Im Privaten wie im Geschäftsleben treffen wir täglich auf rechtliche Konzepte, die uns betreffen. Eines dieser Konzepte ist der Selbstbehalt. Doch was genau verbirgt sich dahinter? Wie ist der Selbstbehalt in verschiedenen Lebensbereichen, wie etwa bei Versicherungen oder im Unterhaltsrecht, anzuwenden? In diesem umfangreichen Blog-Beitrag werden alle wichtigen Aspekte des Selbstbehalts eingehend erörtert. Zum Verständnis wird auf aktuelle Gesetze und Rechtsprechung rekurriert, wodurch auch für Laien ein umfassendes Verständnis erreicht wird.

Definition und Grundlagen des Selbstbehalts

Die Grundlage für ein Verständnis des Selbstbehalts ist seine Definition. Unter Selbstbehalt versteht man grundsätzlich den Betrag, den der Verpflichtete im Rahmen einer finanziellen Leistung schuldet, jedoch aufgrund rechtlicher Bestimmungen für die eigenen Bedürfnisse zurückbehalten darf. In anderen Worten: Selbstbehalt ist der Anteil des Einkommens oder Vermögens eines Schuldners, der unangetastet bleiben muss, um dessen existenzielle Bedürfnisse zu decken.

Rechtliche Grundlagen

Die rechtlichen Grundlagen für den Selbstbehalt finden sich in verschiedenen Gesetzen und auf unterschiedlichen regulatorischen Ebenen: im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), im Versicherungsvertragsgesetz (VVG), im Unterhaltsrecht sowie in der Zivilprozessordnung (ZPO). Die jeweiligen Gesetze enthalten verschiedene Vorschriften zum Schutz des Schuldners und stellen sicher, dass der Selbstbehalt angemessen gewahrt ist.

  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): Im BGB sind Regelungen zum Selbstbehalt insbesondere in den Vorschriften zur sogenannten Natural- und Geldunterhaltspflichtigkeit verankert. Diese Regelungen schützen den Unterhaltspflichtigen vor übermäßiger finanzieller Belastung.
  • Versicherungsvertragsgesetz (VVG): Im VVG sind Bestimmungen zum Selbstbehalt im Bereich der Versicherungsverträge geregelt. Dabei spielen Selbstbehaltsvereinbarungen insbesondere bei der Schadensregulierung eine Rolle.
  • Unterhaltsrecht: Im Unterhaltsrecht finden sich Regelungen zum Selbstbehalt bei der Berechnung von Unterhaltsansprüchen.
  • Zivilprozessordnung (ZPO): Die ZPO enthält u.a. Regelungen zur Zwangsvollstreckung, bei denen der Selbstbehalt eine Rolle spielt. So wird die Pfändungsfreigrenze nach dem pfändbaren Einkommen berechnet, wobei auch hier der Selbstbehalt zum Tragen kommt.

Anwendungsbereiche des Selbstbehalts

Der Selbstbehalt hat verschiedene Anwendungsbereiche, von denen die wichtigsten im Folgenden dargelegt werden.

Versicherungswesen

Im Bereich der Versicherungen begegnet uns der Selbstbehalt häufig in Form von Selbstbehaltsregelungen. Hierbei handelt es sich um Vereinbarungen zwischen dem Versicherungsnehmer und der Versicherung, die besagen, dass im Schadensfall ein bestimmter Anteil der Kosten vom Versicherungsnehmer selbst getragen werden muss. Der Selbstbehalt kann hierbei entweder in Form eines festen Betrags oder eines Prozentsatzes des Schadens vereinbart werden.

  • Beispiel 1: Bei einer Kfz-Versicherung wurde ein Selbstbehalt von 300 Euro vereinbart. Im Falle eines Unfalls mit einem Schaden von 1.500 Euro würde der Versicherungsnehmer die ersten 300 Euro des Schadens selbst tragen müssen. Die restlichen 1.200 Euro würden von der Versicherung übernommen werden.
  • Beispiel 2: Bei einer Rechtsschutzversicherung wurde ein Selbstbehalt von 10% der Kosten vereinbart. Bei Rechtsstreitigkeiten mit Kosten von insgesamt 2.000 Euro müsste der Versicherungsnehmer 200 Euro (10% der Kosten) selbst zahlen. Die restlichen 1.800 Euro würden von der Versicherung übernommen werden.

