Das Gewohnheitsrecht ist ein faszinierendes und oft unterschätztes Gebiet des Rechts. Es stellt sich häufig die Frage, wie es entsteht und welche rechtlichen Fragen sich durch seine Anwendung ergeben. Dieser Blogbeitrag bietet Ihnen einen umfassenden Überblick über das Gewohnheitsrecht, dessen Entstehung und Anerkennung, aktuelle Gerichtsurteile und beantwortet Ihnen häufig gestellte Fragen rund um dieses spannende Rechtsgebiet.

Inhaltsverzeichnis:

  • Was ist Gewohnheitsrecht?
  • Entstehung des Gewohnheitsrechts
  • Anerkennung des Gewohnheitsrechts in Deutschland
  • Die Anwendung in der Praxis
  • Aktuelle Gerichtsurteile
  • FAQs

Was ist Gewohnheitsrecht?

Das Gewohnheitsrecht ist eine ungeschriebene Rechtsquelle und hat seine Wurzeln weit vor der Entstehung der ersten kodifizierten Rechtssysteme. Es beschreibt Rechtsnormen, die im Laufe der Zeit aufgrund langjähriger Praxis, Überzeugungen und ständiger Wiederholung entstanden sind. Dabei gibt es kein formales Gesetzgebungsverfahren wie bei der Schaffung von Gesetzen oder Verordnungen. Das Gewohnheitsrecht beruht also auf einer langen Tradition und einer stillschweigenden Übereinkunft der beteiligten Parteien, bestimmte Regeln oder Prinzipien einzuhalten.

Entstehung des Gewohnheitsrechts

Die Entstehung ist ein Prozess, der nur schwer genau zu beschreiben ist. Grundlegend bedarf es jedoch zweier Voraussetzungen:

  • Eine langjährige und stetige Praxis: Dies bedeutet, dass eine bestimmte Verhaltensweise oder Regelung über einen längeren Zeitraum angewandt wird, ohne dass es zu wesentlichen Änderungen kommt.
  • Eine allgemeine Überzeugung der Rechtsbindung: Die beteiligten Parteien müssen von der Gültigkeit und Verbindlichkeit der betreffenden Regelung überzeugt sein.

Der genaue Zeitraum, in dem eine Regelung zu einem Gewohnheitsrecht werden kann, ist dabei sehr unterschiedlich und kann von wenigen Jahren bis hin zu Jahrhunderten reichen. Wesentlich ist dabei, dass beide oben genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

Anerkennung des Gewohnheitsrechts in Deutschland

In Deutschland ist das Gewohnheitsrecht grundsätzlich anerkannt und kann eine wichtige Rechtsquelle darstellen. Nach § 38 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) hat das Gewohnheitsrecht dann Geltung, wenn nach der ständigen Rechtsprechung und den Lehren der Rechtswissenschaft entsprechende Anwendungsbereiche des Gesetzes nicht vorhanden sind und kein klarer gesetzlicher Text das Gewohnheitsrecht ausschließt.

Gerade im Zivilrecht, wo das Gewohnheitsrecht besonders relevant ist, hat § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) eine große Bedeutung. Dieser Paragraph fordert von den Parteien ein Handeln nach Treu und Glauben, was häufig durch die Anwendung von Gewohnheitsrecht konkretisiert wird.

Die Anwendung in der Praxis

Es kann in der Praxis zur Anwendung kommen, wenn kein Gesetz oder keine Rechtsnorm einen spezifischen Sachverhalt direkt regelt. Das Gewohnheitsrecht kann dann als Ergänzung dienen und den Lücken des geschriebenen Rechts füllen. Generell gilt jedoch, dass es nicht gegen geschriebene rechtliche Regelungen gehen darf und daher immer nur subsidiär, also nachrangig angewandt wird.

Ein wichtiges Anwendungsfeld sind die sogenannten Handelsbräuche und -traditionen, die im Handelsgesetzbuch (HGB) ausdrücklich berücksichtigt werden. Ebenfalls spielt es eine Rolle in Bereichen wie dem internationalen Recht oder bei Grundstücksangelegenheiten.

Aktuelle Gerichtsurteile

Auch die Rechtsprechung befasst sich regelmäßig mit Fragen des Gewohnheitsrechts. Die folgenden aktuellen Beispiele zeigen, wie es auch heute noch in der gerichtlichen Praxis Anwendung findet:

  • Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 20.01.2021 – XII ZR 58/20: In dieser Entscheidung ging es um die Anwendbarkeit im Bereich der Telekommunikationsdienstleistungen. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass kein Gewohnheitsrecht entstanden sei, weil die Anwendung des jeweiligen Vertragsrechts im Vordergrund stehe.
  • Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 06.11.2020 – 9 S 2872/18: In diesem Fall ging es um die Frage, ob die Benutzung eines Waldweges durch Nutzer als Gewohnheitsrecht entstanden sei. Das Gericht verneinte die Existenz eines Gewohnheitsrechts, da die erforderliche stillschweigende Duldung durch den Grundstückseigentümer nicht gegeben war.
  • Oberlandesgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 23.01.2019 – 3 U 31/18: Hier ging es um die Frage, ob im Bereich von Bauordnungsrecht gewohnheitsrechtlich anerkannte Regelungen existieren. Das Gericht bejahte grundsätzlich die Möglichkeit, dass Gewohnheitsrecht auch im öffentlichen Recht entstehen könne. Im konkreten Fall wurde jedoch es verneint, da keine entsprechende langjährige und einheitliche Verwaltungspraxis erkennbar war.

