Das Beweisverwertungsverbot ist ein zentrales Element im deutschen Strafprozessrecht und dient dem Schutz der Verfahrensrechte der Beschuldigten. Das Verbot betrifft die Zulässigkeit bestimmter Beweismittel in einem gerichtlichen Verfahren, insbesondere wenn diese auf rechtswidrige Weise erlangt wurden.

In diesem umfangreichen Beitrag wollen wir Ihnen die rechtlichen Grundlagen des Beweisverwertungsverbots näherbringen, praktische Anwendungsbeispiele aufzeigen und aktuelle Gerichtsurteile beleuchten.

Inhaltsverzeichnis

  1. Theoretische Grundlagen des Beweisverwertungsverbots
  2. Arten des Beweisverwertungsverbots und ihre rechtlichen Grundlagen
  3. Praktische Anwendung und Grenzen des Beweisverwertungsverbots
  4. Aktuelle Gerichtsurteile und ihre Bedeutung für das Beweisverwertungsverbot
  5. FAQ zum Beweisverwertungsverbot – häufig gestellte Fragen und Antworten
  6. Faire Verfahren und mehr Schutz für Betroffene: das Beweisverwertungsverbot

Theoretische Grundlagen des Beweisverwertungsverbots

Das Beweisverwertungsverbot hindert die Verwertung rechtswidrig erlangter Beweismittel in einem Strafverfahren. Es dient dem Schutz der Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten sowie der allgemeinen Fairness des Verfahrens. Das Beweisverwertungsverbot ist kein ausdrücklich gesetzlich festgeschriebener Grundsatz, sondern ergibt sich aus der Verfassung, den allgemeinen Verfahrensgarantien sowie aus der Strafprozessordnung (StPO).

Zentrale Grundlage des Beweisverwertungsverbots ist der Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“ – also „niemand ist verpflichtet, sich selbst zu belasten“. Dieser Grundsatz entspringt dem Rechtsstaatsprinzip und ist eine unabdingbare Voraussetzung für ein faires Strafverfahren. In der Rechtsprechung und in der rechtswissenschaftlichen Literatur wird das Beweisverwertungsverbot daher auch als zentrales Element des rechtsstaatlichen Strafverfahrens angesehen.

Verfassungsrechtliche Grundlagen

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die Grundlagen des Beweisverwertungsverbots aus den Grundrechten hergeleitet, insbesondere aus Art. 1 Abs. 1 GG (Menschenwürde), Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeines Persönlichkeitsrecht) und Art. 20 Abs. 3 GG (Rechtsstaatsprinzip). Das BVerfG hat dabei entschieden, dass ein Beweisverwertungsverbot nicht nur dann besteht, wenn Grundrechte des Betroffenen verletzt wurden, sondern auch bei schwerwiegenden Verstößen gegen das rechtsstaatliche Fairnessgebot.

Die Strafprozessordnung (StPO) als weitere Grundlage

Auch wenn das Beweisverwertungsverbot nicht ausdrücklich in der StPO geregelt ist, ergeben sich aus ihr dennoch grundlegende Vorgaben für den Umgang mit rechtswidrig erlangten Beweismitteln. So sind beispielsweise in § 136a StPO Vernehmungsverbote und in § 81c Abs. 2 StPO Beschränkungen bei der Durchführung von Blutproben vorgesehen. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber in einzelnen Spezialgesetzen – etwa im Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) oder im Telekommunikationsgesetz (TKG) – Regelungen zur Zulässigkeit von Beweisen getroffen.

Arten des Beweisverwertungsverbots und ihre rechtlichen Grundlagen

In der Rechtsprechung und der rechtswissenschaftlichen Literatur werden verschiedene Arten des Beweisverwertungsverbots unterschieden:

  • Absolute Beweisverwertungsverbote
  • Relative Beweisverwertungsverbote
  • Analoge Beweisverwertungsverbote

Absolute Beweisverwertungsverbote

Absolute Beweisverwertungsverbote schließen die Verwertung bestimmter Beweismittel grundsätzlich aus. Sie gelten unabhängig von der Schwere der Tat oder den Interessen des Verfahrens. Absolute Beweisverwertungsverbote können aus der Verfassung, aus der StPO oder aus Spezialgesetzen abgeleitet werden.