Der Hintergrund solcher Selbstbehaltsvereinbarungen liegt darin, dass der Versicherungsnehmer einen Anreiz erhalten soll, Schäden möglichst zu vermeiden oder klein zu halten. Zudem senkt der Selbstbehalt in der Regel die Versicherungsprämie für den Versicherungsnehmer, da das Risiko der Versicherung reduziert wird.

Unterhaltsrecht

Ein weiterer wichtiger Anwendungsbereich des Selbstbehalts findet sich im Unterhaltsrecht. Hier geht es darum, zu gewährleisten, dass der Unterhaltspflichtige in der Lage ist, seine eigenen Bedürfnisse zu decken, bevor er verpflichtet wird, Unterhalt für andere zu leisten.

Der Selbstbehalt im Unterhaltsrecht ist sowohl im Ehegatten- als auch im Kindesunterhaltsrecht von Bedeutung. Dabei gelten in den einzelnen Unterhaltsbereichen unterschiedliche Selbstbehaltsbeträge, die regelmäßig durch Rechtsprechung und einschlägige Leitlinien der Oberlandesgerichte angepasst werden. Generell wird zwischen dem notwendigen Selbstbehalt, dem angemessenen Selbstbehalt und dem erweiterten Selbstbehalt unterschieden:

  • Notwendiger Selbstbehalt: Deckt die existenziellen Bedürfnisse des Unterhaltspflichtigen.
  • Angemessener Selbstbehalt: Berücksichtigt das Bedürfnis des Unterhaltspflichtigen nach einer gewissen Lebensführung, die der Erwerbstätigkeit entspricht.
  • Erweiterter Selbstbehalt: Trägt besonderen Umständen Rechnung, etwa dem Umstand, dass der Unterhaltspflichtige faktisch für zwei Haushalte aufkommen muss, oder der Erforderlichkeit eines angewiesenen Kraftfahrzeugs für die Erwerbstätigkeit.

Die Höhe des jeweiligen Selbstbehalts ist abhängig von der Lebenssituation des Unterhaltspflichtigen, dem Alter der unterhaltsberechtigten Person und weiteren Faktoren. Dabei ist der Selbstbehalt bei Kindesunterhalt grundsätzlich niedriger als bei Ehegattenunterhalt, um das Wohl des Kindes zu gewährleisten.

Selbstbehalt bei Kindesunterhalt

Im Kindesunterhalt sind die Selbstbehaltsbeträge nach der Düsseldorfer Tabelle geregelt, die als Richtschnur für die Familiengerichte dient. Derzeit gelten die folgenden Selbstbehaltsbeträge:

  • Unterhaltspflichtiger gegenüber minderjährigen Kindern:
    • Notwendiger Selbstbehalt (Erwerbstätiger): 1.160 Euro
    • Notwendiger Selbstbehalt (Nichterwerbstätiger): 960 Euro
  • Unterhaltspflichtiger gegenüber volljährigen Kindern:
    • Notwendiger Selbstbehalt (Erwerbstätiger): 1.400 Euro
    • Notwendiger Selbstbehalt (Nichterwerbstätiger): 1.200 Euro

Der Selbstbehalt erhöht sich entsprechend, wenn der Unterhaltspflichtige noch anderen Unterhaltsverpflichtungen nachkommen muss. Dabei ist auf eine gerechte Verteilung der Unterhaltsleistungen unter den Berechtigten zu achten.

Selbstbehalt bei Ehegattenunterhalt

Im Bereich des Ehegattenunterhalts ist der angemessene Selbstbehalt von Bedeutung. Dieser soll sicherstellen, dass der Unterhaltspflichtige auch seinen eigenen Bedürfnissen angemessen nachkommen kann. Die Höhe des angemessenen Selbstbehalts orientiert sich dabei an der Erwerbstätigkeit und der ehelichen Lebensstellung:

  • Notwendiger Selbstbehalt (Erwerbstätiger): 1.400 Euro
  • Notwendiger Selbstbehalt (Nichterwerbstätiger): 1.200 Euro

Auch hier ist zu beachten, dass bei Vorliegen besonderer Umstände ein erweiterter Selbstbehalt herangezogen werden kann, der die individuelle Situation des Unterhaltspflichtigen angemessen berücksichtigt.

