Übernahmeabwehr – Die Bedrohung durch feindliche Übernahmen ist eine ständige Herausforderung für viele Unternehmen, insbesondere für börsennotierte Gesellschaften. Ein ungeplanter Eigentümerwechsel kann nicht nur strategische Pläne behindern, sondern auch den Unternehmenswert negativ beeinflussen und Unsicherheit unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auslösen.

Feindliche Übernahmen sind Versuche von Externen, eine Mehrheitsbeteiligung oder das gesamte Unternehmen gegen den Willen des bestehenden Managements oder der derzeitigen Eigentümer zu erwerben. Diese Operationen können sehr schnell und unter großem Druck ablaufen, sodass eine sorgfältige Planung und die Implementierung von Abwehrstrategien unerlässlich sind.

Dieser umfassende Leitfaden bietet Ihnen eine detaillierte Analyse rechtlicher Grundlagen und effektiver Strategien zur Übernahmeabwehr, die jedes Unternehmen kennen sollte. Anhand anonymisierter Fallstudien und Praxisbeispielen wird dargestellt, wie Unternehmen erfolgreich gegen feindliche Übernahmen vorgegangen sind.

Historischer Überblick über Übernahmeabwehrmaßnahmen

Die Strategien zur Abwehr feindlicher Übernahmen haben sich über die Jahre hinweg stetig weiterentwickelt. Ursprünglich lag der Fokus auf rein ökonomischen und juristischen Mitteln, doch mit der Zeit kamen komplexe und teils kreative Strategien hinzu.

In den 1980er Jahren, insbesondere in den USA, waren feindliche Übernahmen durch „Corporate Raiders“ wie Carl Icahn und Michael Milken weit verbreitet. Dies führte zu einem Boom von Übernahmestrategien wie der „Poison Pill“ und den „White Knight“-Taktiken. Diese wurden später in anderen Teilen der Welt, einschließlich Europa, übernommen und weiterentwickelt.

Heute gibt es eine Vielzahl von Instrumenten und Ansätzen, die Unternehmen anwenden können, um sich vor einer feindlichen Übernahme zu schützen. Diese reichen von rechtlichen Rahmenbedingungen und finanziellen Mechanismen bis hin zu taktischen und kommunikativen Maßnahmen.

Rechtliche Grundlagen der Übernahmeabwehr

Um die rechtlichen Grundlagen der Übernahmeabwehr zu verstehen, ist es wichtig, sich mit den entsprechenden Gesetzen und Verordnungen vertraut zu machen, die in verschiedenen Jurisdiktionen Anwendung finden. In Deutschland spielt hierbei insbesondere das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) eine zentrale Rolle.

Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG)

Das WpÜG regelt in Deutschland die Grundlagen und Abläufe von Übernahmeangeboten. Die wesentlichen Punkte sind:

  1. Meldungspflicht und Veröffentlichung: Sobald ein Unternehmen beabsichtigt, mehr als 30 Prozent der Stimmrechte an einem börsennotierten Unternehmen zu erwerben, muss dies unverzüglich sowohl der Zielgesellschaft als auch der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gemeldet und veröffentlicht werden.
  2. Angebotsunterlage: Die Angebotsunterlage muss den Aktionären der Zielgesellschaft übermittelt werden. Sie enthält alle wesentlichen Informationen über das Übernahmeangebot, einschließlich des Angebotspreises und der Finanzierung des Angebots.
  3. Übernahmeverfahren: Das eigentliche Übernahmeverfahren ist streng reguliert und umfasst Fristen für die Abgabe von Angeboten und Annahmeentscheidungen der Aktionäre.
  4. Schutzbestimmungen: Verschiedene Vorschriften sollen sicherstellen, dass die Aktionäre eine fundierte und faire Entscheidung treffen können. Dazu gehören beispielsweise Transparenzvorschriften und Mindestpreise.

Das Europäische Übernahmerecht

Auf europäischer Ebene wird das Übernahmerecht durch die EU-Übernahmerichtlinie geregelt. Diese Richtlinie legt Mindeststandards fest, die von den Mitgliedstaaten in ihre nationalen Rechtssysteme implementiert werden müssen. Hauptziele der Richtlinie sind die Umsetzung von fairen und transparenten Übernahmeverfahren sowie der Schutz der Minderheitsaktionäre.

Hier sind einige der Hauptbestandteile der EU-Übernahmerichtlinie:

  • Gleiche Behandlung der Aktionäre: Alle Aktionäre der gleichen Gattung müssen im Rahmen des Übernahmeangebots gleich behandelt werden.
  • Pflichtangebot: Bei Erreichen einer Kontrollmehrheit muss der Erwerber den restlichen Aktionären ein Pflichtangebot unterbreiten. Dies stellt sicher, dass Minderheitsaktionäre die Möglichkeit haben, ihre Aktien zu einem fairen Preis zu verkaufen.
  • Schutz von Minderheitsaktionären: Verschiedene Mechanismen sollen sicherstellen, dass Minderheitsaktionäre nicht benachteiligt werden, wie etwa das Squeeze-out-Verfahren bei Überschreiten bestimmter Anteilsschwellen.