FAQs

Kann das Gewohnheitsrecht gegen ein Gesetz verstoßen?

Nein, es kann nicht gegen ein Gesetz verstoßen. Es kommt immer nur dann zur Anwendung, wenn keine geschriebene Rechtsnorm den Sachverhalt regelt oder ergänzend wirken soll. Es hat grundsätzlich subsidiäre Funktion.

Gibt es einen festen Zeitraum, in dem eine Regelung zum Gewohnheitsrecht werden kann?

Nein, es gibt keinen festen Zeitraum, in dem eine Regelung zum Gewohnheitsrecht werden kann. Entscheidend ist, dass eine langjährige und stete Praxis besteht und die beteiligten Parteien von der Rechtsverbindlichkeit der Regelung überzeugt sind. Ob eine Regelung zum Gewohnheitsrecht geworden ist, ist stets eine Frage des Einzelfalls.

Wie kann ich feststellen, ob ein Gewohnheitsrecht entstanden ist?

Die Frage lässt sich nur schwer beantworten, da es auf die konkreten Umstände des Einzelfalls ankommt. In der Regel empfiehlt es sich, zur Klärung dieser Frage einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen, der sich mit dem entsprechenden Rechtsgebiet auskennt.

Welche Rolle spielt das Gewohnheitsrecht im deutschen Recht?

Es ist grundsätzlich anerkannt und kann im deutschen Recht eine wichtige Rechtsquelle darstellen. Es ist vor allem im Zivilrecht und hier insbesondere im Bereich der Handelsbräuche und -traditionen relevant, findet aber auch im internationalen oder Grundstücksrecht Anwendung.

Gibt es auch im öffentlichen Recht Gewohnheitsrecht?

Grundsätzlich kann auch im öffentlichen Recht Gewohnheitsrecht entstehen, sofern die Voraussetzungen einer langjährigen und steten Praxis sowie einer Überzeugung von der Rechtsbindung erfüllt sind. Allerdings ist es im öffentlichen Recht eher die Ausnahme und kommt vor allem dann vor, wenn es keine speziellen gesetzlichen Vorschriften zur Regelung eines Sachverhaltes gibt.

In welchen Fällen hat das Gewohnheitsrecht für mich als Privatperson Bedeutung?

Im Alltag einer Privatperson kann es vor allem in Bezug auf Verträge, Land- oder Immobilienrecht, Mietrecht oder auch Familiensachen bedeutsam werden. Sollten Sie konkreten Anlass zur Annahme haben, dass es in Ihrem Fall relevant sein könnte, empfiehlt es sich, einen Rechtsanwalt zurate zu ziehen.

Wie kann ich mich vor Gericht auf Gewohnheitsrecht berufen?

Wenn Sie vor Gericht auf ein Gewohnheitsrecht verweisen möchten, ist es ratsam, diese Argumentation gemeinsam mit einem erfahrenen Rechtsanwalt zu erarbeiten. Der Rechtsanwalt kann Ihnen dabei helfen, die Existenz zu belegen und Ihre Argumentation entsprechend auszuarbeiten.

Fazit

Das Gewohnheitsrecht ist nicht nur ein historisches Überbleibsel aus längst vergangenen Zeiten, sondern immer noch ein wichtiger Bestandteil der Rechtsordnung in Deutschland. Es füllt Lücken, die der Gesetzgeber nicht bedacht hat oder adressiert Regelungsbereiche, die in einer ständigen Rechtsprechung und Rechtspraxis nicht einheitlich geregelt sind. Durch die Kenntnis und das Verständnis können Sie besser einschätzen, welche rechtlichen Möglichkeiten Ihnen in verschiedenen Lebenssituationen zur Verfügung stehen.

Wenn Sie das Gefühl haben, dass das Gewohnheitsrecht in Ihrem konkreten Fall eine Rolle spielen könnte, sollten Sie sich an einen Rechtsanwalt wenden. Dieser kann für Sie prüfen, ob wirklich ein Gewohnheitsrecht besteht und wie dieses in Ihrem Fall angewandt werden kann. Nur so können Sie sicherstellen, dass Ihre Rechte gewahrt und vollständig umgesetzt werden.

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