Auswirkungen des Selbstbehalts auf rechtliche Verpflichtungen

Der Selbstbehalt wirkt sich unmittelbar auf die finanziellen Verpflichtungen des Betroffenen aus. So kann etwa der Unterhaltspflichtige aufgrund des Selbstbehalts eine Herabsetzung von Unterhaltszahlungen erreichen, wenn seine Zahlungen durch die Wahrung des Selbstbehalts gedeckelt sind. Im Bereich der Versicherungen kann der Selbstbehalt zu einer Reduzierung der Versicherungsprämien führen, wobei im Schadensfall eine finanzielle Eigenleistung erforderlich ist.

Es ist wichtig, die eigenen rechtlichen Verpflichtungen unter Berücksichtigung des Selbstbehalts zu bewerten, um die eigenen Interessen und Möglichkeiten optimal auszuschöpfen. Nicht zuletzt können übermäßige Forderungen abgewehrt werden, indem der Selbstbehalt als rechtliches Argument vorgebracht wird. Dieser dient als Schutz vor unangemessenen oder existenzbedrohenden Forderungen und kann daher ein zentrales Instrument im Rahmen rechtlicher Auseinandersetzungen darstellen.

Aktuelle Gerichtsurteile zum Selbstbehalt

Aufgrund der vielschichtigen und facettenreichen Natur des Selbstbehalts ist es für das Verständnis und die Anwendung dieses Konzepts hilfreich, aktuelle Gerichtsurteile zu betrachten. Die folgenden Beispiele dienen dazu, die verschiedenen Aspekte des Selbstbehalts und seine Anwendung in der Rechtsprechung zu verdeutlichen.

Beispiele aus dem Unterhaltsrecht

  • Beispiel 1: OLG Brandenburg, Beschluss vom 20.03.2019 – 13 WF 218/17: Das Oberlandesgericht Brandenburg hat in einem Unterhaltsfall entschieden, dass ein Unterhaltspflichtiger, der sowohl Kindesunterhalt als auch Trennungsunterhalt an seine geschiedene Ehefrau zahlen musste, aufgrund des Selbstbehalts eine Reduzierung der Unterhaltszahlungen erreichen konnte. Dabei wurde ein angemessener Selbstbehalt in Anwendung gebracht, der das Einkommen aus zwei unterschiedlichen Beschäftigungsverhältnissen des Unterhaltspflichtigen berücksichtigte.
  • Beispiel 2: OLG Celle, Beschluss vom 05.02.2015 – 21 WF 20/15: In diesem Fall hatte das Oberlandesgericht Celle über den Selbstbehalt eines Unterhaltspflichtigen zu entscheiden, der sowohl seinen minderjährigen Kindern als auch seiner geschiedenen Ehefrau Unterhalt zu zahlen hatte. Der Unterhaltspflichtige wollte den Selbstbehalt zugunsten seiner Kinder heraufsetzen, um ihnen gegenüber leistungsfähiger zu sein. Das Gericht entschied jedoch, dass der bestehende Selbstbehalt für den Unterhaltspflichtigen bereits angemessen sei und damit eine Erhöhung des Selbstbehalts nicht in Betracht käme.

Beispiele aus dem Versicherungswesen

  • Beispiel 1: OLG München, Urteil vom 04.09.2019 – 20 U 3398/18: Das OLG München hatte sich in einem Rechtsstreit mit der Frage zu befassen, ob ein Versicherungsnehmer, der eine Krankenversicherung mit Selbstbehalt abgeschlossen hatte, verpflichtet war, trotz eines hohen Selbstbehalts von 2.500 Euro sämtliche Behandlungskosten selbst zu tragen. Das Gericht entschied, dass der Selbstbehalt sich nicht auf die von der Versicherung grundsätzlich zu erstattenden Kosten auswirke, sondern lediglich auf den Umfang der Erstattung, sodass der Versicherungsnehmer insoweit keine Kostenerstattung verlangen konnte.
  • Beispiel 2: BGH, Urteil vom 03.03.2010 – IV ZR 166/08: Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte in einem Fall zu entscheiden, ob die Nachzahlung einer Selbstbeteiligung im Rahmen einer Kaskoversicherung als Schaden angesehen werden kann, für den der Versicherungsnehmer haftet. Das Gericht kam zum Ergebnis, dass der Versicherungsnehmer für den selbst zu tragenden Selbstbehalt als Schaden nicht haften muss. Dieser ist vielmehr durch die vertraglich vereinbarte Selbstbeteiligung bereits abgegolten.

