Der Flächentarifvertrag ist ein wichtiger Bestandteil des deutschen Arbeitsrechts und hat weitreichende Auswirkungen auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer. In diesem umfassenden Blog-Beitrag werden wir sämtliche rechtliche Aspekte des Flächentarifvertrags beleuchten, seine Bedeutung analysieren, aktuelle Gerichtsurteile und Beispiele aus der Praxis vorstellen. Dabei liegt unser Fokus auf der Erläuterung der praktischen Anwendung und den Auswirkungen auf Unternehmen und Arbeitnehmer in verschiedenen Branchen.

Wir werden auch häufig gestellte Fragen im Zusammenhang mit Flächentarifverträgen beantworten.

Inhaltsverzeichnis

Einführung in den Flächentarifvertrag

Der Flächentarifvertrag ist eine besondere Form des Tarifvertrags, der zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften abgeschlossen wird und für eine bestimmte Branche und Region Gültigkeit hat. Er betrifft sowohl Mitgliedsunternehmen des Arbeitgeberverbandes als auch die dort beschäftigten Arbeitnehmer, die einer Gewerkschaft angehören. Dabei geht es um die Regelungen von Arbeitsbedingungen, z. B. Löhne, Arbeitszeit, Urlaub oder Kündigungsschutz. Oftmals wird die Wirkung eines Flächentarifvertrags auch auf Nicht-Mitgliedsunternehmen und Nicht-Gewerkschaftsmitglieder erstreckt, da diese ihren Arbeitnehmern ähnliche Arbeitsbedingungen bieten möchten, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Der Flächentarifvertrag verfolgt das Ziel, branchen- und regionsübergreifend einheitliche Arbeitsbedingungen zu schaffen und damit einen fairen Wettbewerb zwischen den Unternehmen zu gewährleisten. Er trägt zur sozialen Friedenssicherung durch die Vermeidung von Tarifkonflikten bei und sorgt für Stabilität auf dem Arbeitsmarkt.

Rechtliche Grundlagen des Flächentarifvertrags

Die rechtlichen Grundlagen für Flächentarifverträge finden sich im Tarifvertragsgesetz (TVG) sowie in branchenspezifischen Regelungen. Der Inhalt von Flächentarifverträgen richtet sich nach den Vorschriften des TVG und den allgemeinen Grundsätzen des Arbeitsrechts.

Einige der wichtigsten gesetzlichen Bestimmungen rund um den Flächentarifvertrag sind:

  • § 1 TVG: Tarifverträge gelten für alle Mitglieder der Tarifvertragsparteien, d. h. Arbeitnehmer, die einer Gewerkschaft, und Arbeitgeber, die einem Arbeitgeberverband angehören.
  • § 3 Abs. 1 TVG: Tarifverträge sind unmittelbar und zwingend rechtswirksam, d. h. sie gelten ohne besondere Verweisung im Arbeitsvertrag.
  • § 4 Absatz 1 TVG: Flächentarifverträge sind auf die regionalen Geltungsbereiche der Tarifvertragsparteien beschränkt.
  • § 5 TVG: Tarifverträge können rechtsverbindlich für alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einer Branche erklärt werden (sog. Allgemeinverbindlichkeit).

Darüber hinaus gelten die Grundsätze der Tarifautonomie, der Tarifeinheit, des Günstigkeitsprinzips, der Tarifbindung und der Tarifpluralität. Diese Grundsätze sind bedeutend für das Verständnis der rechtlichen Bedeutung und Auswirkungen von Flächentarifverträgen:

  • Tarifautonomie: Begründet das Recht der Tarifvertragsparteien, eigenständig und ohne staatliche Einflussnahme ihre Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge zu regeln (Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz).
  • Tarifeinheit: Besagt, dass pro Betrieb nur ein Tarifvertrag zur Anwendung kommen kann. Bei Gleichzeitigem Bestehen mehrerer Tarifverträge gilt der speziellere, sachnähere Tarifvertrag (Grundsatz „ein Betrieb – ein Tarifvertrag“). Dieser Grundsatz wurde durch das Bundesarbeitsgericht innerhalb der sogenannten „Tarifeinheitsentscheidung“ (BAG, 1 ABR 14/15) im Jahr 2021 bekräftigt.
  • Günstigkeitsprinzip: Sieht vor, dass individualvertragliche Vereinbarungen nur dann von einem Tarifvertrag abweichen dürfen, wenn dies zugunsten des Arbeitnehmers geschieht (§ 4 Abs. 3 TVG).
  • Tarifbindung: Legt fest, dass nur Gewerkschaftsmitglieder und Mitgliedsunternehmen eines Arbeitgeberverbandes an einen Flächentarifvertrag gebunden sind (§ 1 Abs. 1 TVG).
  • Tarifpluralität: Widerspricht dem Grundsatz der Tarifeinheit und erlaubt die Anwendung mehrerer Tarifverträge für unterschiedliche Arbeitnehmergruppen innerhalb desselben Betriebs. In der Praxis kommt dieses Prinzip jedoch selten zur Anwendung, da der Grundsatz der Tarifeinheit meist Vorrang hat.