Beispiele für absolute Beweisverwertungsverbote sind:

  • Verwertungsverbot von Foltererkenntnissen (Art.1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 EMRK)
  • Verwertungsverbot bei Verstoß gegen das Vernehmungsverbot (§ 136a StPO)
  • Verwertungsverbot bei rechtswidriger Telefonüberwachung (§ 100a Abs. 1 TKG)

Relative Beweisverwertungsverbote

Relative Beweisverwertungsverbote knüpfen an die Verletzung weniger schutzwürdiger Rechtsgüter und Rechtsnormen an. Bei ihnen steht das Interesse des Rechtsstaates an der Aufklärung der Wahrheit einem grundrechtlichen Schutzinteresse gegenüber, das eine Abwägung im Einzelfall erfordert. Entscheidend für das Vorliegen eines relativen Beweisverwertungsverbots ist die Schwere des Verfahrensfehlers im Verhältnis zu den Interessen an einer Strafverfolgung.

Beispiele für relative Beweisverwertungsverbote sind:

  • Verwertungsverbot bei rechtswidriger Durchsuchung (§ 102 StPO)
  • Verwertungsverbot bei rechtswidriger Entnahme einer Blutprobe (§ 81c StPO)
  • Verwertungsverbot bei rechtswidriger Observation (§ 163f StPO)

Analoge Beweisverwertungsverbote

Analoge Beweisverwertungsverbote kommen schließlich in Betracht, wenn die Rechtsordnung keine ausdrücklichen Verbote für bestimmte Sachverhalte vorsieht, aber eine sinngemäße Anwendung aufgrund vergleichbarer Interessenlage gerechtfertigt ist. Ein konkretes Beispiel ist das Verwertungsverbot bei der rechtswidrigen Aufzeichnung privater Gespräche, das aus dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts abgeleitet wird.

Praktische Anwendung und Grenzen des Beweisverwertungsverbots

Das Beweisverwertungsverbot ist in der Praxis von großer Bedeutung. Es gilt sowohl für richterliche Entscheidungen als auch für die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft und der Polizei bei der Strafverfolgung.

Die Auswirkungen des Beweisverwertungsverbots reichen von einer eingeschränkten Verwertung einzelner Beweismittel bis hin zur Unverwertbarkeit der gesamten Beweisaufnahme. Im Extremfall kann dies zu einem Freispruch des Angeklagten führen, obwohl sich die Tatvorwürfe faktisch bestätigt haben.

Die Grenzen des Beweisverwertungsverbots ergeben sich insbesondere aus der Abwägung zwischen dem Schutzinteresse des Betroffenen und dem Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen Strafverfolgung. Auch im Rahmen des relativen Beweisverwertungsverbots kann eine Beweisverwertung im Einzelfall zulässig sein, wenn das Interesse an der Aufklärung der Wahrheit gegenüber dem Schutz des Betroffenen überwiegt.

Praktische Anwendungsbeispiele

Hier sind einige praktische Beispiele zum Beweisverwertungsverbot:

    1. Ein Angeklagter gesteht im Polizeiverhör unter massivem Druck durch die vernehmenden Beamten. In diesem Fall würde ein absolutes Beweisverwertungsverbot wegen Verstoßes gegen das Vernehmungsverbot aus § 136a StPO greifen, sodass das Geständnis unverwertbar wäre.
    2. Die Polizei durchsucht rechtswidrig eine Wohnung und findet in dieser belastendes Beweismaterial für eine Straftat. Hier liegt ein relatives Beweisverwertungsverbot vor, sodass im Rahmen einer Abwägung entschieden werden muss, ob dieses Beweismittel verwertet werden darf oder nicht.

Aktuelle Gerichtsurteile und ihre Bedeutung für das Beweisverwertungsverbot

Im Folgenden werden einige aktuelle Gerichtsurteile vorgestellt, die das Beweisverwertungsverbot und seine Grenzen näher beleuchten:

BVerfG: Verwertungsverbot bei rechtswidriger Observation

Das Bundesverfassungsgericht entschied im Jahr 2020 (Az. 2 BvR 2628/18), dass eine aufgrund rechtswidriger GPS-Überwachung gewonnene Beweisführung in der Hauptverhandlung keinen Verstoß gegen das Beweisverwertungsverbot darstellt. Das Gericht ging davon aus, dass der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht zwar rechtswidrig gewesen sei, jedoch kein schwerwiegender Grundrechtseingriff vorliege, der ein Verwertungsverbot begründen könne.

BGH: Kein Beweisverwertungsverbot bei Online-Durchsuchungen

Der Bundesgerichtshof entschied im Jahr 2019 (5 StR 535/18), dass eine Online-Durchsuchung zur Aufklärung eines mutmaßlichen Kindesmissbrauchsfalls keine Verletzung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung darstellt und das Beweisverwertungsverbot nicht zum Tragen kommt. In diesem Fall habe das Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung den Eingriff gerechtfertigt.