Häufig gestellte Fragen (FAQs) zum Selbstbehalt

Kann ich den Selbstbehalt bei meiner Versicherung ändern?

Ja, bei vielen Versicherungen besteht die Möglichkeit, den Selbstbehalt im Laufe der Vertragslaufzeit anzupassen. Hierbei sollte jedoch beachtet werden, dass eine Erhöhung des Selbstbehalts oft mit einer Reduzierung der Versicherungsprämie einhergeht, während eine Verringerung des Selbstbehalts die Prämie entsprechend erhöhen kann. Vor einer Anpassung des Selbstbehalts sollte daher stets abgewogen werden, ob die finanziellen Auswirkungen für den Versicherungsnehmer sinnvoll sind.

Wirkt sich der Selbstbehalt auf meine Unterhaltsforderungen aus?

Der Selbstbehalt kann sich auf die Höhe der Unterhaltsforderungen auswirken, indem er dazu führt, dass der Unterhaltspflichtige einen geringeren Unterhalt zahlen muss. Da der Selbstbehalt das Existenzminimum des Unterhaltspflichtigen sowie andere Verpflichtungen schützt, kann es sein, dass die tatsächlichen Unterhaltszahlungen niedriger ausfallen, als es ohne Berücksichtigung des Selbstbehalts der Fall wäre. Um hier eine gerechte Lösung zu erreichen, sollte die genaue Höhe und Anwendung des Selbstbehalts gemeinsam mit einem versierten Rechtsanwalt erörtert werden.

Kann der Selbstbehalt auch bei einer Pfändung eine Rolle spielen?

Ja, im Falle einer Pfändung spielt der Selbstbehalt ebenfalls eine Rolle. In diesem Zusammenhang spricht man von der Pfändungsfreigrenze, die das Existenzminimum des Schuldners schützt. Diese Pfändungsfreigrenze stellt sicher, dass dem Schuldner ein gewisser Betrag zum Lebensunterhalt verbleibt und nicht zur Tilgung der Schulden herangezogen werden kann. Wie beim Selbstbehalt gibt es auch hier verschiedene Faktoren, die bei der Berechnung der Pfändungsfreigrenze berücksichtigt werden.

Was passiert, wenn ich den Selbstbehalt bei meiner Versicherung nicht zahlen kann?

Im Falle, dass ein Versicherungsnehmer den vereinbarten Selbstbehalt im Schadensfall nicht zahlen kann, ist es entscheidend, mit der Versicherung in Kontakt zu treten und das Problem offen zu kommunizieren. Möglicherweise können individuelle Lösungen gefunden werden, wie etwa die Vereinbarung einer Ratenzahlung für den Selbstbehalt. Allerdings sollte berücksichtigt werden, dass die Versicherungsleistung in der Regel erst ausgezahlt wird, wenn der Selbstbehalt beglichen ist. Daher kann sich die Schadensregulierung verzögern, bis der Selbstbehalt gezahlt wurde.

Welche Rolle spielt der Selbstbehalt bei der Scheidung und der Aufteilung des Vermögens?

Bei einer Scheidung und der damit verbundenen Vermögensauseinandersetzung kann der Selbstbehalt insofern eine Rolle spielen, als dass im Rahmen von Unterhaltsansprüchen ein angemessener Selbstbehalt für den Unterhaltspflichtigen gewahrt werden muss. Dies bedeutet, dass eine Person im Rahmen der Vermögensaufteilung oder der Unterhaltsberechnung nicht übermäßig belastet werden darf, um deren Existenzgrundlage zu schützen. Bei Fragen zur Vermögensaufteilung bei einer Scheidung empfiehlt es sich, einen kompetenten Rechtsanwalt zu Rate zu ziehen.

Fazit

Der Selbstbehalt ist ein vielschichtiges und komplexes rechtliches Konzept, das in verschiedenen Lebensbereichen von Bedeutung ist. Ob bei Versicherungen oder im Unterhaltsrecht – der Selbstbehalt dient dazu, die Existenzgrundlage der betroffenen Partei zu schützen und hat entsprechende Auswirkungen auf finanzielle Verpflichtungen. Eine fundierte Kenntnis und Gegebenenfalls rechtliche Beratung zu diesem Thema sind daher unerlässlich, um die eigenen Interessen und rechtlichen Möglichkeiten optimal zu wahren und auszuschöpfen.

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