Rechtsprechung zu Flächentarifverträgen

Die Rechtsprechung zu Flächentarifverträgen ist äußerst umfangreich und vielschichtig, da sie sowohl die Auslegung und Anwendung von Flächentarifverträgen, als auch die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften und allgemeinen Arbeitsrechtsgrundsätze betrifft. Im Folgenden werden wichtige Gerichtsentscheidungen und -urteile vorgestellt, die signifikante Auswirkungen auf das Verständnis und die Handhabung von Flächentarifverträgen hatten:

  1. BAG, Urteil vom 25. April 2018 – 4 AZR 119/17: In dieser Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht klargestellt, dass die Anwendbarkeit eines Flächentarifvertrages in einem Betrieb auch für atypisch Beschäftigte gilt, wenn die Beschäftigung dem tariflichen Geltungsbereich unterfällt.
  2. BAG, Urteil vom 18. April 2018 – 4 AZR 35/17: Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass bei einer fehlenden tariflichen Regelung zur Vergütung, der Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, die tarifliche Grundvergütung entsprechend anzuheben.
  3. BAG, Urteil vom 25. Oktober 2016 – 3 AZR 497/15: In diesem Fall erklärte das Bundesarbeitsgericht, dass eine tarifliche Regelung zur Übertragung von Urlaubstageanwartschaften auf den Bereich der betrieblichen Altersversorgung unzulässig ist, da diese dem allgemeinen Urlaubsrecht entgegenwirkt.
  4. BAG, Urteil vom 7. Juli 2010 – 2 AZR 316/09: Das Bundesarbeitsgericht hat darauf hingewiesen, dass eine tarifliche Regelung über eine Kündigungsfrist bei Änderungskündigungen auch auf Leiharbeitnehmer anwendbar ist, wenn dies in dem entsprechenden Flächentarifvertrag im Geltungsbereichen vorgegeben ist.

Diese Urteile verdeutlichen, dass die Rechtsprechung im Zusammenhang mit Flächentarifverträgen vielschichtig ist und teils weitreichende Folgen für das Verständnis und die Handhabung von Flächentarifverträgen haben kann.

Beispiele für Flächentarifverträge in der Praxis

Flächentarifverträge finden in vielen Branchen und Regionen Anwendung. Sie bilden die Basis für eine Vielzahl von gesetzlichen Regelungen, die die Arbeitsbedingungen in Betrieben und Unternehmen prägen. Einige Beispiele für Flächentarifverträge sind:

  • Der Flächentarifvertrag für die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie, der unter anderem Regelungen zu Löhnen, Arbeitszeiten, Urlaubsgewährung und betriebliche Altersversorgung vorsieht und in regional abgewandelten Varianten von den IG Metall-Bezirken abgeschlossen wird.
  • Der Flächentarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD), der die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten von Bund, Kommunen und kommunalen Unternehmen regelt. Er wurde gemeinsam von den Gewerkschaften ver.di und dbb tarifunion sowie den Arbeitgeberverbänden VKA und des Bundes verhandelt und abgeschlossen.
  • Der Flächentarifvertrag für die chemische Industrie, der zwischen den regionalen Arbeitgeberverbänden der chemischen Industrie und der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) abgeschlossen wird und Regelungen zu Löhnen, Arbeitszeiten, Zuschlägen und anderen Arbeitsbedingungen enthält.
  • Der Flächentarifvertrag im Groß- und Außenhandel, der regional unterschiedliche Regelungen für die kaufmännischen Angestellten dieser Branche vorsieht und beispielsweise in Nordrhein-Westfalen von der Arbeitgebervereinigung Großhandel, Außenhandel, Dienstleistung e.V. und ver.di NRW abgeschlossen wurde.

Die oben genannten Beispiele verdeutlichen die Vielfalt der Flächentarifverträge in der Praxis und die unterschiedlichen Inhalte und Regelungen, die je nach Branche und Region vereinbart werden.

Auswirkungen von Flächentarifverträgen auf Unternehmen und Arbeitnehmer

Flächentarifverträge haben sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer weitreichende Auswirkungen in verschiedenen Bereichen des Arbeitslebens:

  • Vorteile für Arbeitnehmer:
    • Einheitliche und verlässliche Arbeitsbedingungen in einer Branche und Region
    • Hoher Kündigungsschutz durch tarifliche Regelungen
    • Oftmals höhere Löhne und bessere Sozialleistungen im Vergleich zu nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern
    • Stärkung der Position der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber durch die Vertretung durch Gewerkschaften
  • Vorteile für Arbeitgeber:
    • Planungssicherheit und Kalkulierbarkeit von Personal- und Lohnkosten
    • Sozialer Friede durch die Beteiligung der Arbeitgeberverbände bei der Gestaltung der tariflichen Regelungen
    • Vermeidung von Lohnkonkurrenz durch einheitliche Lohnstrukturen in der Branche und Region
    • Aufbau einer fairen Wettbewerbsbasis mit anderen Unternehmen unter gleichen Bedingungen
  • Nachteile für Arbeitnehmer:
    • Eingeschränkte Flexibilität bei individuellen Arbeitsbedingungen aufgrund der zwingenden Vorgaben durch Tarifverträge
    • Möglicherweise weniger Chancen auf Gehaltsverhandlungen oder individuelle Lohnerhöhungen
  • Nachteile für Arbeitgeber:
    • Oftmals höhere Personalkosten durch tariflich festgelegte Löhne und Sozialleistungen
    • Geringere Flexibilität bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen aufgrund der Vorgaben durch den Flächentarifvertrag

