Das Erbrecht betrifft fast jeden im Laufe seines Lebens – sei es als Erbe oder als Erblasser. Dabei gibt es zahlreiche Regelungen und Optionen, die getroffen werden können. Eine Option, die in bestimmten Fällen sinnvoll, aber auch weitreichende Folgen haben kann, ist der Erbverzicht. In diesem Artikel erläutere ich Ihnen als erfahrener Rechtsanwalt die Voraussetzungen, möglichen Gründe und die Rechtsfolgen eines Erbverzichts. Dabei greife ich auf aktuelle Gesetze, Gerichtsurteile und beantworte häufig gestellte Fragen (FAQs) zurück.

Was ist ein Erbverzicht?

Ein Erbverzicht ist eine vertragliche Vereinbarung, bei der ein potentieller Erbe freiwillig auf sein gesetzliches oder testamentarisches Erbrecht verzichtet. Ein solcher Verzicht kann zwischen dem Erblasser und dem verzichtenden Erben oder unter Geschwistern bzw. Abkömmlingen vereinbart werden. Grundsätzlich kann jeder potentielle Erbe auf sein Erbrecht verzichten. Der Verzicht kann sowohl vor als auch nach dem Tod des Erblassers erfolgen, wobei dies zu unterschiedlichen Rechtsfolgen führt.

Voraussetzungen für einen wirksamen Erbverzicht

Notarielle Beurkundung

Nach § 2348 BGB ist für einen wirksamen Erbverzicht die notarielle Beurkundung erforderlich. Damit soll sichergestellt werden, dass die Erklärung des Verzichtenden in einer entsprechenden Form, die seine Ernsthaftigkeit und Bedeutung verdeutlicht, erfolgt.

Bestimmtheit und Sicherheit der Erklärung

Die Erklärung zum Erbverzicht muss eindeutig und unmissverständlich erfolgen. Hierbei ist auch zu beachten, dass die Erklärung von einer Rechtsfähigkeit nach § 104 BGB abhängt. Entscheidend ist, dass der Erklärende umfassend und uneingeschränkt auf sein Erbrecht verzichtet. Es muss klar sein, dass der Verzicht nicht nur auf zukünftige Erbschaften abstellt, sondern explizit auf das Erbrecht in seinem gesamten Umfang.

Zustimmung des Erblassers oder anderer Beteiligter

Zur Wirksamkeit des Erbverzichts ist grundsätzlich eine Zustimmung des Erblassers oder anderen Beteiligten (z.B. Geschwistern) erforderlich. Dies bedeutet, dass sowohl derjenige, der auf sein Erbrecht verzichtet, als auch derjenige, der diesem Verzicht zustimmen muss, die notarielle Beurkundung unterzeichnen.

Gründe für einen Erbverzicht

Ein Erbverzicht kann aus verschiedenen Gründen sinnvoll sein. Einige beispielhafte Situationen sind:

  • Unterhaltsverwirklichung: Der potenzielle Erbe verzichtet gegen eine Gegenleistung, z.B. in Form einer einmaligen Zahlung, einer Rente oder einer sonstigen wiederkehrenden Leistung. Dies kann insbesondere bei Unterhaltspflichten gegenüber dem Erblasser relevant sein.
  • Motivation durch den Erblasser: Der Erblasser möchte durch den Erbverzicht ein bestimmtes Verhalten des Erben erreichen, z.B. eine berufliche oder private Entscheidung.
  • Streitigkeiten unter Geschwistern: Ein Erbe verzichtet auf seinen Erbteil, um Streitigkeiten unter Geschwistern zu verhindern oder zu beenden.
  • Individuelle Prioritäten: Ein potenzieller Erbe hat aus persönlichen Gründen kein Interesse an der Erbschaft.

Rechtsfolgen des Erbverzichts

Verlust der Erbenstellung

Ein wirksamer Erbverzicht führt dazu, dass der Verzichtende seine Stellung als Erbe verliert. Dies hat zur Folge, dass er keine Rechte aus der Erbschaft (z.B. Pflichtteil, Vermächtnis, Auflagen) mehr geltend machen kann. Jegliche Ansprüche, die aus einem Erbrecht entstehen würden, sind damit erloschen.