Reaktive und Proaktive Abwehrstrategien

Strategien zur Übernahmeabwehr lassen sich generell in zwei Kategorien einteilen: reaktive und proaktive Strategien. Beide Kategorien umfassen unterschiedliche konkrete Maßnahmen, die Unternehmen unter spezifischen Umständen anwenden können.

Reaktive Abwehrstrategien

Reaktive Abwehrstrategien kommen zum Einsatz, wenn bereits ein Übernahmeversuch läuft. Diese Strategien zielen darauf ab, den Übernahmeversuch zu vereiteln oder zumindest zu erschweren und dem Management zusätzliche Zeit für die Erarbeitung von Alternativen zu verschaffen. Hier einige reaktive Abwehrstrategien:

1. Pac-Man Defence: Bei dieser Strategie versucht das angegriffene Unternehmen selbst, den Angreifer zu übernehmen. Dies erfordert erhebliche finanzielle Ressourcen und eine solide Marktposition, damit die Strategie erfolgreich ist.

2. Greenmail: Die Zielgesellschaft kauft die eigenen Aktien, die vom angreifenden Unternehmen erworben wurden, zu einem höheren Preis zurück, als sie bezahlt wurden. Dies verringert das Risiko eines Übernahmeangebots, wenn auch zu erhöhten Kosten.

3. Litigation: Das Unternehmen kann rechtliche Schritte gegen das Übernahmeangebot einleiten. Dies kann auf dem Argument beruhen, dass Vorschriften oder regulatorische Beschränkungen nicht eingehalten wurden.

4. White Knight: Das Unternehmen sucht nach einem freundlicheren Bieter, der bereit ist, die Gesellschaft zu einem fairen Preis zu übernehmen, um den aggressiveren Bieter abzuwehren.

5. Golden Parachute: Hoch dotierte Abfindungsverträge für das Management treten bei einem Eigentümerwechsel in Kraft und verteuern die Übernahme erheblich.

Proaktive Abwehrstrategien

Im Gegensatz zu reaktiven Abwehrstrategien sorgen proaktive Strategien bereits vor einem drohenden Übernahmeversuch dafür, dass es für potenzielle Angreifer schwieriger wird, die Kontrolle über das Unternehmen zu erlangen.

1. Poison Pill (Giftpille): Eine weit verbreitete Maßnahme, bei der bestehende Aktionäre das Recht erhalten, zusätzliche Aktien zu einem stark reduzierten Preis zu kaufen, sobald ein potenzieller Übernehmer eine bestimmte Beteiligungsschwelle erreicht. Dadurch wird eine Übernahme erheblich teurer.

2. Staggered Board: Das Unternehmen verteilt die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder über mehrere Jahre, sodass nicht alle Aufsichtsratsposten auf einmal zur Wahl stehen. Dies erschwert es für den Angreifer, kurzfristig die Kontrolle über den Aufsichtsrat zu erlangen.

3. Dual-Class Stock: Einführung von verschiedenen Aktiengattungen mit unterschiedlichen Stimmrechten kann es schwerer machen, eine beherrschende Stellung im Unternehmen einzunehmen.

4. Crown Jewels Defense: Wichtige Unternehmenswerte oder Geschäftsbereiche werden ausgegliedert oder in Tochtergesellschaften überführt, die schwerer zu übernehmen sind.

5. Statutory Provisions: Änderungen der Satzung (bspw. durch Supermajority-Voting-Anforderungen) können so gestaltet werden, dass sie die Zustimmung eines hohen Prozentsatzes der Aktionäre für wesentliche Entscheidungen voraussetzen.

Anonymisierte Mandantengeschichten zur Verdeutlichung

Die Umsetzung der Übernahmeabwehrstrategien kann anhand anonymisierter Fallstudien und Mandantengeschichten verdeutlicht werden, welche die Komplexität und Erfolgsfaktoren dieser Strategien illustrieren.

Fallstudie 1: Der gescheiterte Übernahmeversuch durch einen Hedgefonds

Ein mittelständisches, börsennotiertes Technologieunternehmen sah sich plötzlich einem aggressiven Übernahmeversuch durch einen weltweit aktiven Hedgefonds ausgesetzt. Der Hedgefonds hatte bereits öffentlich gemacht, dass er das Unternehmen vollständig übernehmen und zerschlagen wollte, um kurzfristige Gewinne zu realisieren.