Die Auswirkungen von Flächentarifverträgen können somit je nach Perspektive und Situation sehr unterschiedlich sein. Allerdings zeigt sich, dass die Vorteile oftmals überwiegen und der Flächentarifvertrag in vielen Branchen und Regionen als Instrument zur Gewährleistung fairer und stabiler Arbeitsbedingungen geschätzt wird.

Flächentarifvertrag: Häufig gestellte Fragen

Um das Thema Flächentarifvertrag umfassend abzudecken, möchten wir abschließend auf einige häufig gestellte Fragen eingehen:

    1. Ist mein Unternehmen an einen Flächentarifvertrag gebunden?

Ein Unternehmen ist an einen Flächentarifvertrag gebunden, wenn es Mitglied in einem Arbeitgeberverband ist und dieser einen Flächentarifvertrag mit einer Gewerkschaft abgeschlossen hat. Allerdings kann ein Unternehmen auch nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern die tariflichen Arbeitsbedingungen gewähren, wenn es dies wünscht.

    1. Sind Nicht-Gewerkschaftsmitglieder von einem Flächentarifvertrag betroffen?

Nicht-Gewerkschaftsmitglieder sind grundsätzlich nicht direkt an einen Flächentarifvertrag gebunden. Wenn jedoch ihr Arbeitgeber Mitglied eines Arbeitgeberverbandes ist und diesen Flächentarifvertrag anwendet, können sie indirekt davon betroffen sein, da der Arbeitgeber die tariflichen Arbeitsbedingungen auch für Nicht-Gewerkschaftsmitglieder gewähren kann.

    1. Was passiert, wenn der Flächentarifvertrag und mein Arbeitsvertrag unterschiedliche Regelungen enthalten?

Wenn sowohl der Flächentarifvertrag als auch der Arbeitsvertrag Regelungen zu bestimmten Sachverhalten enthalten, gilt grundsätzlich der Tarifvertrag. Das Günstigkeitsprinzip besagt jedoch, dass einzelvertragliche Regelungen dann Vorrang vor tariflichen Regelungen haben, wenn sie für den Arbeitnehmer günstiger sind.

    1. Kann ein Flächentarifvertrag auf Nicht-Mitgliedsunternehmen erstreckt werden?

Ja, ein Flächentarifvertrag kann auf Nicht-Mitgliedsunternehmen erstreckt werden, wenn er für allgemeinverbindlich erklärt wird. Dies geschieht auf Antrag einer Tarifvertragspartei (§ 5 TVG). In diesem Fall sind auch die Nicht-Mitgliedsunternehmen an die Regelungen des Flächentarifvertrags gebunden.

    1. Wie unterscheidet sich ein Flächentarifvertrag von einem Haustarifvertrag?

Während ein Flächentarifvertrag branchenweite und regionale Regelungen enthält und zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften abgeschlossen wird, ist ein Haustarifvertrag auf einzelne Unternehmen oder Betriebe beschränkt. Haustarifverträge können direkt zwischen einem Arbeitgeber und einer Gewerkschaft oder zwischen einem Arbeitgeber und einem Betriebsrat abgeschlossen werden.

Fazit

Der Flächentarifvertrag ist ein zentraler Bestandteil des deutschen Arbeitsrechts und hat weitreichende Auswirkungen auf Unternehmen und Arbeitnehmer. Durch diesen können branchen- und regionsübergreifend einheitliche Arbeitsbedingungen geschaffen werden, die zu einer stabilen und fairen Wettbewerbssituation beitragen. Darüber hinaus sorgen Flächentarifverträge für eine ausgewogene Interessensvertretung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

Die rechtlichen Grundlagen des Flächentarifvertrags finden sich sowohl im Tarifvertragsgesetz (TVG) als auch in branchenspezifischen Regelungen und allgemeinen Grundsätzen des Arbeitsrechts. Die Rechtsprechung zu Flächentarifverträgen ist umfangreich und weist auf die Komplexität dieses Themas hin, insbesondere im Hinblick auf die Auslegung und Anwendung von tariflichen Bestimmungen und gesetzlichen Vorschriften.

Der Einfluss von Flächentarifverträgen auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie die Regelungen in unterschiedlichen Branchen und Regionen zeigen die Vielfalt und Bedeutung dieses Instruments im deutschen Arbeitsrecht auf.

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