Ausschluss des Verzichtenden von der gesetzlichen Erbfolge

Der Verzichtende wird von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen. Dies hat insbesondere die Rechtsfolge, dass er nicht mehr gesetzlicher Erbe nach § 1922 BGB ist. Es kann jedoch sein, dass er trotzdem noch aufgrund einer letztwilligen Verfügung (z.B. Testament, Erbvertrag) erben könnte. In diesem Fall würde der Erbverzicht lediglich zur Ausschlagung der in der letztwilligen Verfügung begünstigten erbrechtlichen Stellung führen.

Eintritt der Ersatzerben oder Nacherben

Mit dem Verlust seiner Erbenstellung tritt der Verzichtende auch nicht mehr in die Rechte und Pflichten als Erbe ein. Stattdessen rückt der nachfolgende gesetzliche oder testamentarisch bestimmte Erbe (Ersatzerbe oder Nacherbe) oder aber im Rahmen der gesetzlichen Erbfolge der nächste Verwandte in die Erbenstellung ein. Bei einem Nacherbfall kann das bedeuten, dass der Verzichtende gegebenenfalls als Ersatzerbe fungiert und damit lediglich vorübergehend von der Erbschaft ausgeschlossen ist.

Keine Anfechtung des Erbverzichts möglich

Ein wirksamer und unanfechtbarer Erbverzicht kann grundsätzlich nicht angefochten werden. Ausnahmen hiervon sind in § 2349 BGB geregelt und betreffen Fälle, in denen der Erbverzicht aufgrund einer arglistigen Täuschung, einer Drohung oder einer Willenserklärung erfolgt ist, die auf einer unrichtigen Testamentsauslegung beruht. In der Praxis ist eine solche Anfechtung allerdings nur in seltenen Ausnahmefällen erfolgreich.

Erbverzicht und Pflichtteilsrecht

Mit dem Erbverzicht geht auch die Möglichkeit verloren, einen Pflichtteil gemäß §§ 2303 ff. BGB geltend zu machen. Der Pflichtteil ist ein gesetzlicher Mindestanteil des Erbes, der insbesondere den Kindern, Ehegatten oder Eltern des Erblassers zusteht und nicht durch ein Testament oder einen Erbvertrag entzogen werden kann. Durch einen Erbverzicht kann jedoch auch ein Pflichtteilsberechtigter auf seinen Pflichtteil verzichten.

 Pflichtteilsverzicht

Ein Pflichtteilsverzicht setzt voraus, dass der Verzichtende seine Stellung als Pflichtteilsberechtigter gegenüber dem Erblasser in einem notariell beurkundeten Vertrag ausdrücklich aufgibt. Es genügt nicht, wenn nur auf den gesetzlichen Erbteil verzichtet wird, ohne dabei auch den Pflichtteil ausdrücklich auszuschließen. Der Pflichtteilsverzicht kann sowohl vor als auch nach dem Tod des Erblassers erfolgen, wobei auch hier unterschiedliche Rechtsfolgen eintreten.

Rechtsfolgen des Pflichtteilsverzichts

Bei einem wirksamen Pflichtteilsverzicht verliert der Verzichtende nicht nur seinen Anspruch auf den Pflichtteil, sondern auch auf jegliche Pflichtteilsergänzungsansprüche gemäß § 2325 bis § 2329 BGB. Dadurch verringert sich der Umfang des Erbes für die übrigen Erben nicht, sondern verbleibt im Nachlass des Erblassers oder fällt an die übrigen Erben.

Anfechtung des Pflichtteilsverzichts

Ein wirksamer und unanfechtbarer Pflichtteilsverzicht kann grundsätzlich ebenfalls nicht angefochten werden. Ausnahmen gelten auch hier für Fälle, in denen der Verzicht aufgrund einer arglistigen Täuschung, einer Drohung oder einer Willenserklärung erfolgt ist, die auf einer unrichtigen Testamentsauslegung beruht.