FAQ zum Beweisverwertungsverbot – häufig gestellte Fragen und Antworten

Gilt das Beweisverwertungsverbot auch im Zivilprozess?

Das Beweisverwertungsverbot kommt auch im Zivilprozess zum Tragen, allerdings in eingeschränkter Form. Es gilt nach der so genannten „Frucht-theorie“ nur eingeschränkt für rechtswidrig erlangte Beweismittel und hängt von der Abwägung der Interessen der Parteien ab. Die Rechtsprechung ist in diesem Bereich uneinheitlich.

Was ist das „Kettenbeweisverbot“?

Das sogenannte Kettenbeweisverbot beschreibt die Situation, in der durch ein rechtswidrig erlangtes Beweismittel weitere Beweismittel gewonnen werden. Solche Folgebeweismittel können in der Regel ebenfalls von einem Verwertungsverbot betroffen sein, wenn sie in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem rechtswidrig erlangten Beweismittel stehen. Dabei ist eine Abwägung im Einzelfall nötig, um eine Entscheidung über die Verwertung der Folgebeweismittel zu treffen.

Wie wird das Beweisverwertungsverbot in anderen Ländern gehandhabt?

In vielen Rechtsordnungen gibt es ähnliche Regelungen wie das Beweisverwertungsverbot in Deutschland. Das US-amerikanische Recht kennt beispielsweise die sogenannte „Fruit of the poisonous tree“-Doktrin, die die Verwertung von Beweisen verbietet, die aus rechtswidrigen Handlungen resultieren. Auch im britischen und französischen Recht gibt es Regelungen, die die Verwertung von rechtswidrig erlangten Beweismitteln einschränken.

Welche Rolle spielt der Verteidiger im Zusammenhang mit dem Beweisverwertungsverbot?

Der Verteidiger hat im Strafverfahren eine entscheidende Rolle bei der Geltendmachung von Beweisverwertungsverboten. Er muss etwaige Verfahrensfehler und rechtswidrige Beweiserhebungen erkennen und darauf hinweisen, um eine Verwertung der betroffenen Beweismittel zu verhindern. Die Kenntnis der Rechtsprechung und der aktuellen Entwicklungen im Zusammenhang mit Beweisverwertungsverboten ist daher für den Verteidiger von großer Bedeutung.

Welche Auswirkungen hat das Beweisverwertungsverbot auf den Strafanspruch der Staatsanwaltschaft?

Das Beweisverwertungsverbot kann dazu führen, dass der Strafanspruch der Staatsanwaltschaft beeinträchtigt wird. Wenn beispielsweise bestimmte Beweismittel, die zur Verurteilung des Angeklagten erforderlich wären, wegen eines Verwertungsverbots nicht verwendet werden dürfen, kann dies einen Freispruch oder eine niedrigere Strafe zur Folge haben. In solchen Fällen muss sich die Staatsanwaltschaft auf andere Beweismittel stützen, die nicht von einem Verwertungsverbot betroffen sind.

Was passiert, wenn ein Gericht gegen das Beweisverwertungsverbot verstößt?

Verstößt ein Gericht gegen das Beweisverwertungsverbot und stützt seine Entscheidung auf rechtswidrig erlangte Beweismittel, kann dies zur Aufhebung des Urteils führen. Die betroffene Partei kann gegen das Urteil Rechtsmittel einlegen, etwa in Form einer Revision. Im Revisionsverfahren hat der Revisionskläger die Möglichkeit, den Verstoß gegen das Beweisverwertungsverbot als Revisionsgrund geltend zu machen. Wird der Verstoß festgestellt, kann das Verfahren zurückverwiesen oder das Urteil aufgehoben werden.

Faire Verfahren und mehr Schutz für Betroffene: das Beweisverwertungsverbot

Das Beweisverwertungsverbot spielt eine zentrale Rolle im deutschen Strafverfahrensrecht. Es schützt die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen und trägt zu einem fairen Verfahren bei, indem es die Verwertung von rechtswidrig erlangten Beweismitteln beschränkt. Umfassende Kenntnisse über die unterschiedlichen Arten, die praktische Anwendung und die Grenzen des Beweisverwertungsverbots sind für die Arbeit von Anwälten, Gerichten und Behörden im Strafverfahren unerlässlich. Auch die Auseinandersetzung mit aktuellen Gerichtsurteilen trägt dazu bei, das Verständnis der Rechtslage konstant zu aktualisieren und im Einklang mit der Rechtsprechung zu halten.

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