Dank guter Vorbereitung und frühzeitig implementierter proaktiver Abwehrstrategien konnte das Management schnelle und effektive Maßnahmen ergreifen:

  • Poison Pill: Durch die sofortige Aktivierung der Giftpille wurde der Kauf zusätzlicher Aktien für den Hedgefonds extrem teuer.
  • Staggered Board: Der gestaffelte Aufsichtsrat verhinderte, dass der Hedgefonds kurzfristig Kontrolle über den Aufsichtsrat erlangen konnte.
  • Golden Parachutes: Die bestehenden Abfindungsregelungen für führende Manager erhöhten die Kosten der Übernahme.

Schließlich gelang es dem Unternehmen, einen „White Knight“ in Form eines strategischen Investors zu finden. Dieser bot eine langfristige Wachstumsstrategie an und kaufte genug Anteile, um den Hedgefonds zu neutralisieren.

Fallstudie 2: Markenschutz und rechtliche Maßnahmen

Ein Unternehmen im Gesundheitssektor sah sich einem Übernahmeversuch durch einen Konkurrenten ausgesetzt. Da das Unternehmen stark auf seine Patente und Markenrechte angewiesen war, setzte das Management folgende Strategien um:

  • Litigation: Sofortige Einreichung von Klagen gegen den Konkurrenten aufgrund von Verletzungen der Wettbewerbsregeln.
  • Crown Jewels Defense: Übertragung wichtiger Patente auf eine Tochtergesellschaft, die durch Mehrheitskontrolle des bestehenden Managements geschützt war.
  • Greenmail: Angebot, die vom Konkurrenten erworbenen Anteile zu einem Aufpreis zurückzukaufen, wodurch sich der Konkurrent zurückzog.

Mit dieser Strategie konnte das Unternehmen erfolgreich die Integrität seiner Geschäftsbereiche und seine wertvollen geistigen Eigentumsrechte schützen.

Checkliste für den Schutz vor Übernahmen

Um sicherzustellen, dass Ihr Unternehmen gut gegen feindliche Übernahmen gewappnet ist, sollten folgende Maßnahmen in Betracht gezogen werden:

  • Machen Sie sich mit geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen vertraut, insbesondere mit dem WpÜG und der EU-Übernahmerichtlinie.
  • Implementieren Sie proaktive Maßnahmen wie die Giftpille oder die Staffelung der Wahlperioden für Aufsichtsratsmitglieder.
  • Erstellen Sie Notfallpläne, die reaktive Maßnahmen im Falle eines Übernahmeversuchs umfassen.
  • Pflegen Sie gute Beziehungen zu Ihren Hauptaktionären und behalten Sie Marktaktivitäten genau im Auge.
  • Überprüfen und aktualisieren Sie regelmäßig wichtige Vertragsdokumente und satzungsgemäße Bestimmungen.
  • Erwägen Sie die Einführung von Aktien mit unterschiedlichen Stimmrechten.
  • Sichern Sie Ihre wichtigsten Vermögenswerte durch Ausgliederung oder Übertragungen innerhalb Ihrer Unternehmensstruktur.
  • Stellen Sie sicher, dass Ihre wichtigsten Manager durch langfristige Verträge und Abfindungsregelungen gebunden sind.
  • Berufen Sie eine Task-Force aus internen und externen Experten, die sich regelmäßig mit dem Thema Übernahmeabwehr beschäftigt.
  • Kommunizieren Sie offen und transparent mit Ihren Stakeholdern, um Vertrauen und Unterstützung zu gewinnen.

Die Wirksamkeit dieser Maßnahmen hängt stark von ihrer frühzeitigen und sorgfältigen Implementierung ab. Ein guter Rechtsberater ist unerlässlich, um das Unternehmen durch die komplexe rechtliche und strategische Landschaft zu führen.

Abschließende Gedanken zur Übernahmeabwehr

Ein erfolgreiches Übernahmeschutzprogramm erfordert kontinuierliche Wachsamkeit und Anpassungsbereitschaft. Da sich Marktbedingungen und gesetzliche Rahmenbedingungen ständig ändern, ist es wichtig, flexibel und gut informiert zu bleiben. Die rechtzeitige Implementierung und regelmäßige Überprüfung von proaktiven und reaktiven Maßnahmen kann maßgeblich dazu beitragen, die Unabhängigkeit und Kontinuität eines Unternehmens zu sichern.

Daher sollten Unternehmen nicht zögern, sich fortlaufend rechtlich und strategisch beraten zu lassen, um sich bestmöglich vor feindlichen Übernahmen zu schützen. Investieren Sie in das Management sowie in rechtliche Beratung und stellen Sie sicher, dass Ihr Unternehmen umfassend geschützt ist. Nur so können Sie sich darauf konzentrieren, Ihre strategischen Ziele zu erreichen und langfristigen Erfolg zu sichern.

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