Das Gesundheitssystem ist ein komplexes Gebilde von Rechten und Pflichten, die sich aus den Wechselbeziehungen zwischen Patienten, Ärzten, Krankenkassen und anderen Akteuren ergeben. In Deutschland ist das Vertragsarztrecht ein wichtiger Teil des Gesundheits- und Medizinrechts. Im Folgenden soll ein umfassender Überblick über die verschiedenen Aspekte, die für Patienten von Bedeutung sind, vermittelt werden. Dazu gehören u.a. die vertraglichen Grundlagen, Fragen der Haftung, aktuelle Gerichtsurteile, FAQs sowie ein Ausblick auf zukünftige Entwicklungen.

Vertragliche Grundlagen und Rechtlicher Rahmen

Das Vertragsarztrecht hat seine vertraglichen Grundlagen in verschiedenen Gesetzen und Regelwerken. Im Folgenden werden die wichtigsten davon näher erläutert, um ein grundlegendes Verständnis für die rechtlichen Zusammenhänge aus Patientensicht zu ermöglichen.

  • Sozialgesetzbuch (SGB): Das deutsche Sozialgesetzbuch regelt unter anderem die Bereiche der gesetzlichen Krankenversicherung (SGB V), der gesetzlichen Unfallversicherung (SGB VII) und der gesetzlichen Pflegeversicherung (SGB XI).
  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): Im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch finden sich u.a. Regelungen zum allgemeinen Vertragsrecht (§§ 145 ff. BGB) und zum Dienstvertrag (§§ 611 ff. BGB) bzw. Behandlungsvertrag (§§ 630a ff. BGB) für Heilberufe.
  • Berufsordnungen der Landesärztekammern: Die Berufsordnungen der verschiedenen Landesärztekammern enthalten verbindliche Regelungen für die Ausübung des Arztberufs, u.a. hinsichtlich der ärztlichen Berufspflichten, der Anzeige- und Meldepflichten, der Fortbildungspflicht, des Verhaltens bei Werbung oder Kooperation, der Verschwiegenheitspflicht sowie der Haftpflichtversicherungspflicht.
  • Weitere Gesetze und Verordnungen: Neben dem SGB und dem BGB gibt es verschiedene weitere Gesetze und Verordnungen, die für das Vertragsarztrecht relevant sind, wie beispielsweise das Arztwerbegesetz (HWG), das Bundesmantelvertrag-Gesetz (BMV-Ä), das Patientenrechtegesetz (PatRG) oder das Gesetz zur Modernisierung der Rechtsgrundlagen ärztlicher Berufsausübung (GMG).

Haftung im Vertragsarztrecht

Ein zentraler Aspekt des Vertragsarztrechts ist die Frage der Haftung eines Arztes oder eines medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) gegenüber seinen Patienten. Im Folgenden wird ein Überblick über die wichtigsten Haftungsregelungen geben, einschließlich möglicher Schmerzensgeldansprüche und der Rolle der Haftpflichtversicherung.

Haftungsgrundlagen

  • §§ 630a ff. BGB (Behandlungsvertrag): Nach dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch haften Ärzte im Rahmen eines Behandlungsvertrages für Schäden, die aufgrund einer fehlerhaften oder unterbliebenen Behandlung entstanden sind. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich um einen privaten oder gesetzlichen Vertrag handelt.
  • § 823 BGB (unerlaubte Handlung): Neben dem Behandlungsvertrag können auch unerlaubte Handlungen eine Haftung des Arztes begründen, beispielsweise bei fahrlässiger Körperverletzung oder fahrlässiger Tötung. Dabei ist es unerheblich, ob der Schaden beabsichtigt oder unbeabsichtigt entstanden ist.
  • Berufsordnungen der Landesärztekammern: Nach den Berufsordnungen der Landesärztekammern sind Ärzte verpflichtet, eine Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen, um im Schadensfall die finanziellen Folgen für Patienten abzusichern.

Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld

Nach deutschem Recht sind Ärzte verpflichtet, ihre Patienten vor, während und nach der Behandlung aufzuklären, um eine informierte Entscheidung ermöglichen zu können. Kommt es aufgrund einer Verletzung dieser Aufklärungspflicht oder eines Behandlungsfehlers zu einem Schaden beim Patienten, kann ein Anspruch auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld bestehen.

  • Schadensersatz: Anspruch auf Schadensersatz kann bestehen, wenn ein Patient durch die ärztliche Behandlung einen materiellen Schaden erlitten hat, z.B. Verdienstausfälle, medizinische Kosten oder behindertengerechte Umbauten. Dabei ist es unerheblich, ob der Schaden unmittelbar durch die Behandlung oder durch ein dadurch ausgelöstes Ereignis entstanden ist.
  • Schmerzensgeld: Anspruch auf Schmerzensgeld besteht, wenn ein Patient durch eine vertragswidrige ärztliche Behandlung oder eine unzureichende Aufklärung immaterielle Schäden wie körperliche Schmerzen, seelisches Leiden oder dauerhafte Beeinträchtigungen erlitten hat. Dabei wird der Umfang des Schmerzensgeldes anhand verschiedener Kriterien, wie der Schwere und Dauer der Schäden, der Art der Heilbehandlung oder dem Verschulden des Arztes, bemessen.

Auswahl aktueller Gerichtsurteile

Im Folgenden werden einige aktuelle, wegweisende Gerichtsurteile vorgestellt, die das Vertragsarztrecht betreffen und wichtige Entscheidungen für Patienten beinhalten. Diese Entscheidungen verdeutlichen unter anderem die Komplexität der Thematik sowie die Bedeutung einer fachkundigen anwaltlichen Beratung und Vertretung.

