. Wie kann ich als Arbeitgeber auf wiederholtes „Blaumachen“ eines Arbeitnehmers reagieren?

Bei einem begründeten Verdacht auf wiederholtes „Blaumachen“ können Sie als Arbeitgeber die Vorlage einer AU-Bescheinigung bereits ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit verlangen. Erst nach mehrfacher und nachweislicher Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten ist eine verhaltensbedingte Kündigung des Arbeitnehmers möglich. Jedoch ist die Beweisführung in solchen Fällen oft schwierig. Daher ist es ratsam, sich juristischen Rat einzuholen und den Sachverhalt sorgfältig zu dokumentieren.

4. Was passiert, wenn ein Arbeitnehmer keine AU-Bescheinigung vorlegt oder den Anforderungen nicht nachkommt?

Sollte ein Arbeitnehmer die AU-Bescheinigung nicht innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Fristen oder auf Verlangen seitens des Arbeitgebers nicht vorlegen, kann dies zu einer Verweigerung der Entgeltfortzahlung führen. Passiert dies wiederholt, könnten arbeitsrechtliche Konsequenzen, wie Abmahnungen oder sogar Kündigungen, folgen. Es ist wichtig, auf entsprechende rechtliche Beratung zurückzugreifen und alle Schritte sorgfältig zu dokumentieren.

5. Darf ich als Arbeitgeber Informationen über die Diagnose oder die Krankheit des Arbeitnehmers erfragen?

Nein, als Arbeitgeber haben Sie grundsätzlich kein Recht, Informationen über die Diagnose oder die medizinischen Details der Krankheit des Arbeitnehmers zu erfragen. Arbeitnehmer sind lediglich zur Vorlage einer AU-Bescheinigung verpflichtet, welche die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer bestätigt, ohne weitere medizinische Details preiszugeben.

6. Können Betriebsärzte die AU-Bescheinigung am ersten Tag überprüfen oder verlangen?

Betriebsärzte können im Allgemeinen keine AU-Bescheinigung am ersten Tag verlangen oder überprüfen. Ihr Aufgabenbereich liegt in erster Linie in der betriebsärztlichen Betreuung, insbesondere in der Präventivmedizin und der Beratung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei Gesundheitsfragen. Eine Begutachtung im Rahmen von Arbeitsunfähigkeiten ist daher nicht Aufgabe des Betriebsarztes. In Ausnahmefällen, wie etwa im Verdachtsfall von „Blaumachen“, können Arbeitgeber jedoch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen oder externe Gutachter beauftragen, um die Arbeitsunfähigkeit zu überprüfen.

Sollten Sie weitere Fragen zu diesem Thema haben oder in einer konkreten Situation rechtlichen Beistand benötigen, steht Ihnen unsere Rechtsanwaltskanzlei gerne zur Verfügung.

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