Aktuelle Gerichtsurteile zum Erbverzicht

Im Folgenden werden einige aktuelle Gerichtsurteile zum Erbverzicht und dessen Rechtsfolgen aufgeführt, um deren Anwendung in der Praxis zu verdeutlichen:

  • Urteil des BGH vom 27.06.2018 (Az. IV ZR 200/16): Der BGH hat in diesem Urteil entschieden, dass ein während aufschiebend bedingter Erbverzicht nicht als vorweggenommene Erbfolge gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG gilt. Daher müssen für diesen Erbverzicht keine Erbschaftsteuern entrichtet werden.
  • Urteil des OLG Hamm vom 27.09.2016 (Az. 10 UF 50/16): In diesem Urteil wurde klargestellt, dass ein Kind, das aufgrund eines wirksamen (Pflichtteils-)Erbverzichts aus der Erbfolge ausgeschlossen ist, trotzdem noch einen Anspruch auf einen Familien-, Hausstands- oder Betriebsführerunterhalt haben kann.
  • Urteil des OLG Hamm vom 29.07.2015 (Az. 15 W 3/15): Hierin wurde entschieden, dass ein vor mehr als zehn Jahren geschlossener Erbverzicht nicht nach § 2349 BGB angefochten werden kann – es sei denn, der Verzichtende hätte Kenntnis von Gründen gehabt, die zum Zeitpunkt des Verzichts eine Anfechtung rechtfertigen würden.

FAQs zum Erbverzicht

Im Folgenden finden Sie einige Antworten auf häufig gestellte Fragen zum Thema Erbverzicht:

Kann ich einen Erbverzicht widerrufen?

Ein Erbverzicht kann in aller Regel nicht widerrufen werden. Ausnahmen hiervon bilden die in § 2349 BGB geregelten Anfechtungsgründe, die allerdings nur in seltenen Ausnahmefällen Berücksichtigung finden.

Gibt es Fälle, in denen ich von einem Erbverzicht unrechtsgültig ausgeschlossen werde?

Ein Erbverzicht kann unwirksam sein, wenn er nicht notariell beurkundet wurde, die Erklärung unbestimmt oder unsicher ist oder die Zustimmung des Erblassers oder anderer Beteiligter fehlt. In solchen Fällen kommt der Verzicht nicht zustande und die gesetzliche Erbfolge greift wieder.

Kann ich trotz eines Erbverzichts noch den Pflichtteil beanspruchen?

Ein Pflichtteilsverzicht ist nur wirksam, wenn der Verzichtende seine Stellung als Pflichtteilsberechtigter in einem notariell beurkundeten Vertrag ausdrücklich aufgibt. Liegt kein wirksamer Pflichtteilsverzicht vor, so kann der Pflichtteil trotz eines Erbverzichts noch geltend gemacht werden.

Kann ich meinen Erbverzicht gegenüber anderen potenziellen Erben erklären?

Ein Erbverzicht kann grundsätzlich auch gegenüber anderen potenziellen Erben erklärt werden, etwa unter Geschwistern. Für die Wirksamkeit muss jedoch auch in diesem Fall eine notarielle Beurkundung erfolgen und die Zustimmung der anderen Beteiligten vorliegen.

Erbverzicht: Antreten oder nicht?

Ein Erbverzicht ist eine weitreichende Entscheidung, die genau überlegt und rechtlich fundiert getroffen werden sollte. Da die Rechtsfolgen eines Erbverzichts vielfältig und umfangreich sind, ist es ratsam, sich hierbei juristisch beraten zu lassen. Die Notwendigkeit einer notariellen Beurkundung und die möglichen Rechtsfolgen – wie z.B. der Verlust der Erbenstellung, der Ausschluss von der gesetzlichen Erbfolge sowie der Pflichtteilsansprüchen – sollten dabei sorgfältig beachtet werden.

Ein Erbverzicht kann in bestimmten Situationen sinnvoll sein, etwa um Unterhaltsansprüche zu verwirklichen, Streitigkeiten unter Geschwistern zu verhindern oder individuelle Prioritäten walten zu lassen. Es ist jedoch wichtig, sich über die Folgen dieses Schrittes im Klaren zu sein und ggf. in Erwägung zu ziehen, ob es andere Möglichkeiten gibt, um das gewünschte Ziel zu erreichen.

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