BGH zum Behandlungsfehler: Beweislastumkehr bei groben Behandlungsfehlern (Az. VI ZR 75/15)

Im Jahr 2016 entschied der Bundesgerichtshof (BGH), dass bei einem groben Behandlungsfehler eine Beweislastumkehr stattfindet. Das bedeutet, dass in solchen Fällen der Arzt nachweisen muss, dass der eingetretene Schaden nicht aufgrund seines Fehlers entstanden ist. In dem verhandelten Fall hatte der Kläger seine Schäden aufgrund einer fehlerhaften Leistenbruchoperation geltend gemacht und Schadensersatz gefordert. Der BGH folgte der Argumentation des Klägers und bestätigte die Beweislastumkehr bei groben Behandlungsfehlern.

BSG zur Kostenerstattung bei Versorgung mit Hörgeräten (Az. B 1 KR 54/15 R)

Das Bundessozialgericht (BSG) entschied 2017, dass gesetzliche Krankenkassen bei der Versorgung von Versicherten mit Hörgeräten grundsätzlich die Kosten für eine angemessene, ausreichende und wirtschaftliche Versorgung übernehmen müssen. Dies umfasst auch die Kosten für Hörgeräte, die über die Festbetragsregelung hinausgehen, wenn diese medizinisch notwendig sind. In dem verhandelten Fall hatte der Kläger aufgrund seiner schweren Hörbeeinträchtigung ein hochwertigeres Hörgerät benötigt als das von der Krankenkasse bewilligte Gerät und daraufhin die Differenzkosten von seiner Krankenkasse eingefordert.

OLG Hamm zur Aufklärungspflicht bei Implantation eines Medizinprodukts (Az. 26 U 2/14)

Das Oberlandesgericht Hamm entschied in einem Urteil aus dem Jahr 2015, dass eine unzureichende Aufklärung über mögliche Risiken und Alternativen bei einer Implantation eines Medizinprodukts (hier: Brustimplantate) einen Schadensersatzanspruch begründen kann. Im konkreten Fall hatten die Klägerinnen Schadensersatz und Schmerzensgeldansprüche aufgrund von mangelhafter Aufklärung über gesundheitliche Risiken und alternative-implantationsfreie Behandlungsmethoden geltend gemacht. Das OLG Hamm folgte dieser Argumentation und bestätigte, dass unzureichende Aufklärung Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche begründen kann.

FAQs – häufig gestellte Fragen im Vertragsarztrecht

Im Folgenden werden einige häufig gestellte Fragen rund um das Vertragsarztrecht und ihre Antworten aufgeführt, um einen Einblick in die verschiedenen Aspekte dieses komplexen Rechtsgebiets zu geben.

Besteht ein Anspruch auf freie Arztwahl?

Grundsätzlich haben gesetzlich versicherte Patienten in Deutschland das Recht auf freie Arztwahl. Das bedeutet, dass sie selbst entscheiden können, zu welchem zugelassenen Vertragsarzt sie gehen möchten. Allerdings gibt es unter Umständen Einschränkungen der freien Arztwahl, beispielsweise in Notfallsituationen oder wenn eine Behandlung nur von besonderen Fachärzten durchgeführt werden kann.

Darf ein Arzt einen Patienten ablehnen?

Ärzte dürfen grundsätzlich keine Patienten ohne triftigen Grund ablehnen. Eine Ablehnung ist nur in Ausnahmefällen zulässig, zum Beispiel bei einem unzumutbaren Patientenverhalten oder wenn die Kapazitäten des Arztes erschöpft sind. Im Zweifelsfall ist es ratsam, einen Anwalt für Medizinrecht zu Rate zu ziehen.

Kann ich gegen eine Entscheidung meiner Krankenkasse vorgehen?

Wenn eine gesetzliche Krankenkasse eine Leistung ablehnt, wie z.B. die Kostenübernahme für eine bestimmte Therapie oder ein Medikament, kann der Versicherte Widerspruch einlegen. Wenn die Krankenkasse dem Widerspruch nicht abhilft, besteht die Möglichkeit, vor dem Sozialgericht Klage zu erheben.

Wie lange kann ich Schadensersatz bzw. Schmerzensgeldansprüche geltend machen?

Die Verjährungsfrist für Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche in Deutschland beträgt grundsätzlich drei Jahre. Dabei beginnt die Frist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Patient von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. In bestimmten Fällen kann die Verjährungsfrist jedoch auch abweichend sein, weshalb eine anwaltliche Beratung empfehlenswert ist.

Fazit und Ausblick

Das Vertragsarztrecht ist ein komplexes und vielschichtiges Rechtsgebiet, das sowohl Patienten als auch Ärzten und Krankenkassen umfassende Rechte und Pflichten auferlegt. Im Rahmen dieses Blog-Beitrags konnte nur ein grober Überblick über die Grundlagen des Vertragsarztrechts sowie die Haftungsregelungen, aktuelle Gerichtsentscheidungen und häufig gestellte Fragen gegeben werden. Für eine umfassende und individuelle Beratung ist es ratsam, einen spezialisierten Rechtsanwalt für Gesundheits- und Medizinrecht hinzuzuziehen, der aufgrund seiner Erfahrung und Expertise die rechtlichen Gegebenheiten und mögliche Ansprüche prüfen und durchsetzen kann.

In Zukunft sind weitere Entwicklungen und Änderungen im Vertragsarztrecht zu erwarten, etwa im Hinblick auf die Digitalisierung der Medizin oder die zunehmende Spezialisierung von Ärzten und medizinischen Leistungen. Daher ist es wichtig, stets über die aktuellen Entwicklungen im Vertragsarztrecht informiert zu sein und gegebenenfalls rechtliche Beratung einzuholen, um den eigenen Rechten und Pflichten gerecht zu werden.

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